Nach Platzsturm: Anzeigen vorbereitet, Match verlegt

Spieler von Maccabi Haifa wurden während eines Testspiels in Bischofshofen von Zuschauern angegriffen.
Verfassungsschutz ermittelt gegen rund 20 Personen. Das Match Haifa gegen Paderborn wurde verlegt.

Nach dem Platzsturm propalästinensischer Angreifer bei einem Testspiel der israelischen Fußballmannschaft Maccabi Haifa gegen OSC Lille in Bischofshofen am Mittwoch laufen intensive Erhebungen der Polizei. "Das Landesamt für Verfassungsschutz ermittelt gegen rund 20 Personen, vorwiegend türkischstämmige junge Erwachsene aus dem Pongau", sagte Polizeisprecher Ortwin Lamprecht am Freitag.

"Wir müssen die Identität der noch unbekannten Täter ausfindig machen und den Verdächtigen die einzelnen Delikte zuordnen. Dann wird angezeigt." Parallel dazu laufen derzeit die Einvernahmen der Spieler und Trainer der israelischen Gastmannschaft. "Es geht auch darum, ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln."

Ermittelt wird momentan wegen einer Reihe von Delikten: Verdacht auf Verhetzung, Verdacht auf absichtlich schwere Körperverletzung, Verdacht der Nötigung und Störung der öffentlichen Ordnung. Der Vorfall hatte österreichweit für große Empörung gesorgt.

Haifa-Testspiel verlegt

Das für Samstag geplante Testspiel Maccabi Haifas gegen Paderborn in Kirchbichl (Bezirk Kufstein) in Tirol wurde verlegt. "Aufgrund der Vorkommnisse in Salzburg am Mittwoch gibt es massive Sicherheitsbedenken", begründete Wilfried Ellinger, Vizebürgermeister von Kirchbichl, am Freitag die Entscheidung.

"Wir sind eine 5.000 Seelen-Gemeinde und haben nicht einmal eine eigene Polizeiinspektion im Ort", sagte Ellinger. Sollte es zu Ausschreitungen kommen, wäre es von der Sicherheitssituation her "einfach nicht zu bewältigen". Dieses Risiko wolle die Gemeinde nicht eingehen. "Das ist kein unfreundlicher Akt gegenüber den Mannschaften", betonte der Vizebürgermeister, "wir sind einfach nicht in der Lage für die Sicherheit zu sorgen". Stattdessen wird das Spiel in Leogang über die Bühne gehen.

Der Veranstalter des Testspiels, der in Leogang beheimatete SLFC, kann die Entscheidung der Gemeinde Kirchbichl "überhaupt nicht verstehen". Mit erneuten Ausschreitungen bei dem Spiel am Samstag rechnet Geschäftsführer Empl nicht.

"Kein Grund" für eine Absage

Zwar habe der Bürgermeister des Tiroler Ortes schon am Freitagabend angedeutet, das Spiel abzusagen. Die endgültige Entscheidung sei aber Samstagvormittag getroffen worden, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, so Empl. Es gebe "keinen Grund" für eine Absage, denn vom Innenministerium habe man bereits eine Genehmigung erhalten.

Im Laufe des Vormittags habe es dann auch Angebote anderer Gemeinden - darunter Telfs und Wien - gegeben. Schließlich sei aber die Entscheidung auf Leogang gefallen. Hier trainiere auch Haifa.

Für die Sicherheit im Stadion von Leogang ist nach Empls Worten seine Agentur, die SLFC, selbst verantwortlich und muss sie demnach auch selbst bezahlen. Er wolle zwischen 15 und 20 Polizisten für das Match engagieren. Mit Ausschreitungen - ähnlich derer von Mittwochabend während der Partei Haifa gegen OSC Lille in Bischofshofen - rechne er aber "überhaupt nicht".

Die Salzburger Exekutive äußerte sich über den bevorstehenden Einsatz nur knapp: Die Polizei hat vorgesorgt und wird alle notwendigen Maßnahmen setzen", sagte Polizeisprecher Ortwin Lamprecht. Aus taktischen Gründen können keine darüber hinausgehenden Informationen veröffentlicht werden. Koordiniert wird der Einsatz von der Landespolizeidirektion - in Absprache mit dem Bezirkspolizeikommando Zell am See.

