Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"

„Mundloch heißt in der Bergmannsprache der Stolleneingang“, sagt Thomas Drnek vor der Unter-Tage-Tour.
In 400 Metern Tiefe wird im RHI-Bergwerk Breitenau in der Steiermark geklopft, gehorcht, geraucht, gelacht und eine jahrhundertealte Sprache gesprochen.

Der Name der Straße ist Programm. Das ist auch das Einzige, das der unbedarfte Besucher bei strahlendem Sonnenschein vor dem Fabriksgebäude, an der Magnesitstraße in Breitenau am Hochlantsch weiß. Drei Stunden später wird der Besuch aus Wien in der Steiermark in eine andere Welt eingetaucht sein. Eine Welt ohne Sonnenlicht. Eine Welt ohne Komfort. Eine unterirdische Welt, ohne die es Stahl, Zement oder Glas in der oberirdischen nicht gäbe.

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
"Ohne Magnesit keine Feuerfestprodukte. Ohne Feuerfestprodukte kein Stahl", sagt Thomas Drnek, Leiter des RHI-Werks Breitenau, und führt aus: "Der Rohmagnesit, den wir unter Tage abbauen, über Tage in Öfen zu Sintermagnesia verarbeiten, hält Temperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius stand. Das Ausgangsmaterial von so genannten Feuerfestprodukten, die die Industrie braucht, um beispielsweise Schmelzöfen damit auszukleiden."

Die österreichische RHI AG (ehemals Radex-Heraklith Industriebeteiligungs AG) zählt zu den Weltmarktführern und 8000 Mitarbeiter rund um den Globus; 200 von ihnen sind in Breitenau beschäftigt. Ein gutes Dutzend lernen die Gäste kennen. Ehe es "in den Berg geht", geht es in die Umkleidekabine.

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Blaue Schutzkleidung mit Besucherabzeichen, gelbe Gummistiefel mit Stahlkappe, weißer Helm, orange Ohrstöpsel, graue Lampe und eine Instruktion. "Das hier ist ein Sauerstoff-Selbstretter. Er hält eine Stunde für die Flucht, bis zu vier, wenn man ausharren muss und wiegt rund fünf Kilo. Wir haben sie immer bei uns, mussten sie aber in den letzten 25 Jahren nie einsetzen", sagt der stellvertretende Betriebsleiter, Florian Wallner, und hebt den handlichen Kasten, der wie eine überdimensionierte metallene Schultasche aussieht, hoch. "Noch Fragen?" Noch nicht. Eine Autofahrt und einen Schranken später werden es unzählige sein. Beginnend beim Eingang.

Mundloch

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Die Symbole, Schlägel und Eisen, die Worte "Glück auf " sind bekannt. Die Bezeichnung "Mundloch" für den Stolleneingang ist es nicht. Die unbekannten Worte häufen sich je tiefer der Kleinbus in das unterirdische Terrain vordringt.

Gut zwei Kilometer geht es ins Berg-Innere zu den 22 Bergleuten, die seit 6 Uhr Früh arbeiten. Schichtbetrieb 400 Meter unter Tage. In der Ferne ist ein rotes Licht zu erkennen. "Wir haben hier sogar Ampeln", sagt Wallner lächelnd. Asphaltierten Boden und einen Verkehrsspiegel gibt es auf dem serpentinenartigen Weg auch. Ansonsten erinnert unter Tage nichts an alltäglichen Verkehr.

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Finsternis, die vorerst nur durch die Autoscheinwerfer spärlich gemindert wird. Lärm, der undefinierbar ist, immer lauter wird. Plötzlich beschlägt die Windschutzscheibe. Wallner, Drnek und Werner Thonhofer, der den Bus lenkt, verziehen keine Miene. Der Laie schon. Ist Vorsicht geboten? Mitnichten. Erster Stopp im Revier IV.

