Mysterium um NATO-Störsender

Fluglotsen sehen auf ihren Radarschirmen nur Flugzeuge mit funktionierenden Bordsendern.
Es verdichten sich die Hinweise, dass eine Geheimwaffe der NATO die zivilen Flugradars blockierte.

Es war ein KURIER-Exklusivbericht über eine mutmaßliche Panne bei einer NATO-Übung für elektronische Kampfführung, der weltweit für Aufregung gesorgt hatte. Denn offenbar haben übereifrige Elektronik-Krieger an zwei Tagen für jeweils mehrere Stunden die Systeme der zivilen Luftraumsicherung in halb Mitteleuropa lahmgelegt. Nach einer mehr als zweimonatigen "Schrecksekunde" verdichten sich nun auch in Deutschland die Indizien dafür, dass die NATO den Ausfall der Systeme verursacht hat. Heute Abend präsentiert der ARD im "Report München" seine Rechercheergebnisse.

Am Donnerstag, dem 5. Juni, verschwanden von den Radarschirmen in Wien, Karlsruhe, Prag, Bratislava und Budapest immer mehr Flieger. Dazu muss man wissen, dass die zivilen Fluglotsen nicht mit aktivem Radar wie die Militärs arbeiten. Sie können nur über ihre Bodenempfänger die Signale der Sender (Transponder) der Flugzeuge empfangen. Und die wurden wie von Geisterhand ausgeschalten.

Notbetrieb

Die Fluglotsen schalteten auf Notbetrieb. Zusätzliches Personal wurde alarmiert. Per Sprechfunk fragten sie von den Piloten die Positionen ab. Außerdem wurden die Abstände vergrößert, wodurch Zusammenstöße vermieden werden konnten.

Noch während des Ausfalles begann die Ursachenforschung der Flugverkehrskontrollzentralen. Ein Systemfehler wurde ausgeschlossen. Denn da wären nicht alle Flugverkehrszentralen betroffen gewesen. Auch kosmische Strahlung als Ursache schied aus. Folglich, so vermutete man, müsse es eine Ursache von außerhalb sein.

Mysterium um NATO-Störsender
Der erste Hinweis kam vom Nationalen Lageführungszentrum Üdem in Deutschland. Demnach habe man in Erfahrung gebracht, dass just zu diesem Zeitpunkt eine elektronische Störübung der NATO in Ungarn stattgefunden habe. Ins Bild passt dazu auch die Auskunft der zivilen Flugverkehrskontrollzentrale in Budapest, wonach man wegen einer "Vorwarnung" nicht von den Ausfällen betroffen gewesen sei. Welche Art von Vorwarnung und von wem, teilten die Ungarn nicht mit.

Also bleibt nur die Vermutung, dass die NATO eine neue Geheimwaffe zum Blockieren der Transponder ausprobiert hatte – wobei sich das Signal offenbar weit über den Übungsraum hinaus verbreitet hat.

Die NATO gibt zu derartigen Unternehmungen prinzipiell keine Stellungnahmen ab. Als sich am 10. Juni der Vorfall wiederholte, wurde sogar eine Übung bestritten. Über das Blackout wurde auch von den Betroffenen der Mantel des Schweigens gehängt. Dem KURIER liegt aber ein genaues Protokoll der Affäre vor. Der KURIER-Bericht wurde schließlich von der Austro Control und Karlsruhe bestätigt, wenn auch in sehr zurückhaltender Form.

Klare Bestätigung

Klar äußerten sich später die slowakischen Behörden, die festhielten: "Das Verschwinden von Flugzeugen vom Radarschirm steht im Zusammenhang mit Truppenübungen, die in verschiedenen Teilen Europas am 5. und 10. Juni über die Bühne gegangen sind."

Schweigen herrschte bis jetzt auch in der deutschen Medienlandschaft. Nur der Spiegel wagte sich an das Thema heran, und zitiert eine Anfragebeantwortung der Bundesregierung an den Politiker Andrej Hunko, wonach an beiden Tagen in Ungarn und Italien eine Übung zur elektronischen Kampfführung mit dem Namen "NEWFIP" durchgeführt wurde.

Auch der ARD-Redakteur Fabian Mader stand bei seinen Recherchen wiederholt vor Mauern des Schweigens. Eine wesentliche Recherchequelle war der KURIER. Er konnte aber weitere, bemerkenswerte Details beschaffen und präsentiert sie heute, um 21.45 Uhr im "Report München" am Kanal Das Erste.

Günther Tafeit, der für die Eurofighter-Piloten zuständige Gewerkschafter , äußerte in einem KURIER-Interview die Befürchtung, dass die Luftraumüberwachung durch das neue Sparpaket des Bundesheeres auf der Strecke bleiben könnte. Tafeit: "Was jetzt passiert, ist verantwortungslos."

Die Sparpläne des Generalstabes, die auf eine radikale Einschränkung des Eurofighter-Flugbetriebes hinauslaufen, erfahren Journalisten heute, Dienstag, im Verteidigungsministerium.

Bei der Beschaffung der Eurofighter im Jahr 2002 ließ der damalige Finanzminister Karl Heinz Grasser ins Protokoll die Zusagen schreiben, dass die um 50 Millionen Euro höheren Betriebskosten dem Bundesheer abgegolten würden. Das Geld hat das Heer nie bekommen. Ebenso wie jene etwa 200 Millionen, die sich Verteidigungsminister Norbert Darabos nach der Abrüstung der Maschinen von der Eurofighter GmbH refundieren ließ.

Pleite

Jetzt droht die Gefahr, dass der Eurofighter-Flugbetrieb die Landstreitkräfte in die Pleite treibt. Die sind bald so weit. Wegen der Ersatzteilkosten werden 700 Geländefahrzeuge ausgeschieden. Alte Uniformen werden auf neu getrimmt, und sogar Kopierpapier wird rationiert.

Die Flugstunden wurden bereits reduziert. Das kostete sechs der 18 Eurofighter-Piloten die Fluglizenzen, weil sie nicht mehr auf ihre erforderlichen Flugstunden kommen.

Es könnte noch mehr Piloten treffen. Nach internen Überlegungen könnte der Flugbetrieb auf die Bürostunden von 8 bis 16 Uhr reduziert werden. Das war auch in der Schweiz der Fall. Allerdings nur bis Februar, als eine entführte äthiopische Boeing außerhalb der Bürostunden von zwei französischen Mirage zum Flughafen Genf eskortiert werden musste. Jetzt fahren die Schweizer ihre Luftwaffe wieder auf Dauerbetrieb hoch.

Im Gespräch ist auch ein Abkommen mit den Nachbarstaaten für die "Nacheile" von Kampfflugzeugen über die Staatsgrenze. Das bedeutet, dass künftig ungarische Gripen ein entführtes Flugzeug bis zum Flughafen Wien eskortieren können, oder dass deutsche Abfangjäger unkommunikative Flugzeuge bis über die Alpen verfolgen dürfen. Eine größere Rolle werden künftig auch die fast 50 Jahre alten, aber im Flugbetrieb billigen Saab-105 spielen.

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