Keine Bedenken

Auch der Bürgermeister von Leogang, Josef Grießner (ÖVP), hat am Freitag keine Bedenken geäußert, dass das in Tirol abgesagte Fußballspiel jetzt in seiner Gemeinde stattfindet: "Das Innenministerium hat dem Veranstalter des Fußball-Camps volle Rückendeckung zugesagt. Die Sicherheit ist gewährleistet, das bekommen wir auch schriftlich."

Maccabi Haifa sei bereits seit zwei Wochen auf Trainingslager im Ort und habe in der Gemeinde auch ein Testspiel gegen Eintracht Braunschweig absolviert. "Es hat in der Zeit des Aufenthalts der Mannschaft keinerlei Zwischenfälle gegeben", sagte Grießner. Er sei heute kurz vor Mittag kurzfristig über die Änderung des Spielortes informiert worden. "Ich halte das für eine gute Idee. Ich bin überzeugt davon, dass man sich von Aktionen wie in Bischofshofen nicht unterkriegen lassen soll. Sport soll ein friedliches Aufeinandertreffen sein." Er rechne beim Spiel am Samstag mit einem großen Aufgebot an Sicherheitskräften. "Ich hoffe, dass nicht unerwartete Ereignisse auftreten."

Traurige Berühmtheit

Nach Platzsturm: Anzeigen vorbereitet, Match verlegt
Die deutsche Zeitung"Die Welt"widmete den Attacken in Bischofshofen heute ihr Titelbild. "Der Antisemitismus ist aber keineswegs nur ein Problem der Migranten. Es bleibt in der Mitte der Gesellschaft greifbar", schreibt Ulf Poschardt, der stellvertretende Chefredakteur der WELT-Gruppe und fordert: "Dem Judenhass keinen Zentimeter."
Nach Platzsturm: Anzeigen vorbereitet, Match verlegt
Auch anderen deutschen Medien wie zum BeispielSpiegel Online,Zeit Onlineoder dieSüddeutsche berichten über den Vorfall und sind einstimmig der Meinung, dass so etwas "absolut nicht zu tolerieren" ist.

Ebenfalls war der Platzsturm ein Thema in den israelischen Medien. So zitiert die Jerusalem Post ein Statement von Maccabi Haifa: "Wir verurteilen die Gewalt gegen uns. Das hatte nichts mit Sport oder Fußball zu tun, sondern weil wir als Team Israel repräsentieren." Auch im englischen Sprachraum wird über den Vorfall gesprochen und geschrieben - vom britischen Guardian bis hin zu den New York Daily News.

Auch KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter positioniert sich klar: "Dass dieser Hass auf Österreich übergreift, ist unerträglich." (Mehr dazu hier.)

Heftige Kritik löste der Angriff auf Spieler des israelischen Fußballvereins Maccabi Haifa in Bischofshofen aus. Türkischstämmige Jugendliche hatten sie Mittwochabend beim Freundschaftsspiel gegen den OSC Lille attackiert. Verletzt wurde zum Glück niemand (siehe unten).

Politiker aller Couleur reagieren mit Empörung auf den Angriff in Bischofshofen. „Gäste, die sich in Österreich aufhalten, haben das Recht, das in Sicherheit zu tun – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer religiösen Zugehörigkeit“, sagte etwa Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Und auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) stellt klar, dass es „gegenüber religiös oder antisemitisch motivierter Gewalt absolut null Toleranz geben“ dürfe.

Der Sprecher des Clubs der Freunde Israels, Daniel Kapp, findet es „inakzeptabel, dass der Nahostkonflikt über die türkische Community nun auch nach Österreich überzuschwappen scheint“.

Warum er von 20 Gewalttätern auf die gesamte türkische Community schließt, erklärt Kapp so: „Erstens wurde bereits die Anti-Israel-Demonstration am Sonntag in Wien überwiegend von der türkischen Community getragen. Und zweitens macht es uns sehr nachdenklich, dass so etwas jetzt schon in einem kleinen Ort wie Bischofshofen passiert – da gibt es also offenbar eine ganz schlimme Verhetzung. Und die wird aus dem Ausland hereingetragen und zwar aus der Türkei.“

Nur auf den ersten Blick unerwartete Unterstützung bekommen die Freunde Israels von der FPÖ: Österreich habe eine geschichtliche Verantwortung gegenüber Israel und müsse besonders sensibel mit antisemitischen Vorfällen umgehen, sagte Parteichef HC Strache. „Wenn mutmaßlich muslimische Zuwanderer glauben, ihre Konflikte in ihrem Gastland Österreich austragen zu müssen, dann sind sie hier falsch.“

