Peter Prechtl: "Nur eingesperrt sein bringt nichts"

Peter Prechtl: "Nur eingesperrt sein bringt nichts"
Oberster Gefängnischef würde Untersuchungsausschuss begrüßen, weil das für Aufmerksamkeit sorgt.

Ein 74-jähriger Stein-Häftling wird vernachlässigt; ein Gefangener wird von einem Justizwachebeamten mit dem Kopf gegen die Wand gedonnert; ein 14-Jähriger wird in der U-Haft vergewaltigt: Das war das Jahr 2014 im Strafvollzug, der mit 1. Juli 2015 ins Justizministerium eingegliedert wird. General Peter Prechtl, Leiter der bisher ausgelagerten Vollzugsdirektion, Herr über 27 Gefängnisse, 4000 Mitarbeiter und 9000 Häftlinge, zieht Bilanz.

Peter Prechtl: "Nur eingesperrt sein bringt nichts"
KURIER: War das Jahr 2014 das härteste Ihrer Karriere?Peter Prechtl:Ja, das war es. Es sind sehr unerfreuliche Dinge im Strafvollzug passiert. Uns bleibt nichts anderes übrig, als das als Chance zu sehen. Zurzeit gibt es eine gewisse Aufmerksamkeit. Weg vom Skandalisieren, hin zur Feststellung: Es muss etwas für den Vollzug getan werden, damit er seine Aufgaben ordentlich erfüllen kann.

Was war das Ärgste für Sie?

Der Fall Stein hat mich sehr getroffen, auch wenn man abwarten muss, was die Untersuchung bringt.

Es war eine Vernachlässigung. Sind wir uns da einig?

Ja, das war es. Was mich an der Kommunikation stört, ist die Darstellung, dass wir den Untergebrachten eingesperrt und vergessen haben. So war es nicht! Er ist viele Male gefragt worden, ob er nicht zum Arzt gehen will. Ohne den Ermittlungen vorzugreifen, müssen wir uns schon fragen, warum so etwas in einem unserer Gefängnisse passieren kann. In dem Zusammenhang habe ich mich auch gefragt, inwieweit auch ich persönlich Verantwortung trage.

Kann das nochmals passieren?

Wir haben – wie auch in der Vergangenheit – die Mitarbeiter sensibilisiert, auf die ärztliche Versorgung von älteren Insassen besonders zu achten. Außerdem bilden wir seit Längerem Menschenrechtstrainer aus.

Ein Beamter wünschte sich öffentlich das harte Lager zurück. Offenbar erreichen Sie nicht alle damit?

Die Meinung eines solchen Mitarbeiters ist nicht die Meinung des gesamten Strafvollzuges. Der Strafvollzug vertritt Werte, wie zum Beispiel die Achtung der Menschenrechte. Natürlich erreichen wir nicht alle unsere Mitarbeiter mit den Ausbildungsmaßnahmen.

Es gibt die Forderung, die Missstände in einem U-Ausschuss aufzuarbeiten. Was sagen Sie dazu?

Ich bin davon überzeugt, dass ein Untersuchungsausschuss dem Strafvollzug eine gewisse Aufmerksamkeit bringen wird und daher sage ich: Ja, ich bin dafür. In diesem Zusammenhang weise ich auf die Entwicklungen im Jugendvollzug hin. Vor zwei Jahren hatten wir noch 134 jugendliche Gefangene, heute durchschnittlich 80. Das zeigt, dass durch das Zusammenwirken verschiedener Institutionen Veränderungen möglich sind.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Die Fußfessel ist ein Erfolgsmodell. Wir haben derzeit 280 in der Fußfessel. Es wäre wünschenswert, die Bedingungen in einem Punkt zu ändern: Derzeit dürfen die Haftstrafe oder die Reststrafe nicht höher als zwölf Monate sein. Die Grenze sollte auf 18 Monate angehoben werden, damit mehr Leute die Fußfessel kriegen und Haft verhindert wird. Und um ein Missverständnisse aufzuklären: Die Fußfessel zu tragen, ist keine Erholung, sondern bringt auch immer psychischen Druck mit sich.

Außer bei Herrn Kartnig, der die Oper ging und seinen Geburtstag in einem Hotel feierte.

Er konnte damit nicht umgehen, deshalb wurde die Vollzugsform widerrufen. Fälle wie dieser ramponieren den Ruf der Fußfessel in der Öffentlichkeit. Beim Treffen der Anstaltsleiter haben wir den Fall eingehend als Schulbeispiel besprochen. Die Gewährung der Fußfessel setzt immer auch einen gewissen Vertrauensvorschuss voraus. Man kann nur die Persönlichkeit nach objektiven Kriterien prüfen und sagen: Ich glaube, dass er diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird. Ich würde mir eigene Bestimmungen für die Fußfessel wünschen. Zurzeit verwenden wir noch die Bestimmungen des geschlossenen Vollzugs und diese sind nicht immer kompatibel.

Welche Reformen fehlen, um die Gefängnisse zu entlasten?

Wir haben seit Jahren einen Überbelag und ich meine, dass wir weitere Alternativen zur Haft andenken sollten. Mein großes Anliegen ist die Haltung der Menschen, die im Strafvollzug arbeiten. Ich meine Verständnis; jemanden in einem positiven Sinn verändern wollen. Und ganz wichtig: Es müssen alle ein Beispiel sein. Wenn mir etwas gelungen ist, dann, dass ich ein Beispiel sein konnte. Es ist im Grunde ein sozialer Beruf.

Ist Einsperren noch zeitgemäß?

In einem modernen Strafvollzug müssen die Defizite der Menschen, die bei uns untergebracht sind, aufgearbeitet werden. Für alle gilt: Die Haft muss auf ein Minimum reduziert werden. Nur eingesperrt sein bringt nichts. Ich kann mir eine Reduktion der Anzahl der Justizanstalten vorstellen, wenn wir haftvermeidende Konzepte umsetzen.

Pfarrer

Der 1952 geborene Peter Prechtl hat technischer Zeichner gelernt, wollte aber eigentlich Pfarrer werden. Er besuchte das Priesterseminar und studierte Theologie, als ihm seine heutige Frau über den Weg lief. Der damals 29-Jährige sattelte auf Sozialarbeiter um und wechselte erst mit 30 zur Justiz.

Karriere

Als Justizwachebeamter begann Prechtl im Gefangenenhaus des inzwischen aufgelösten Wiener Jugendgerichtshofs, wurde dort stellvertretender Anstaltsleiter, später in Garsten in OÖ. 2002 übernahm Prechtl die Justizanstalt Wien-Josefstadt; seit 2012 ist der General Leiter der Vollzugsdirektion, die Mitte 2015 aufgelöst wird.

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