Ohnmacht an der Grenze

Immer wieder finden sich getrennte Familienmitglieder wieder.
Österreichs Grenzschützer können die Flüchtlinge nicht stoppen. Denn die meisten würden aus Verzweiflung sogar den Tod in Kauf nehmen.

Schmerzensschreie, Schreie der Todesangst. Schreckgeweitete Augen, verzerrte Gesichter. Die Menschen brüllen den Soldaten entgegen: "Wenn ihr uns nicht wollt, müsst ihr uns erschießen!" Diese Szenen spielten sich nicht in Libanon ab, nicht in Syrien – sondern am Grenzübergang Spielfeld in der Steiermark. Und für den Beobachter wird sofort klar: Das ist nicht nur so dahingesagt, diese Menschen meinen es ernst. Sie rennen durchnässt, zerlumpt, krank und am Ende der Kräfte gegen die Grenzbarrieren an. Sie würden den Tod in Kauf nehmen, wenn man sie nicht durchlässt.

Im lebensgefährlichen Tumult werden Familien getrennt. Wenn sie sich nachher wieder finden, kommt es zu berührenden Szenen.

Warum Deutschland?

Entweder Deutschland oder der Tod? Warum nur Deutschland? Der 35-jährige syrische Flüchtling Tamer erzählt, warum. Er war Lehrer in Damaskus, nebenbei auch Fremdenführer. Seit mehr als einem Jahr ist er mit seiner Frau und den zwei Kindern unterwegs.

Monatelang haben sie sich irgendwie in der Türkei durchgeschlagen. Sie haben in Lagern gehaust, und für wenig Geld Feldarbeit verrichtet. Sie haben die Ägäis überlebt, wurden in Mazedonien beraubt. Die Geldmittel sind aufgebraucht. Für den Weg zurück fehlt die Kraft. Die Ehefrau schleppt er mit, sie ist schon länger krank. In der Wohnung in einem Damaszener Vorort leben inzwischen andere Menschen.

"Deutschland hilft"

Ungarn, Slowenien, Österreich? Nein, diese Länder seien alle gleich. "Nur Deutschland hilft", wurde ihm gesagt.

Die Menschenmasse, gegen die sich österreichische Soldaten in Spielfeld mit Körpergewalt stemmen, ist einfach nicht zu halten. Dabei geht es doch nur darum, den Zuzug ins Aufnahmezentrum zu verlangsamen. Doch die Menschenmenge ist getrieben von wilder Entschlossenheit – ausgelöst durch Angst, Verzweiflung und Aussichtslosigkeit.

Soll man auf sie einprügeln? Soll man zusehen, wie sie im Grenzzaun verbluten oder im Morast erfrieren?

Angst im Grenzland

Szenenwechsel: Beim zweiten Durchbruch von Flüchtlingen am Grenzübergang am Mittwoch ging bei der Ortszufahrt in Spielfeld wieder die Feuerwehr in Stellung. Auf der Straße war der Tankwagen mit flackerndem Blaulicht postiert. Das ist das sichtbare Zeichen der Angst, die nun auch in der Grenzbevölkerung herrscht.

Die Feuerwehrleute soll diesmal keinen Ordnungsdienst beim Kirtag stellen. Sie sollen ungebetene Besucher am Betreten der Ortschaft hindern. Denn beim ersten Durchbruch waren Flüchtlinge auf der Suche nach Nahrung in den Ort geströmt.

Feuerwehreinsatz

Bei den grenznahen Kämpfen während der Slowenienkrise 1991 war hier alles voll mit Militär. Diesmal fühlen sich die Spielfelder aber allein gelassen. Der Feuerwehreinsatz ist daher ein Ausdruck der Angst und Verzweiflung auch in der österreichischen Grenzbevölkerung und macht nachdenklich. Denn für die Abwehr von ungebetenen Vertriebenen ist die Feuerwehr nicht ausgerüstet, nicht ausgebildet und auch nicht wirklich befugt.

Staat gefordert

Hier ist der Staat gefordert. Denn eine allgemeine Erscheinung in den Krisengebieten weltweit beim Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols ist die Bildung von lokalen Milizen.

Der Betrachter bleibt ratlos zurück. Wir werden wohl Drehkreuze bei den Grenzen errichten müssen – so wie bei den Fußballstadien. Ratlos ist auch die Politik. Sie liefert nur Plattitüden. Eine schnelle, praktikable Lösung ist nicht in Sicht.

Kommentare