DIE sind antisemitisch

Mit Äußerungen wie diesen würden auch Muslime pauschal angegriffen, die nicht radikal sind, sagte Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger im Ö1-Mittagsjournal. „Und zwar nicht unbedingt, weil wir kritischer gegenüber Antisemitismus geworden wären, sondern weil wir jetzt sagen: ,Schaut, DIE sind die Antisemiten, nicht mehr wir.‘“

Birol Kilic, Sprecher der türkischen Kulturgemeinde, gibt Schmidinger recht: Er findet Straches Statement „heuchlerisch und zynisch“. Die „primitive Attacke“ von Bischofshofen verurteile man aufs Schärfste. Den Tätern gebühre „die schärfste gesetzliche Strafe“.

Einer, der vergangene Woche selbst an der Anti-Israel-Demo teilnahm, ist Fatih Köse von den „New Vienna Turks“. „Ein Land zu kritisieren hat nichts mit Antisemitismus zu tun“, meint er. Zu Bischofshofen sagt der Aktivist: „Ich verurteile die sinnlose Attacke.“

Sein Bedauern drückt auch Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, aus. An deren Mitglieder appelliert er, Probleme nicht nach Österreich zu importieren.

Sport hat politikfrei zu bleiben. Immer seltener ist es möglich, dieses ungeschriebene Gesetz der Sportjournalistik einzuhalten. Siehe Sotschi, siehe WM in Brasilien. Selbst bei Freundschaftsspielen geht es zurzeit gar nicht freundschaftlich zu.

In Bischofshofen erzwangen pro-palästinensische Zuschauer den Abbruch der Trainingspartie LilleMaccabi Haifa. Der KURIER berichtete (Nach Platzsturm: Türken fordern "schärfste Strafe"). Sie attackierten israelische Fußballer. Diese Nachricht erregt mehr internationales Aufsehen als das ehrenwerte 1:1 von Wolfsberg gegen Chelsea. Oder Rapids 3:1 gegen Galatasaray in einem Test, der ebenfalls von (türkischen) Fans gestört wurde.

Das Spiel fand im Happel-Stadion statt, wo sich Randalierer bedingt durch den großen Abstand zwischen Tribünen und Spielfeld leichter neutralisieren lassen als im engen, abbruchreifen Hanappi-Stadion. Und wo die Ordnungshüter auch in nächster Zeit Heimvorteil haben, weil dort neben den Liga-Spielen von Untermieter Rapid heuer noch drei EM-Qualifikationsspiele stattfinden: Am 8. September gegen Schweden, am 12. 10. gegen Montenegro und am 15. 11. gegen Russland, dessen oberster Fußballfan es Sportberichterstattern besonders schwer macht, die Politik zu ignorieren. Zumal Wladimir Wladimirowitsch Putin schon im Herbst 2010 die WM für 2018 an (Russ-)Land ziehen und Konkurrent England (trotz Wahlwerbern wie David Beckham und Prinz William) austricksen ließ.

In Anbetracht des Ukraine-Konflikts fordern immer mehr EU-Politiker, die FIFA müsse Russland die WM wegnehmen. Einerseits fänden sich mit Deutschland, England, Spanien genug würdige Ersatzveranstalter. Andrerseits sponsert Gazprom nicht nur die Champions League. Es gibt auch sonst zu viele Interessen, die mit einem WM-Verbot für Moskau kollidieren. Denn wie in der Wirtschaft gilt für den Fußball: Wo der Rubel rollt, hört sich die Moral auf.

PS: Österreich war an der WM-Vergabe zugunsten Putins schuldlos. Der ÖFB ist in der FIFA zu unbedeutend, keiner seiner Funktionäre gehörte dem 27-köpfigen Wahlkomitee an.

In Berlin skandierten Demonstranten antijüdische Parolen ("Jude, Jude, feiges Schwein"), in Paris kam es zu Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung und am Bosporus wirft der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan Israel vor, Hitler in Sachen Barbarei übertroffen zu haben.

Nun stellt sich eine alte Frage erneut: Wo hört Israelkritik auf, wo fängt Antisemitismus an? Im KURIER-Gespräch erklärt der Nahost-Experte John Bunzl, warum Israel ein ambivalentes Verhältnis zum Antisemitismus hat und eine Differenzierung der Begriffsverwendung nötig wäre.

KURIER: Herr Bunzl, seit Beginn der Operation "Fels in der Brandung" häufen sich die Demonstrationen gegen Israels Vorgehensweise im Gazastreifen. Oft schlägt der Protest jedoch in Judenhass um. Wie kommt das?

