Rückstau überfordert Einsatzkräfte

Flüchtlinge mussten vor Achleiten auf ihren Weitertransport warten.
Bayern sperrte vorübergehend Grenzübergänge, Tausende Flüchtlinge schliefen im Freien.

Es waren kritische Situationen, die oberösterreichische und bayrische Einsatzkräfte in der Nacht zum Montag an die Grenzen ihrer Belastbarkeit brachten. Der Andrang der mit Bussen und Zügen von der slowenisch-steirischen Grenze zur Entlastung der dortigen Notunterkünfte nach Oberösterreich transportierten Flüchtlinge war enorm: An mehreren Grenzübergängen nach Deutschland drohte die organisatorische Abfertigung zu kollabieren, es wurden stundenlang keine Übertritte genehmigt.

"Wir saufen heute ab", beschrieb Polizeisprecher Frank Koller Sonntagabend mit drastischen Worten die prekäre Situation auf der bayrischen Seite der Grenze. Vor allem an den drei Übertrittsstellen in Braunau/Simbach, Achleiten/Passau und Kollerschlag/Wegscheid spitzte sich die Lage immer mehr zu. "Es sind einfach zu viele Menschen auf einen Schlag gekommen", begründete Koller die Probleme. Die bayrischen Notunterkünfte waren übervoll, die Kapazität der Transportbusse sowie der im Einsatz stehenden Mannschaften war ebenfalls am Limit angelangt.

Die Folge davon war, dass sich auf oberösterreichischer Seite ein Rückstau bildete, der immer größere Dimensionen annahm. Tausende Flüchtlinge waren schließlich gezwungen, die Nacht bei niedrigen Temperaturen im Freien zu verbringen.

Gesittet

In Achleiten im Innviertel campierten Flüchtlinge im Bereich einer Turmöl-Tankstelle und kauften den Nahrungsmittelbestand des dortigen Shop s leer. Daniela Dieringer von der Geschäftsleitung der zur Doppler-Gruppe gehörenden Tankstelle machte sich vor Ort ein Bild. "Die Leute haben alles bezahlt und geduldig gewartet, bis sie an der Reihe waren."Auch in Braunau und in Kollerschlag im Mühlviertel gab es trotz des enormen Menschenzustroms keine unschönen Szenen. "Die Flüchtlinge wurden mit Isomatten, Decken und Wärmefolien versorgt und haben auf einer Wiese auf den Weitertransport gewartet", bestätigte Herbert Kirschner, Bezirkspolizei-Kommandant von Rohrbach. Am Vormittag hatte sich der Andrang bei einem KURIER-Lokalaugenschein wieder verkleinert. Die Flüchtlinge warteten ruhig auf ihren Grenzübertritt.

"Wir sind von den bayrischen Kollegen abhängig, wie schnell sie abfertigen", erklärte David Furtner von der Landespolizeidirektion OÖ. "Wir haben Personal und Transportkapazitäten aufgestockt", beruhigte Frank Koller.

Rekordzahl erwartet

Allgemein wurde jedoch prognostiziert, dass in der Nacht zum Dienstag die Situation wieder prekärer werden könnte. Der Flüchtlingszustrom aus Slowenien wurde nicht kleiner – im Gegenteil, eine neue Rekordzahl wurde erwartet. Und auch in den Notlagern im steirischen Spielfeld drohten die Kapazitätsgrenzen gesprengt zu werden. Vorübergehend hatten in der Sammelstelle bis zu 5000 Flüchtlinge versorgt werden müssen. "Wenn tatsächlich noch 10.000 Menschen kommen, wäre es hier gar nicht möglich, mehr an Infrastruktur aufzubauen", betonte Rotkreuz-Sprecher August Bäck.

Die einzige Möglichkeit sei daher, die Transportkapazitäten zu erhöhen und stündlich noch mehr Menschen nach Salzburg und Oberösterreich zu bringen.

Am Nachmittag marschierten in Spielfeld Anhänger der rechtsextremen "Identitären" sowie "normale" Bürger auf, wie es bei der Polizei hieß. Rund 100 Teilnehmer schwenkten österreichische und steirische Fahnen. Die Demonstration war nicht genehmigt.

