Ruf nach Anti-Wegwerf-Gesetz

Ruf nach Anti-Wegwerf-Gesetz
Märkte sollen unverkäufliche Lebensmittel verpflichtend spenden.

Tonnen für die Tonne. Jedes Jahr werden in der EU 90 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet, während gleichzeitig 80 Millionen Bürger an der Armutsgrenze leben. Auch Österreichs Supermärkte entsorgen tagtäglich Lebensmittel, die kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, um Platz für neue, frische Produkte in den Regalen schaffen zu können – so fordert es es ja auch der verwöhnte Kunde. Eine parlamentarische Bürgerinitiative will dieser Praxis nun einen Riegel vorschieben und ein nationales "Anti-Wegwerf-Gesetz" erwirken.

"Verpflichtung der Supermärkte zur Abgabe unverkäuflicher Ware an die Zivilgesellschaft vor der Müllentsorgung" lautet die Forderung einer kürzlich eingereichten und von 8829 Menschen unterstützten Initiative, die derzeit den Umweltausschuss des Nationalrats beschäftigt. Initiator des Anliegens ist Oliver Hönigsberger, selbstständiger Informatiker und Grün-Gemeinderat in Ossiach in Kärnten.

Gesetzliche Basis

Ruf nach Anti-Wegwerf-Gesetz
Parlamentarische Bürgerinitiative, Anti-Wegwerf-Gesetz, Dumpster, Initiator Oliver Hönigsberger und Renate Kiesewalter
"Grundgedanke der Bürgerinitiative ist, dass die Menschheit an einem Wendepunkt angekommen ist. Würde weltweit alles verwertet werden, was an Lebensmitteln vorhanden ist, gäbe es keine Hungersnot", sagt der 46-Jährige. Gemeinsam mit Aldo Haumann aus Wien, der eine ähnliche Interessensgemeinschaft online betrieben hat, wandte er sich ans Parlament. "Das ist ein ideales Instrument, um nicht nur im Netz für unsere Forderungen zu werben, sondern eine gesetzliche Basis zu schaffen."

Hönigsberger ist selbst "Dumpster". Er organisiert Lebensmittel aus Müllcontainern bei Selbstbedienungsläden und stellt sie Sozialmärkten oder Not leidenden Menschen zur Verfügung. Jeden Dienstagabend ist er in Feldkirchen oder Villach unterwegs, um Notleidenden am Mittwoch möglichst "frische" Ware bieten zu können. Rund zwei Einkaufswagerln Lebensmittel "erbeutet" er pro Container. "Betreten-Verboten-Schilder und versperrte Müllcontainer vor Supermärkten schränken unsere Möglichkeiten extrem ein. Daher fordern wir dieses Anti-Wegwerf-Gesetz", will Hönigsberger neue Wege beschreiten.

Smartphone-App

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Parlamentarische Bürgerinitiative, Anti-Wegwerf-Gesetz, Dumpster, Initiator Oliver Hönigsberger und Renate Kiesewalter
Konkret ist die Installation sogenannter "Müllwächter" geplant, denen die zum Verzehr geeigneten Lebensmittel übergeben werden. Eine Smartphone-App soll die Verbindung zwischen Vereinen und Organisationen sowie den Supermärkten koordinieren.

"Alles, was essbar ist, kann diesen Müllwächtern übergeben werden. Menschen in ungünstigen Lebensbedingungen wird in der Folge der Gratisbezug der Waren ermöglicht und ein Sprungbrett in ein neues, stabileres Lebensumfeld geboten", unterstreicht Hönigsberger sein Motiv für die Initiative.

Der Kärntner glaubt übrigens nicht, dass sein Vorhaben letztlich selbst für den Müll ist: "Alleine durch das Einbringen des Anliegens kommt man ins Gerede. Konzerne zeigen schon Bereitschaft, uns den Zugang zu den Containern zu erleichtern."

Wallonien als Vorbild

Vorbild der österreichischen Initiative ist übrigens die 3,5-Millionen-Einwohner-Region Wallonien in Belgien, wo das Parlament vor einem Jahr ein Gesetz gegen Lebensmittel-Verschwendung verabschiedet hat. Nach einer sechsmonatigen Testphase in der 39.000-Einwohner-Stadt Herstal wurde das Prinzip der Lebensmittelrettung inzwischen in ganz Wallonien realisiert.