John Bunzl: Ich bin vorsichtig bei der Charakterisierung der Demonstrationen als antisemitisch. Es handelt sich nicht um einen Antisemitismus im klassischen Sinne, also um eine Verurteilung der Juden weil sie Juden sind – sondern um eine verschobene Solidarisierung mit den Palästinensern. Die Proteste sind punktuell gegen das israelische Militär, gegen die Unterdrückung der Palästinenser, gegen die drakonischen Strafen etc. gerichtet.

Und doch gibt es Ausschreitungen in Paris und antisemitische Parolen in Berlin...

Ja, diese Auswirkungen sind antisemitisch, sie sind gegen Juden gerichtet. Es ist absolut zu verurteilen. Der Kontext ist nur nicht der des klassischen Antisemitismus: Es ist nicht wie in der Reichskristallnacht 1938, als die Tempelgasse-Synagoge in Wien völlig zerstört wurde, weil sie eine Synagoge war. Aber dass es antisemitische Äußerungen gab und noch immer gibt, ist eine traurige Tatsache.

Nach Meinung des französischen Premierministers Manuel Valls würden sich Antisemiten in einem antizionistischen Kostüm verstecken. Wie kann man das verstehen?

Neben dem Antizionismus, der die Existenz oder die Strukturen des Staates Israel ablehnt, gibt es jenen Antizionismus, der tatsächlich antisemitisch konnotiert ist. Das ist dann der Fall, wenn Israel attackiert wird, entweder weil es jüdisch ist oder weil die Gefühle gegen den Zionismus in Wirklichkeit dem eigenen psychischen Haushalt dienen. Das sieht man besonders häufig, wenn Staaten das israelische Vorgehen mit dem Nazi-Verbrechen gleichsetzen. Dadurch fühlen sich viele von ihren vergangenen Taten entlastet. Das ist eine Israelfeindlichkeit mit antisemitischen Motiven.

Bei den Demonstrationen auch?

Wenn man sich die Proteste ansieht, muss man differenzieren. Wenn jemand gegen die Bombardierung von Gaza protestiert, gegen die Siedlungspolitik, gegen Verfolgung und Unterdrückung, dann muss das Motiv zwangsläufig nicht antisemitisch sein. Auch in Israel wird gegen das Vorgehen protestiert. Den Teilnehmern wird dann Antizionismus vorgeworfen.

Israel und andere Staaten sehen trotzdem einen Anstieg von Judenfeindlichkeit.

Die Grenze zwischen israelkritischen und antisemitischen Äußerungen ist schwammig. Es ist problematisch, wenn eine Kritik gegen den Staat Israel als Antisemitismus gewertet wird. Laut einer Umfrage gilt der Nahost-Konflikt als der gefährlichste Konflikt weltweit. Das wurde zunächst als antisemitisch gewertet. Aber auch die Gefährlichkeit der Gegner oder die Gefährlichkeit der Region müssen miteinbezogen werden. Es wird zu oft pauschalisiert.

Woher kommt die häufige Verwendung des Begriffes?

Die israelische Einstellung gegenüber Antisemitismus ist ambivalent. Israel versteht sich als Staat der Juden, nur hier sind Juden sicher und frei. Und wenn in anderen Ländern hohe Werte von antisemitischen Ressentiments gemessen werden, dann legitimiert sich der Staat Israel. Deshalb werden israelkritische Äußerungen sehr schnell als antisemitisch gedeutet. Eine Verharmlosung von Antisemitismus ist eine sehr unangenehme Nebenwirkung des inflationären Gebrauchs des Vorwurfes.

Kommen wir noch kurz zum Konflikt im Gazastreifen. Wie könnte dieser doch noch gelöst werden?

Kurzfristig kann es nur um einen Waffenstillstand gehen. Dieser würde die Gesamtsituation aber nicht wirklich verändern.

Und langfristig ...

... läuft es auf ein riesiges, instabiles Gefängnis mit Gefängnisrevolten hinaus. Die israelische Herrschaft zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan inklusive Gaza wird sich konsolidieren. Es wird ein paar autonome Flecken von palästinensischen Selbstverwaltungen geben, die von Israel abhängig sein werden. Utopisch ist derzeit ein demokratischer Staat, in dem alle Bevölkerungsschichten die gleichen Rechte haben. Dieser wäre letztendlich aber eine Perspektive, der man nachgehen sollte.

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