"Lebensmittel gehören nicht in den Müll"

Michael Landau und Andrä Rupprechter Le+O-Ausgabestelle in Wien-Favoriten.
Caritas urgiert runden Tisch, um Armut zu bekämpfen / Minister führt Gütezeichen ein.

In Österreich landen jedes Jahr 760.000 Tonnen Essen im Müll, gleichzeitig suchen immer mehr Armutsbetroffene die Sozialläden auf. 11.000 Tonnen Lebensmittel spenden derzeit Handel und Produktion jährlich an karitative Einrichtungen. Was sich in Sachen Armut und Lebensmittelverschwendung noch tun muss, fragte der KURIER Caritas-Präsident Michael Landau und Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP). In einem Punkt sind sich beide einig: "Lebensmittel gehören nicht in den Müll".

KURIER: Wir sind hier in einer Le+O-Ausgabestelle der Caritas, wo die Ärmsten ihr Essen beziehen. 1,2 Mio. Österreicher sind armutsgefährdet. Was sagen Sie zu diesem Thema einem Mitglied der Bundesregierung?

Michael Landau: Wir sehen in der täglichen Arbeit, in den Familienzentren und Sozialberatungsstellen, dass der Druck auf die Menschen an den Rändern steigt. Wir haben in der Gruft im Vorjahr 117.000 Mahlzeiten ausgegeben, mehr als je zuvor. Es ist notwendig, gerade jetzt den Blick auf die Not der Menschen in Österreich nicht zu verschließen.

Herr Rupprechter, Sie sind nicht Sozialminister, aber macht das Thema Armut nicht auch Sie betroffen?

Rupprechter: Das macht jeden betroffen. Vor allem als Christen ist es unsere Aufgabe, im heiligen Jahr der Barmherzigkeit hier einen besonderen Fokus darauf zu legen.

In Österreich erfahren Sozialmärkte regen Zulauf, gleichzeitig verschwenden wir Essen. Braucht es da nicht viel mehr gemeinsame Kraftanstrengungen?

Rupprechter: Wenn man sich die Fakten anschaut, wie viel Lebensmittel im Müll landen, dann stimmt das bedenklich. Wir stellen aber schon fest, dass der größte Anteil in den privaten Haushalten in den Müll gerät. Daher geht es vor allem um Bewusstseinsbildung. Dass Lebensmittel kostbar sind, dass die Menschen bewusst nachhaltig einkaufen. Ich halte hier wenig von einer Anlassgesetzgebung. Wichtiger ist die Eigenverantwortung.

Landau:Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Anteil der Lebensmittel im Müll um 20 Prozent zu reduzieren. Seither ist nicht viel geschehen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Vertreter von Bundeskanzleramt, Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsministerium an einen Tisch setzen. Ergebnis so eines Gipfels könnte eine permanente Plattform sein, wo die Produzenten, die Vertreter des Handels mit den Hilfsorganisationen über konkrete Projekte reden. Hier gibt es noch Luft nach oben.

Fehlt der Regierung der Wille, das Ziel zu erreichen?

Rupprechter: Ich würde nicht sagen, es hat sich wenig bewegt. Wir hatten einen runden Tisch im letzten Jahr im Bundeskanzleramt.

Der fand nur mit Vertreten des Einzelhandels statt, nicht mit den Hilfsorganisationen.

Rupprechter: Der Termin wurde von Staatssekretärin Steßl koordiniert, daher habe ich nicht über die Einladungspolitik zu befinden. Es macht aber Sinn, die Nicht-Regierungsorganisationen mit an den Tisch zu holen. Ebenso das Gesundheitsministerium, weil das für das Mindesthaltbarkeitsdatum zuständig ist.

Was haben Sie in Ihrem Ministerium unternommen?

Rupprechter: Ich hatte diese Woche ein Gespräch mit dem Lebensmitteleinzelhandel. Dabei ging es um ein Gütezeichen, das an Geschäfte oder Supermarktketten vergeben wird, wenn der Lebensmittelverschwendung entgegengewirkt wird. An konkreten Kriterien arbeiten wir jetzt.

"Lebensmittel gehören nicht in den Müll"
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Was wollen Sie damit erreichen?