Große Supermärkte sind dort gesetzlich verpflichtet, ihre unverkäufliche Ware karitativen Organisationen zu überlassen. Wer sich nicht daran hält, muss mit harten Konsequenzen rechnen: Im schlimmsten Fall sogar mit dem Verlust der Verkaufslizenz.

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Matthias R. schließt die Tür zum Müllraum auf. Ein dumpfes Licht geht an. Er öffnet den schwarzen Container und fischt zwischen Plastiksäcken einen Tramezzini-Aufstrich und einen Pudding heraus. "Wir kaufen keine Desserts mehr, weil hier jeden Tag was drinnen ist. Sogar Plundergebäck und süße Striezel."

Der 27-Jährige kommt gerade von der Arbeit. Auf dem Weg zur Wohnung macht er täglich einen Abstecher in den Müllraum seines Wohnhauses. Ein nahe liegender Supermarkt entsorgt hier seinen Abfall – das meiste davon ist essbar. "Unfassbar", findet der junge Mann.

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"Dumpster Diving" heißt übersetzt Mülltauchen und wird auch als "containern" oder "dumpstern" bezeichnet. Dabei verschaffen sich Menschen Zutritt zu Abfallbehältern von Supermärkten oder Bäckereien und suchen nach genießbaren Produkten. Das meiste wird entsorgt, weil es beschädigt oder abgelaufen ist. Manches ist aber originalverpackt und makellos. Das sieht Matthias bei seinem täglichen Blick in die Tonne. In Wien und anderen Städten wird seit Jahren "gedumpstert". Viele wollen die Verschwendung von Lebensmitteln nicht mehr hinnehmen. Sie holen sich, was sie finden – für den Eigenbedarf oder sie geben es weiter.

Im Abfallraum seines Wohnhauses trifft Matthias oft auf Dumpster-Gruppen. "Die meisten machen nur einen Zwischenstopp. Es gibt nicht so viel zu holen wie bei den großen Supermärkten." Bei diesen Begegnungen wird die Tonne durchsucht und die Beute unter den Anwesenden aufgeteilt.

Im Wiener Abfallwirtschaftsgesetz gibt es diesbezüglich eine klare Regelung: Laut Paragraf 9 Absatz 1 wird der „Eigentumsübergang“ der Abfälle geregelt, demnach gehen Abfälle mit dem ordnungsgemäßen Einbringen in die dafür vorgesehenen Sammelbehälter der öffentlichen Müllabfuhr und der öffentlichen Altstoffsammlung in das Eigentum der Gemeinde Wien über. Gemäß § 20 Abs. 1 ist das Entleeren der bereits im Sammelbehälter befindlichen Abfälle, welches nicht im Rahmen der öffentlichen Müllabfuhr durchgeführt wird, verboten. Wer das trotzdem tut und Schlösser von Containern oder Abfallräumen aufbricht oder beschädigt, macht sich strafbar.

Matthias fühlt sich auf der sicheren Seite. Er hat keine Bedenken, wenn er ab und zu etwas aus der Mülltonne in seinem Wohnhaus fischt. Den Pudding lässt er heute in der Tonne. "Wir haben noch einiges im Kühlschrank, das verbraucht werden muss. Wir gehen ja auch normal einkaufen. Nur gewisse Dinge finden wir hier täglich – es ist schade darum."

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In der Wohnung vergleichen Matthias und sein Mitbewohner Martin ihre Beute. Toastbrot, Äpfel, Kekse, Kraut und Öl. Das Brot hat das Mindesthaltbarkeitsdatum um einen Tag überschritten. Aufstrich und Joghurt sind noch drei Tage haltbar. Martin öffnet den Vorratsschrank und präsentiert mehrere Flaschen hochpreisiges Kürbiskernöl – aus der Tonne gefischt. Unlängst fanden die beiden zehn Packungen Nudeln, die in einem Jahr ablaufen. Auch die Blumen auf dem Tisch – Fair-Trade-Ware – sind aus dem Müll.

"Wir verstehen nicht, warum die Geschäfte die Ware nicht reduziert anbieten. Ich war eben dort, um Käse zu kaufen. Im Kühlregal war nichts herabgesetzt. Draußen in der Tonne liegen die Joghurts."

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