Über den Brenner und zurück

Bashair hat die Fahrt über das Mittelmeer überlebt. Am Brenner gestrandet, wartet er auf einen Zug nach München. Dort wollen die meisten Flüchtlinge hin.
Der KURIER hat Flüchtlinge bei ihrem Versuch begleitet, von Italien nach Norden zu kommen.

Es ist eine kurze Phase der Entspannung auf einer langen Reise Richtung Hoffnung. Die Stimmung ist relativ gelöst unter zehn Männern und Frauen aus Eritrea, die vor knapp zwei Stunden von einer trilateralen Streife aus italienischen, Tiroler und deutschen Polizisten in einem Fernreisezug Richtung München aufgegriffen und in Bozen an die Carabinieri übergeben wurden. Jetzt stehen die Flüchtlinge am Bahnhof der Südtiroler Provinzhauptstadt und werden von Freiwilligen mit dem Notwendigsten versorgt: Kleidung, Hygieneartikeln , Wasser und Brote.

"Es ist aber vor allem wichtig, dass sie ein Lächeln sehen", sagt Roberto Defant vom Verein Volontarius, der die Helfer aus der Bevölkerung koordiniert. Denn die Flüchtlinge hätten Angst, wenn sie von der Exekutive aus dem Zug geholt werden; wissen nicht einmal, wo sie sind.

Rund eine Stunde dauert die Registrierung der Migranten durch die Polizei, dann dürfen sie wieder ihres Weges gehen. Und der soll die Flüchtlinge aus Eritrea nach Norden führen, wenn es nach ihnen geht. "Die anderen wollen alle nach Deutschland. Aber ich möchte nach Schweden. Dort ist meine ganze Familie und meine Freundin. Ich vermisse sie", erzählt Bashair.

Über den Brenner und zurück
Freiwillige des Vereins Voluntarius unterstützen Flüchtlinge am Bahnhof Bozen. Sie versorgen die Migranten mit Kleidung, Hygieneartikeln und einem Essenspaket, wenn diese von der Polizei aus einem Zug geholt werden.
Seit drei Monaten ist er bereits unterwegs. Seine Heimat gilt als das Nordkorea Afrikas, eine Diktatur, in der Militärdienstverweigerer mit dem Tod rechnen müssen. "Es gibt dort nichts", sagt der 23-Jährige. Seine Mitreisenden hat er unterwegs kennen gelernt. Wie er, haben sie die Fahrt über das Mittelmeer gewagt. Und überlebt. "Ich war drei Tage am Boot", erzählt Bashair. Rund 100 Flüchtlinge wie er stranden jeden Tag in Bozen. Seit die trilateralen Streifen Ende vergangenen Jahres auf Italiens Schienen eingeführt wurden, hat sich die Stadt zu einem Hotspot auf der wichtigsten Flüchtlingsroute zwischen dem Mittelmeer und dem Norden Europas entwickelt. Die Freiwilligen kommen seit April jeden Tag auf den Bahnhof und helfen so gut sie können.

Menschlicher Anker

Syrina Merdessi gehört zu den gefragtesten Helfern. Als Tochter eines Tunesiers und einer Italienerin ist die Boznerin mehrsprachig aufgewachsen. Neben Deutsch, Italienisch und Englisch spricht sie Arabisch, Französisch, Algerisch, Marokkanisch, Syrisch und Ägyptisch. "Die Leute wollen mich meistens gar nicht mehr loslassen, weil sie so froh sind, dass sie sich unterhalten können", erzählt sie im breitesten Südtirolerisch.

Doch für die Flüchtlinge ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Sie steigen um fünf Uhr Nachmittag in einen Regionalzug auf den Brenner. Kurz vor dem Pass an der Grenze zu Österreich zückt Bashair sein Handy. "Das ist wunderschön", sagt er über die Landschaft vor dem Zugfenster, die nach dem Wintereinbruch schneebedeckt ist.

Auf dem Brenner ist es eiskalt. Auch am Grenzbahnhof sind Helfer im Einsatz. Vor der Initiative, die hier im Dezember an den Start ging, landeten Flüchtlinge im Nichts – darunter auch all jene, die Tag für Tag von den Tirol nach Italien zurückgeschoben werden. In einem Raum mit Snackautomaten kauern weitere Migranten auf dem Boden. Es gibt keine Sitzgelegenheiten. Dafür aber zumindest eine Heizung.

Über den Brenner und zurück
Flüchtlinge werden am Bahnhof Innsbruck von der österreichischen Polizei aus dem Zug Richtung München geholt, nachdem sie am Brenner eingestigen waren.
Kurz vor 20 Uhr steigt die Nervosität. Der letzte Zug nach München für den heutigen Tag fährt ein. Am Grenzbahnhof wurden Polizisten gesehen. Trotzdem springen nach und nach alle Flüchtlinge in die Waggons. Eine der Frauen aus Eritrea hat Panik in den Augen. Vor dem Zug will ein Schaffner einen Migranten am Einsteigen hindern. Später treibt er gemeinsam mit einer Kollegin eine Gruppe der Flüchtlinge nach hinten zu den kontrollierenden Polizisten. Mit welcher Berechtigung die Schaffner sich als Hilfssheriffs aufspielen, ist nicht klar.

Endstation Innsbruck

Um halb neun rollt der Zug in Innsbruck ein. Die Tiroler Beamten haben 14 Flüchtlinge aufgegriffen und holen sie aus dem Zug, darunter die meisten Freunde von Berisha. Er selbst ist nicht dabei. Die anderen werden wohl am nächsten Tag wieder am Brenner stehen und erneut ihr Glück versuchen. Das Asyl-Ping-Pong geht in die nächste Runde.

Und es dürfte sich in den kommenden Wochen noch verschärfen. Denn Deutschland will rund um den G7-Gipfel im Juni in Bayern seinen Grenzraum verschärft kontrollieren. In Süd- und Nordtirol rüsten sich die Behörden bereits für einen Rückstau an Flüchtlingen, die vor dem Tor in den Norden Europas stranden könnten.

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