Ein Kommentar zu angeblichen Flüchtlingsrandalen von Christoph Biró in der Steiermark-Krone sorgt bei Polizei und ÖBB für Verwunderung. „Ein absoluter Blödsinn“, sagt Fritz Grundnig von der Landespolizeidirektion zu darin erhobenen Vorwürfen. Dabei handle es sich um Facebook-Gerüchte, für die Beweise fehlen. „Die leider aber sehr viel an polizeilicher Arbeit binden.“

Biró schrieb, dass Syrer sich „äußerst aggressive sexuelle Übergriffe leisten“. Weiters, dass Afghanen die Sitze von ÖBB-Waggons aufschlitzen und ihre Notdurft darauf verrichten, weil Christen auf ihnen gesessen seien. „Wäre das tatsächlich so, würden von uns keine Sonderzüge mehr fahren“, erwidert ÖBB-Sprecher Christoph Posch. Laut Biró würden Flüchtlinge auch in Notquartieren sanitäre Einrichtungen nicht verwenden, sondern ihr Geschäft daneben erledigen und weibliche Hilfskräfte zum Wegputzen auffordern. „Stimmt nicht“, sagt Grundnig. Es gebe auch auch keine Horden, die Supermärkte plündern.

Besserer Schutz der EU-Außengrenze, mehr Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen sowie mehr Kommunikation untereinander. So wollen die Europäer die Flüchtlingsströme entlang der Balkanroute in den Griff bekommen. Außerdem sollen in Slowenien, das mit dem Flüchtlingstreck auf seine Grenze völlig überfordert ist, innerhalb einer Woche 400 zusätzliche Polizisten den Dienst aufnehmen.

Österreich erwartet sich von den Beschlüssen des Mini-Gipfels von Brüssel „mehr Kontrollen, eine geordnete Bewegung“ sowie künftig „eine Entlastung bei ankommenden Flüchtlingen“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann zum KURIER. „Wir haben konkrete Schritte vereinbart, die das automatische Weiterschicken von Flüchtlingen am Balkan unterbinden.“ Nüchtern stellt er jedoch fest, dass „damit das Flüchtlingsproblem noch nicht gelöst ist“.

Immerhin soll Griechenland bis Ende des Jahres 20.000 Unterkünfte errichten, 10.000 bestehen bereits. Als Ziel sollen es 50.000 neue Plätze sein. Entlang der Balkan-Route kommen weitere 50.000 dazu.

Die wichtigsten Punkte des Gipfels im Überblick

Mehr Koordination

Kein Balkanland darf Flüchtlinge unangemeldet zum Nachbarn weiterleiten. Eigene Flüchtlingskoordinatoren wachen über diese Migrationsbewegungen und die vereinbarten Beschlüsse (siehe Artikel unten).

Die EU-Außengrenzen zur Türkei, zu Albanien und Mazedonien werden mithilfe von Frontex-Beamten stärker überwacht. Premier Alexis Tsipras musste sich Kritik gefallen lassen, weil Griechenland bisher Flüchtlinge unregistriert weiterziehen ließ.

Bis die EU-Beschlüsse greifen und sich auf Österreich auswirken, wird es noch dauern. Derzeit ist die Entlastung noch nicht spürbar. 58.500 Flüchtlinge befinden sich aktuell in der Grundversorgung, 15.000 Notquartiere stehen zur Verfügung, und bis Ende des Jahres werden zwischen 80.000 und 90.000 Asylwerber erwartet.

Alles andere als perfekt Was in der EU immer noch nicht gelöst ist, ist eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten. Einige osteuropäische Länder (Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Rumänien, jetzt auch Polen) sind strikt dagegen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel als „großes Problem“ einräumt.

„Die Flüchtlingspolitik ist bisher nicht so geordnet, wie sie sein könnte“, stellte Merkel am Montag fest. „Es fehlt eine Verteilung der Menschen in der EU sowie eine Abmachung mit der Türkei. Daran arbeiten wir. Das ist alles andere als perfekt.“

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