Listerien-Quargel: Käse irrtümlich entsorgt

Die fünf Angeklagten am Straflandesgericht Graz.
Fünf Angeklagte sowie die Firma Prolactal müssen sich wegen schwerer Körperverletzung verantworten.

Der Prozess rund um den Listerien-Quargel ist am Mittwoch im Grazer Straflandesgericht fortgesetzt worden. Als Zeugin wurde die Tante jenes Mannes gehört, der seit dem Genuss des kontaminierten Käses im Rollstuhl sitzt (mehr dazu unten). Sie schilderte, dass die Familie auf Geheiß eines unbekannten Anrufers alle angebrochenen Lebensmittel weggeworfen hatte. Eine Beweissicherung war dadurch nicht mehr möglich.

Opfer im Rollstuhl

Die fünf Angeklagten sowie die Firma Prolactal müssen sich wegen schwerer Körperverletzung verantworten. Eines der mutmaßlichen Opfer fiel Anfang 2010 ins Koma, nachdem es den Käse gegessen haben will. Seitdem sitzt der Arzt im Rollstuhl und kann nur schwer sprechen. Er wohnt bei seinen Eltern, die sich mit 87 bzw. 90 Jahren nun um den Sohn kümmern müssen. Die Tante des Mannes schilderte, wie die Familie zwei Tage nachdem der Mann ins Koma gefallen war einen Anruf bekommen habe: "Jemand hat gesagt, wir sollen alles aus dem Kühlschrank, das nicht originalverpackt ist, wegwerfen." Die Angehörigen taten das auch - und vernichteten damit vermutlich wichtige Beweise, die so nicht mehr sichergestellt werden konnten.

Am Wort war vor Gericht auch nochmals der Sachverständige Rudolf Bliem, der erneut erklärte, es seien etliche Chargen des Quargels in den Verkauf gekommen, die gesperrt bzw. rückgeholt hätten werden müssen. Besonders zwei Chargen Ende 2009 seien "hochbelastet" gewesen, so der Gutachter. Eine davon dürfte dem Arzt zum Verhängnis geworden sein, er soll kurz nach Weihnachten von dem verseuchten Käse gegessen haben.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt, dann sind zwei medizinische Sachverständige am Wort. Ein Urteil ist für Freitag (19.9.) angekündigt.

Wie man sich vor Listerien schützt:

Andreas Peilowich war ein Lebemann. Der erfolgreiche Pharma-Manager und Mediziner liebte Motorräder und flog rund um die Welt. Und er war ein ordentliches Mannsbild. „Ich bin mit 100 Kilo eingeschlafen“, sagt er. „Aufgewacht bin ich mit 48. Ich war nur mehr Haut und Knochen.“

Listerien-Quargel: Käse irrtümlich entsorgt
Listerien von reibenwein
Heute sitzt der 57-Jährige im Rollstuhl. Das Sprechen fällt ihm schwer, er leidet unter Sehstörungen. „Ich bin ein Krüppel, der Blöde im Rollstuhl – nur weil ich Käse gegessen habe“, sagt er zornig. „Ist das noch ein Leben?“

Bewusstlos

Es war der Jahreswechsel 2009/’10. Peilowich war in seiner Wiener Wohnung, hatte ein paar Tage zuvor Quargel gegessen. Zu Silvester ging es ihm plötzlich schlecht, er bekam hohes Fieber. „Ich leg mich hin, mir geht’s nicht gut“, sagte er zu seinem Vater am Telefon. Dann ist die Erinnerung weg. Erst Tage später wurde Peilowich bewusstlos in seiner Wohnung gefunden.

Eine Bekannte, mit der er spazieren gehen wollte, machte sich Sorgen, als der Manager nicht auftauchte und nicht erreichbar war. Die Frau ging zur Wohnung – vor der Tür stapelten sich die Zeitungen. Auf Klopfen und Läuten reagierte niemand. Sie alarmierte die Einsatzkräfte, die schließlich die Tür zur Wohnung des Mannes öffneten.

„Am Anfang haben alle geglaubt, er hatte einen Schlaganfall“, erzählt Vater Eduard Peilowich. Erst Tage später fiel die richtige Diagnose: Listeriose, eine hochgefährliche bakterielle Infektion. Eine Gehirnflüssigkeitsprobe, mit der man den Erreger-Stamm hätte herausfinden können, wurde im Krankenhaus genommen. „Aber die ist verschwunden. Weil das Personal überarbeitet war“, schüttelt der Vater ungläubig den Kopf.

