Phantom-Ängste vor IS-Terroristen

Terrorgefahr bleibt. Aber kein Hinweis, dass Dschihadisten mit Flüchtlingen unterwegs sind.

Eine Szene in einem Wirtshaus in einer nö. Kleinstadt im Alpenvorland: An der Bar sitzt ein distinguiert aussehender Herr mit etwas dunklerer Hautfarbe. Ein Einheimischer kommt ins Gastzimmer und bemerkt abfällig: "Aha, der Terrorist." Er weiß nämlich, dass der ältere Herr ein syrischer Flüchtling ist. Er war leitender Magistratsbediensteter in einer Stadt im Nordosten Syriens, bevor er vor dem Islamischen Staat (IS) flüchten musste.

Für so manchen Österreicher gilt er trotzdem als Terrorist, obwohl er genau vor diesen geflohen war. Denn mit dem aktuellen Flüchtlingsstrom steigt die Terrorangst im Land. Das ist bisher unbegründet. Denn KURIER-Recherchen ergaben, dass Sicherheitsbehörden im Flüchtlingsstrom noch keinen einzigen reisenden Terroristen ausmachen konnten.

US-Geheimdienst

Die Terrorangst hat ihre Wurzeln vor Ort. Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate haben bisher keinen syrischen Flüchtling aufgenommen, mit der Begründung, es könnten Terroristen darunter sein. Auf die internationale Ebene brachte die Terrorangst schließlich im März US-Geheimdienstdirektor James Clapper bei einer Veranstaltung der Organisation Council on Foreign Relations in New York, wo er die "große Sorge" äußerte, dass die syrischen Flüchtlinge in den Ländern Türkei, Libanon und Jordanien ein geeignetes Umfeld für den IS sei, um Freiwillige für den Kampf zu rekrutieren.

Parallel dazu kamen später Drohungen einer IS-Splittergruppe in Libyen: Sie würden auf die Flüchtlingsboote "glatt rasierte Kämpfer" als Migranten getarnt einschleusen. Ihr Auftrag: Die Eroberung Roms. Daraus wurde nichts. Der IS ist auch in Libyen von der Umsetzung seiner Machtansprüche weit entfernt – und auch Geheimdienstchef Clapper blieb Beweise für seine Befürchtungen schuldig.

Medienberichte über syrische Flüchtlinge, die als IS-Agenten enttarnt wurden, verunsichern seither die Öffentlichkeit. Zuletzt gab es einen Bericht über einen Asylwerber in Graz, der von anderen Flüchtlingen den Behörden als IS-Agent gemeldet wurde.

Dass vom IS die aktuell größte Terrorgefahr für Europa ausgeht, ist für Europol-Direktor Rob Wainwright eine unstrittige Tatsache. Er vermutet ein terroristisches Potenzial von 5000 bis 6000 ausländischen Kämpfern in Europa. Gilles de Kerchove, EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, hat aber keine Hinweise, dass das IS-Terroristenpotenzial auch aus dem syrischen Flüchtlingsstrom genährt werde. Der IS rekrutiere nach seiner Einschätzung zwar weiterhin Jugendliche in Europa, schleuse jedoch keine Extremisten zusammen mit Flüchtlingen ein. Der Islamische Staat würde sich darüber hinaus auch in der Schlepperei engagieren, das aber nur aus finanziellen Gründen. Kerchove hält es für bedenklich, Terroristen in einem Zusammenhang mit auf der Flucht befindlichen Asylwerbern zu nennen. Kerchove sagte zur AFP: "Sie sind keine Terroristen, sie sind nicht kriminell."

Auch beim österreichischen Verfassungsschutz steht man der Schleuser-Theorie mit Skepsis gegenüber. Angesichts der großen Zahl von Sympathisanten und ausgebildeten Kämpfern in Europa habe es der IS nicht notwendig, als Flüchtlinge getarnte Kämpfer zu schicken. Dazu komme die Gefahr der Enttarnung durch die anderen Flüchtlinge. Wenn die einen IS-Agenten in ihren Reihen entdecken würden, müsste dieser mit heftigen Reaktionen rechnen. Weiters habe ein Asylantragsteller in Österreich nicht die Bewegungsfreiheit, die ein Terrorist braucht.

Sensibilisiert

Im Innenministerium sei man natürlich sensibilisiert, erklärt Sprecher Karl-Heinz Grundböck. "Wir gehen jedem Hinweis nach. Es konnte aber aktuell noch in keinem einzigen Fall der Verdacht erhärtet werden."

Übrigens: Auch bei dem Verdachtsfall in Graz handelte es sich offenbar nur um eine interne Intrige unter Syrern, bei der ein Unschuldiger angeschwärzt wurde.

Heuer noch soll in Graz ein brisanter Prozess stattfinden: Acht Verdächtigen, unter ihnen drei Frauen, wird vorgeworfen, IS-Sympathisanten angeworben und nach Syrien begleitet zu haben drei davon sollen im Kampf gefallen sein. Einer der Beschuldigten soll auch für die Al-Nusra-Front tätig gewesen sein.

Die Anklage gegen die Tschetschenen ist fertig und wurde offiziell eingebracht, rechtskräftig sei sie aber noch nicht, betont Thomas Mühlbacher, Leiter der Staatsanwaltschaft Graz. Gegen die Gruppe wird bereits seit 2013 ermittelt: Um einen Prediger, der in einer muslimischen Grazer Gebetsstätte gelehrt hat, soll sich eine rege Rekrutierungstätigkeit für den IS entwickelt haben. Der 42-Jährige soll sechs Männer überredet haben, in den Krieg zu ziehen. Der Prediger wurde im Juli 2014 in U-Haft genommen.

Al-Nusra-Front

Einer seiner mutmaßlichen Mitstreiter war bis vor Kurzem auf der Flucht: Der 35-Jährige wurde Ende August in Gries am Brenner in Tirol gefasst, bestätigt Mühlbacher Medienberichte. Er soll im Juni und Juli 2013 drei Männer nach Syrien gebracht haben sie wurden getötet, unter ihnen auch ein Brüderpaar.

Die Anklage wirft dem 35-Jährigen zudem vor, für die Al-Nusra-Front aktiv gewesen zu sein: Er soll beim Organisieren von Verpflegung und Waffen geholfen haben. "Dass er auch bei Kampfhandlungen dabei war, haben wir ihm nicht nachweisen können", sagt Mühlbacher.

87 Seiten dick ist die Anklageschrift. Der Strafrahmen für Mitgliedschaft an einer terroristischen Vereinigung beträgt ein bis zehn Jahre Haft.

Auch beim zweiten großen Dschihadisten-Fall der Grazer Justiz geht es laut Mühlbacher in die Zielgerade. Noch vor Jahresende könnte die Anklage gegen jene Verdächtigen stehen, die im November 2014 bei Razzien in Wien, Graz und Linz festgenommen wurden.

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