Markscheider

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Thonhofer, der als sogenannter Steiger die Aufsicht wie Verantwortung im Stollen hat, steigt aus. Der Besuch folgt ihm und den Anweisungen. Stehenbleiben vor der Lärmquelle. Ein Art überdimensionierter Meißel an einem Streitbagger schlägt Gesteinsbrocken aus dem Berg, die sogleich von einem Lkw abtransportiert werden. "Der Klopfer ist eine Spezialmaschine, kostet bis zu 300.000 Euro, hält dafür aber auch 25 Jahre. Die Reifen sind aus Sicherheitsgründen wegen Brandgefahr mit Stickstoff gefüllt", erklärt Werksleiter Drnek die gigantisch wirkende Maschine mit den mannshohen Reifen. Staub ist sicht- wie spürbar in der unerwartet warmen Luft. "Matte Wetter. Keine Sorge! Hier zirkulieren 6000 Kubikmeter Luft pro Minute." Der Gast hat keine Sorge ob der staubigen Luft, dafür eine Frage. "Wo landen die Lkw-Ladungen?" – "Das sehen Sie später. Jetzt geht es ins Revier III Süd II." Dass man jetzt kaum ein Wort versteht liegt am Lärm der Maschinen und an der Wortwahl.
Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Es ist die Bergmannsprache, in der man mit "Glück auf" grüßt. Die in punkto Wetter zwischen frisch und matt, betreffend Hierarchie zwischen Steiger und Hauer unterscheidet, einen Vermessungstechniker als Markscheider und eine Grubeneinheit als Bau, deren höchste Stelle als Firste bezeichnet.

Die Männer, die hier jährlich 400.000 Tonnen Rohmagnesit aus dem Berg schlagen sind von einem eigenen Schlag. Es ist mehr als notwendiger Teamgeist, der deutlich spürbar ist.

Retter in Lassing

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Wo andere etwaig Platzangst haben oder ob der Dunkelheit trübsinnig werden, wird geraucht, gelacht, gescherzt. "Bergmann sucht Frau", schreit ein Schlosser, der via Funk zur Reparatur gerufen wurde, zu einem Kollegen, der vom KURIER-Fotografen abgelichtet wird.

Dass diese Männer, die Grubenwehr Breitenau, 1998 in Lassing Georg Hainzl – am neunten Tag verschüttet unter Tage – lebend retten konnte, lassen sie unerwähnt. Darauf angesprochen: ein Lächeln. "Das ist eine Selbstverständlichkeit bei uns. Wir müssen uns zu hundert Prozent aufeinander verlassen können," sagt Florian Wallner. Der Kleinbus verlässt Revier IV wie besprochen Richtung Revier III Süd II. Eigenständige Orientierung des Laien? Fehlanzeige. Ebenso verhält es sich mit dem Handyempfang. Hier funktioniert nur Funk mit Totmannschaltung. Modernste Technik mit traditionellem Handwerk. Mensch mit Maschine. Nicht umgekehrt.

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
"Wir haben mannlosen Betrieb ausprobiert, der funktioniert aber nicht. Wir müssen das Gebirge ansprechen, beim Ablauten wie Sie es hier sehen." Was Drnek mit ansprechen und ablauten meint, offenbart sich vor Ort, wo es plötzlich wieder merklich kühler ist. Auf einem Ausleger stehend, klopft ein Hauer händisch und kopfüber auf das Gestein. "Er hört, wo sich das lose Gestein von der Firste lösen wird." Der Vorführeffekt verdeutlicht das Gesagte. "Das kann keine Maschine." Auch das Setzen von meterlangen Stahlstangen, sogenannte Gebirgsanker, zur Stabilisierung des Baus geschieht kopfüber mit menschlicher Körperkraft.

Eine halbe Stunde später, in der Kaverne, dem Augustin-Stollen, über Stufen dem Staub und Lärm nach. Ein 750 Meter langes Band fördert das maschinell zerkleinerte Gestein über Tage zu den Öfen, wo der Rohmagnesit zu Sintermagnesia verarbeitet wird. "Sehen Sie das Licht am Ende des Tunnels?," fragt Steiger Thonhofer. Ein kleiner weißer Punkt ist erkennbar. "Da fahren wir jetzt wieder hin."

Schicht im Schacht

Unter Tage: "Matte Wetter. Keine Sorge!"
Vorbei an der Ampel, dem Verkehrsspiegel, raus aus dem Mundloch. Vor dem Schranken zeigt sich die Welt der Bergmänner noch einmal. In einem Haus, in dem Umkleide- und Waschraum untergebracht sind, wird Straßen- von der Arbeitskleidung strikt räumlich und – wie könnte es anders sein – sprachlich getrennt. In der Weißkaue (Straßenkleidung) wie in der Schwarzkaue (Arbeitsmontur) hängen Hosen, Schuhe, Jacken, wie es die jahrhundertealte Tradition vorsieht, an Haken, die im sechs Meter hohen Raum hochgezogen werden.

Durch den Schranken, zurück in der Magnesitstraße, heißt es für den Besucher Schutzkleidung ablegen, Abschied von unter Tage nehmen.

500-Kilo-Säcke voll mit feinpulverisierter Feuerfestmasse warten auf Abholung. Nachlesbarer Bestimmungsort: Karachi. Pakistan. 22 Männer warten in Breitenau auf ihren Schichtbeginn um 14 Uhr. "Glück auf!"

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