Käse vernichtet

Und: Wenige Tage nach der Einlieferung des Managers ins Spital, kam ein Anruf. „Wir sollten alle Lebensmittel aus dem Kühlschrank entfernen und ihn mit Essigwasser auswaschen“, erinnert sich Eduard Peilowich. Zwei Tage später einer neuerlicher Anruf: „Da sollten wir den Käse, der im Kühlschrank ist, vorbeibringen.“ Doch der war schon längst entsorgt.

Drei Monate lang lag der Manager im Koma. Die Organe versagten. Die Eltern kamen täglich ans Bett ihres Sohnes. Einmal erlaubte eine Schwester dem besorgten Vater,länger zu bleiben. Denn das Herz des damals 54-jährigen Patienten wollte nicht mehr. Man rechnete mit dem Schlimmsten. Andreas Peilowich überlebte – doch seinen Vater nahm der Vorfall so sehr mit, dass er einen Herzanfall erlitt und seither einen Herzschrittmacher trägt.

Das alles hätte vermieden werden können, ist sich die Familie sicher – vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Klauser. Und klagt auf 2,3 Millionen Euro (Schadenersatz, Reha-Kosten, Verdienstentgang). Unter anderem Quargel-Hersteller Prolactal, die Republik Österreich und die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Sowohl Hersteller als auch Kontrollorgane hätten wesentlich früher von den Bakterien im Käse gewusst bzw. wissen müssen. Zudem sei die Warnung an die Bevölkerung viel zu spät erfolgt. Termin und Ort der Verhandlung stehen noch nicht fest.

Acht Menschen sind zwischen Juni 2009 und Februar 2010 in Österreich und Deutschland nach dem Konsum von mit Listerien verunreinigtem Rohmilchkäse des oststeirischen Werks der Firma Prolactal gestorben. Folgend eine Chronologie des Lebensmittelskandals und der Weg bis hin zum ersten Prozesstag:

Jänner 2010 - Die steirische Landessanitätsdirektion und die damalige Gesundheitslandesrätin Bettina Vollath (SPÖ) erfahren durch die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) von der Möglichkeit eines Listerienbefalls bei den Produkten der Firma Prolactal. Am 13. und 18. Jänner werden Proben gezogen. Von zehn Teilproben sind sechs befallen. Laut AGES wurde am 15. Jänner der epidemiologische und am 21. Jänner der mikrobiologische Nachweis erbracht, dass es sich um den Käse der Firma Prolactal handelte.

22. Jänner 2010 - Die Landessanitätsdirektion erlässt wegen Gefahr im Verzug einen mündlichen Bescheid, laut dem die Firma keine Produkte mehr in den Verkehr bringen darf. Der schriftliche Bescheid erfolgt am 25. Jänner. Über die zeitliche Abfolge der Alarmierung und das Krisenmanagement entspann sich in der Folge ein Streit zwischen Bundes- und Landesbehörden; die Frage nach der politischen Verantwortung wurde aufgeworfen.

23. Jänner 2010 - Prolactal startet eine Rückholaktion von 50 bis 60 Tonnen Käse. Betroffen sind unter anderem österreichische Märkte von Spar und der Rewe-Gruppe sowie deutsche Lidl-Filialen.

15. Februar 2010 - Es wird bekannt, dass 2009 zwölf Menschen in Österreich an dem im Käse gefundenen Listerien-Typus erkrankt sein sollen. Laut Gesundheitsministerium starben vier der Betroffenen. Auch in Deutschland werden zwei Todesfälle auf den Käse zurückgeführt. 2010 können in Österreich drei von elf Erkrankungen dem Bakterien-Typus zugeordnet werden.

16. Februar 2010 - Prolactal stellt die Produktion ein, bis die Ursachen für die Verunreinigung restlos geklärt sind. Laut Gesundheitsministerium handelt es sich bei dem Listerien-Typus um einen Stamm, der noch nie zuvor eine Erkrankung bei Menschen hervorgerufen hat. Bei zwei Überprüfungen von Prolactal im Jänner und Mai 2009 waren keine Überschreitungen von Listerien-Grenzwerten festgestellt worden.

