Pflicht-Beratung für Gewalttäter

Die Innenministerin will, dass amtsbekannte Täter verpflichtend ein Gespräch führen müssen

Die Innenministerin nimmt den Fall der Grazer Amokfahrt zum Anlass, um im Bereich des Gewaltschutzes nachzubessern. Angedacht ist eine verpflichtende Beratung für Gewalttäter, gegen die eine Wegweisung oder ein Betretungsverbot vorliegt. ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will darüber mit dem Koalitionspartner SPÖ Gespräche aufnehmen. „Ich will im Sicherheitspolizeigesetz eine verpflichtende Rechtsberatung für Weggewiesene.“ Außerdem ist ein Runder Tisch geplant. Experten aus den Ressorts Frauen, Justiz, Soziales und Familien suchen nach einem Weg, wie in das bestehende Gewaltschutzsystem auch ein psychologischer Dienst für Gewalttäter implementiert werden kann.

7587 Interventionen

Auch Alen R., der Grazer Amokfahrer, war amtsbekannt. Die Polizei bestätigte, dass der 26-Jährige „gewaltbereit“ aufgefallen sei. Ende Mai sei er mit einem Betretungsverbot belegt worden. Österreichweit wurden laut Ministeriumsstatistik im Vorjahr 7587 Betretungsverbote (inklusive dem erweiterten Schutzbereich wie Schulen, Kindergärten, etc.) und Wegweisungen ausgesprochen. Das Modell gilt zwar europaweit als vorbildhaft, doch am Montag erneuerten Experten aus Beratungseinrichtungen ihre Kritik an der mangelhaften Täterarbeit.

Nach einer Wegweisung nehmen zwar verpflichtend Interventionsstellen mit den Opfern Kontakt auf. „Die Täter“, sagt Arno Dalpra, Psychotherapeut und Leiter der Gewaltberatung des Instituts für Sozialdienste (Ifs) in Vorarlberg, „werden aber alleine gelassen.“ Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, betont er, dass es nicht um Hilfe, sondern um ein „psychosoziales Angebot, um Konfrontation“ geht.

Dalpra brachte am Montag den Vorschlag auf das Tapet, die Daten von Weggewiesenen verpflichtend an Beratungsstellen weiterzugeben, um früh intervenieren zu können. Eine datenschutzrechtliche Hürde sei dies nicht. Denn derzeit werde auch den Interventionsstellen, die sich um die Opfer kümmern, der Gefährder (Weggewiesene Anm.) bekannt gegeben.

Projekt in Vorarlberg

In Vorarlberg geschieht dies seit dem Jahr 2011, allerdings auf freiwilliger Basis. Polizisten fragen die Betroffenen, ob sie ihre Telefonnummer an Dalpra und sein Team weitergeben dürfen. Ein Drittel stimmt zu, und davon nutzt etwas mehr als die Hälfte das Angebot, mit einem Berater persönlich zu sprechen. Dalpra sagt, es sei wichtig, zeitnah die Betroffenen mit ihrer Tat zu konfrontieren. Je weiter der Vorfall zeitlich zurückliege, umso verklärter sei die Sicht der Täter. „Jede Einsicht eines Täters bringt Opfern Sicherheit“, betont Dalpra.
Offen ist die Frage, wer das finanziert. Bisher fehlte das Geld. Ein Konzept des Bewährungshilfevereins Neustart scheiterte mangels Ressourcen des Innenministeriums.

Weder der Täter selbst noch dessen Ehefrau konnten bisher bei den polizeilichen Einvernahmen ein eindeutiges Motiv für die blutige Menschenjagd in Graz nennen. Einen vagen Hass auf Türken hat Alen R. (26) bisher in einem Verhör genannt. Das würde zumindest erklären, warum das erste Opfer ein (allerdings Bosnisch-stämmiges) Paar war – die Frau trug ein Kopftuch. Und auch eine weitere Frau, die er vor dem Spar-Markt mit einem Messer bedroht hatte, soll ein Kopftuch getragen haben.

Neben Adis Dolic, der (wie Alen R.) aus der bosnischen Gemeinde Velika Kladuša, stammt, wurden eine noch unbekannte Frau und der vierjährige Valentin (Sohn einer Grazerin und eines Bulgaren) bei der Wahnsinnsfahrt getötet.

Alles dies bietet – entgegen so mancher Medienberichte – bisher keine Hinweise auf einen terroristischen Akt, den die zuständige Staatsanwaltschaft sowie die Polizei ohnehin ausschließen. Dennoch wurde Alen R.’s Computer konfisziert und wird nun genauer untersucht. Geklärt werden soll außerdem, ob er tatsächlich vor der Bluttat ein Facebook-Posting mit dem Inhalt "Hu**nsöhne, Not in my name" abgesetzt hat. Unklar ist weiterhin, ob der Festgenommene überhaupt zurechnungsfähig ist. Weitere Untersuchungen sind für die kommenden Tage geplant.

Seine Ehefrau war (mit den zwei Kindern) offenbar nicht, wie bisher angenommen, in Bosnien. Sie gab in einer Einvernahme an, dass sie seit Längerem keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann hatte.

In Kalsdorf, wo Alen R. wohnte, ist die Betroffenheit groß. "Schlimm ist ein Hilfsausdruck", sagt Pfarrer Josef Windisch. "Das ist ein Ereignis, das bei all seiner Tragik zum Miteinander führt. Religion und Hautfarbe spielen keine Rolle." Entsprechend rief er in der Sonntagsmesse auch dazu auf, nicht nur für die Opfer, sondern auch für den Täter zu beten. "Das heißt nicht, dass wir die Tat gutheißen."

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