Rupprechter: Dass Geschäfte bewusst darauf achten, die Regale so zu befüllen, dass Lebensmittel nicht ablaufen, oder dass die Logistik hin zu den Sozialläden verbessert wird. Da kann man noch einiges verbessern.

Der Minister will also kein Gesetz, aber ein Gütezeichen.

Landau: Ich glaube, dass so ein Zeichen eine Möglichkeit sein kann. Man sollte aber nicht außer Acht lassen, auch die rechtlichen Rahmenbedingungen dort, wo nötig, weiterzuentwickeln.

Rupprechter: Ich will keine Gesetzgebung, wo neben jedem Müllcontainer ein Müllwächter steht. Es geht um Verantwortung. Denn wenn ich über Ostern wegfahre, fülle ich nicht davor den Kühlschrank an. Da gehen gesetzliche Initiativen ins Leere.

Aber wie schaffen Sie es, noch mehr Bedürftige mit Lebensmittel zu versorgen?

Landau: Das größte Problem liegt aus unserer Sicht bei geeigneten Räumlichkeiten und bei der Frage der Logistik. Die Hilfsorganisationen alleine können diese Aufgabe nicht bewältigen.

Was sollte bei dem runden Tisch noch thematisiert werden, um mehr Lebensmittel in den Sozialladen zu bringen?

Landau: Ein Ergebnis könnte auch sein, überbordende Hygienevorschriften noch einmal zu überprüfen. Oder dass Waren mit Etikettenmängeln nicht automatisch zurück an den Produzenten gehen, sondern direkt in die Ausgabestellen für Armutsbetroffene. Es braucht hier eine Gesamtstrategie, bei der bewusstseinsbildende Maßnahmen wie ein Gütezeichen dazugehören. Die Hilfsorganisationen sind bereit, hier ihre Erfahrungen einzubringen.

Kommen immer mehr Menschen zu Ihren Abgabestellen?

Landau: Wir sehen, dass die Zahl deutlich ansteigt. Pro Woche geben wir allein in und um Wien zwölf Tonnen Lebensmittel in unseren 16 Ausgabestellen aus. Wir haben damit im Vorjahr 4800 Haushalte mit 675 Tonnen Lebensmittel unterstützt.

Müssen Sie Leute abweisen?

Landau: Wir stoßen zum Teil an unsere Grenzen. Wir sehen, der Bedarf nimmt zu.

Rupprechter: Ich kann hier einen konkreten Beitrag anbieten. Wenn im ländlichen Raum derartige Projekte entstehen, kann ich die unter dem Titel soziale Dienstleistungen unterstützen.

Herr Minister, Sie haben auch die Plattform "Lebensmittel sind kostbar" ins Leben gerufen.

Rupprechter: Aktuell sind hier 50 Organisationen und Betriebe eingebunden. Derzeit werden vom Handel 11.000 Tonnen genießbarer Lebensmittel weitergegeben. Genießbar ist da schon ein wichtiges Mindestkriterium.

Aber Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben, dürfen nicht weitergegeben werden.

Rupprechter: Ich denke, das sollte man überdenken. Aber das ist Zuständigkeit des Gesundheitsministeriums.

Wie bringen Sie das Bewusstsein in die Haushalte?

Rupprechter: Wir haben mit dem Viktualia-Award einen Preis für Projekte, mit denen gezeigt wird, wie Lebensmittelverschwendung in Restaurants, in Küchen, im Einzelhaushalt, aber auch im Handel reduziert werden kann.

Das Ende der Fastenzeit naht. Ihr Appell an Konsumenten?

Rupprechter: Bewusst konsumieren, das bringt auch die Wertschätzung jenen gegenüber, die diese Produkte erzeugen, den Bauern.

Landau: Wir dürfen nicht vergessen, dass jeder und jede Einzelne von uns zu mehr Verantwortung im Umgang mit Lebensmitteln aufgerufen ist. Aus meiner Sicht geht es hier um den Respekt vor der Umwelt, der Arbeit vieler Menschen, den Respekt gegenüber den Bauern. Es geht auch um Dankbarkeit für die Güter der Welt und um die Schöpfungsverantwortung, die wir als Menschen haben.

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