18. Februar 2010 - Die Grazer Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein. Prolactal erneuert die Verbraucherwarnung für den rückgerufenen Käse und warnt vor dem Verzehr. Gleichzeitig beauftragt die Firma ein unabhängiges Expertenteam mit der Ursachenerforschung.

24. Februar 2010 - Ein weiterer Todesfall in Österreich - der fünfte seit Ausbruch der Infektionen - wird bekannt. Um eine groß angelegte Sicherheitskontrolle durchzuführen, stoppt das Hartberger Werk von Prolactal die Auslieferung sämtlicher Produkte.

26. Februar 2010 - Auch in Deutschland ist ein weiteres, das insgesamt dritte Todesopfer zu beklagen: Die Person starb nach einem Verzehr des Käses am 11. Februar. Insgesamt sind somit acht Menschen im In-und Ausland im Zusammenhang mit der Listerien-Belastung in Prolactal-Produkten ums Leben gekommen.

28. Februar 2010 - Ein Fehler im internen Warn- und Kontrollsystem wird als Ursache für die Listerien-Kontamination vermutet. Als Überträger werden Dungkäfer angenommen, die offenbar trotz engmaschiger Fliegengitter durch ein geöffnetes Fenster ins Innere gelangten und im Herbst 2009 auffielen.

1. März 2010 - Laut AGES könnten die ersten Verunreinigungen mit Listerien bereits im Frühjahr 2009 passiert sein. Weiters heißt es, dass Dungkäfer nicht der alleinige Auslöser gewesen sein dürften.

21. April 2010 - Der Nationalrat beschließt eine Novelle zum Lebensmittelgesetz mit dem Ziel, eine schnellere Information der Bevölkerung durch die Behörden bei Lebensmittelskandalen zu gewährleisten. Abgelehnt wurde das BZÖ-Begehren einer Ministeranklage gegen Gesundheits-Ressortchef Alois Stöger (S).

23. April 2010 - Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) fordert für mehrere Geschädigte Schadenersatz.

15. Mai 2010 - Die Staatsanwaltschaft Heilbronn leitet Ermittlungen gegen den Discounter Lidl in Deutschland ein. Käse soll trotz Listerien-Belastung verkauft worden sein.

21. Mai 2010 - Prolactal wird gemeinsam mit dem Stuttgarter Verbraucherschutzministerium in Deutschland angezeigt.

Oktober 2010 - Die Staatsanwaltschaft Graz spricht nach einem eingeholten Gutachten von "Fehlern im Qualitätsmanagement" und "mehreren Nachlässigkeiten".

9. November 2010 - Die Prolactal SauermilchkäsevertriebsgmbH wird vom Linzer Stammbetrieb abgespalten.

9. Dezember 2010 - Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) reicht im Namen von acht Geschädigten eine Sammelklage gegen Prolactal ein.

Juni 2011 - Der VKI hat mit der Firma Prolactal einen Vergleich abgeschlossen. Acht geschädigte Personen bekamen Schadenersatzansprüche in Höhe von 76.000 Euro.

2. Mai 2012 - Es wird bekannt, dass laut einem medizinischen Gutachten bei sieben Konsumenten die Listeriose zumindest mitverantwortlich für den Tod war.

Frühjahr 2013 - Das Amtsgericht Heilbronn verhängte über Lidl Deutschland wegen Verstößen gegen das Lebensmittelrecht Geldstrafen von insgesamt 1,5 Millionen Euro.

23. August 2013 - Die Staatsanwaltschaft Graz erhebt Anklage wegen des Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung mit Todesfolge in sieben Fällen.

16. September 2013 - Es wird bekannt, dass ich die Anklage gegen vier leitende Angestellte und den Labor-Chef richtet. Als sechster "Angeklagter" wird auch die Firma Prolactal geführt. Diese Vorgehensweise ist aufgrund des Gesetzes bezüglich der Verbandsverantwortlichkeit seit einigen Jahren möglich.

21. März 2014 - Wissenschafter der Veterinärmedizinischen Uni Wien veröffentlichen eine Analyse des Erbguts der beiden für die Todesfälle mitverantwortlichen Bakterienstämme: Sei beide haben unterschiedliche Eigenschaften und sind unabhängig voneinander in den Betrieb gekommen.

10. Juni 2014 - Der für mehrere Tage anberaumte Prozess gegen insgesamt sechs Angeklagte beginnt im Straflandesgericht Graz.

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