Obduktionen: "Mördern bleibt Zeit, unterzutauchen"

Obduktionen: "Mördern bleibt Zeit, unterzutauchen"
Kriminologin kritisiert stockende Ermittlungen bei mysteriösen Todesfällen.

Im TV-Krimi wollen die Kommissare gleich am Auffindungsort der Leiche vom Gerichtsmediziner Tatzeit und Todesursache wissen. Spätestens am nächsten Tag liegen die Ergebnisse dann vor, nachdem die Obduktion durchgeführt worden ist.

Und in Wirklichkeit? Seit fünf bzw. seit fast vier Wochen warten die Ermittler auf die Obduktionsergebnisse in zwei mehr als mysteriösen Wiener Todesfällen. Beide werden von der Staatsanwaltschaft untersucht, bei beiden ist Fremdverschulden möglich, bei einem ist sich die Polizei sogar sicher. Doch die angeordneten Leichenöffnungen liegen im wahrsten Sinn des Wortes auf Eis, die Ermittlungen stocken.

Keine Gefahr

Obduktionen: "Mördern bleibt Zeit, unterzutauchen"
Fall eins betrifft den Kurden Cafer Ilkay. Der gelernte Bauarbeiter weigerte sich, als letzter Mieter aus einem Wohnhaus in Wien-Mariahilf auszuziehen. Die Hausverwaltung hatte Ilkay geschrieben, die Baustelle im Haus sei keine Gefahr für die Mieter. Am 3. August lag der Mindestrentner in der Früh tot unter einem Baugitter, seine Jause für den Tag stand noch in der Wohnung. Arbeiter im Haus meinten, so ein Tod sei ohne zusätzlichen Auslöser nicht erklärbar. Die Obduktion soll zeigen, ob jemand "nachgeholfen" hat.

Fall zwei betrifft das Facebook-Phantom "Vinzi-Gast": Miodrag Slavic, wie der Mann tatsächlich hieß, schilderte sein Abrutschen in die Obdachlosenszene und seine Rettung daraus. Der 25-Jährige starb laut Polizei am 13. August durch Fremdverschulden. Näheres soll die immer noch ausstehende Obduktion ergeben.

"Das kann ja nicht wahr sein", sagt die Kriminologin Katharina Beclin von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien: Wenn die Obduktion in ungeklärten Todesfällen wochenlang auf sich warten lasse, "bleibt den Mördern viel Zeit, sämtliche Spuren zu beseitigen und unterzutauchen." Die Polizei müsse doch schleunigst wissen, nach welcher Tatwaffe zu suchen ist und in welchem Täterkreis ermittelt werden muss.

"Nehmen wir zum Beispiel ein Messer als Tatwaffe. Waren es 15 Stiche? Das schaut nach einem emotionalen Exzess im Bekanntenkreis aus. Oder nur ein Stich? Das kann eine Rauferei unter Fremden gewesen sein", sagt Beclin. Nur mit solchen Hinweisen könnten die Kriminalisten gezielt ermitteln.

Seit Langem warnen Insider wie der Gerichtsmediziner Christian Reiter vor mangelndem Nachwuchs und dem daraus folgenden Stau bzw. Rückgang bei Obduktionen.

Bei der Staatsanwaltschaft heißt es resignierend: "Wir haben uns schon daran gewöhnt, dass das so lange dauert". Selbst die von der Justiz vorgegebene Frist von meist drei Wochen wird kaum mehr eingehalten.

Wien rühmt sich bei Mord einer Aufklärungsquote von 100 Prozent, doch die Bilanz hat einen Schönheitsfehler: Seit den 1990er-Jahren, als es noch weit mehr Obduktionen gab, hat sich die Zahl der Morde fast halbiert. Haben sich die Wiener besser unter Kontrolle oder wurden Tötungsdelikte übersehen?

Kriminologin Beclin verweist auf eine Studie der Uni Hamburg: 13.000 von Hausärzten oder Spitalsärzten für unbedenklich eingestufte Todesfälle wurden nachträglich gerichtsmedizinisch untersucht, in 800 Fällen fanden sich Hinweise auf ein Gewaltverbrechen. Das wäre in Österreich nicht anders, meint Beclin. Christian Reiter schätzt, dass 20 Morde im Jahr unentdeckt bleiben.

Der Rektor der Medizinischen Universität in Wien, Wolfgang Schütz, über die übersehenen Morde, und warum künftig EU-Ausländer statt Österreicher obduzieren werden.

KURIER: Seit Wochen gibt es keine Obduktionsergebnisse im den Fällen Ikay und Slavic. Warum dauert das so lange?

Wolfgang Schütz: Ich kann mir das nur mit der Urlaubszeit erklären. Was sagt denn die Staatsanwaltschaft dazu?

Die sagen: ,Fragen Sie in der Gerichtsmedizin nach ...‘

Also, die Staatsanwaltschaft schickt nicht alles zu uns, sondern es geht auch viel an private Gerichtsmediziner. Die machen das freiberuflich und sind billiger. Aber zu ihrer Frage: In der Regel dauert das in der Gerichtsmedizin nicht so lange.

Seit den 90er-Jahren hat sich die Zahl der Morde in Wien halbiert. Werden einfach mehr übersehen als früher?

Das hängt nicht mit den staatsanwältlichen Obduktionen zusammen, die sind seit Jahren konstant. Das können sie darauf zurückführen, dass die sanitätspolizeilichen Obduktionen abgenommen haben. Das waren früher 1500 Menschen pro Jahr, die mehr obduziert wurden. Ab 2007 war das der Stadt zu teuer oder sonst was. Das wird jetzt in den Spitälern auf der Pathologie gemacht. Das ist sicher ein gewaltiger Rückschritt.

Gerichtsmediziner Christian Reiter sagt, dass pro Jahr 20 Morde in Österreich unentdeckt bleiben. Glauben Sie das auch?

Das kann ich nicht beurteilen, er ist da sicherlich der bessere Experte.

Man hört immer wieder von Nachwuchssorgen in der Gerichtsmedizin. Wie schaut bei Ihnen die Zukunft aus?

Die ist schon etwas kritisch. Früher haben wir an den 1500 sanitätspolizeilichen Obduktionen ausgebildet. Bei jenen der Staatsanwaltschaft geht das nicht, weil da jemand persönlich beauftragt wird. Wir bekommen nur drei Viertel der Kosten refundiert. In Zukunft werden EU-Ausländer dann diese Aufgabe übernehmen, weil es keine Österreicher mehr gibt, die dafür ausgebildet werden.

Kommentare