Die Justiz spioniert 7721-mal im Jahr

Die Anzahl der Telefonüberwachungen, Lauschangriffe nimmt zu.
Strafverteidiger kritisieren, dass Überwachungsmaßnahmen zu rasch genehmigt werden.

Die Justiz setzt im Kampf gegen die Kriminalität von Jahr zu Jahr mehr Überwachungsmaßnahmen ein. Die Anzahl von sogenannten Lauschangriffen und Videofallen, also das Abhören von Gesprächen sowie versteckte Kameras in und vor Gebäuden, stieg von 142 im Jahr 2013 über 175 im Jahr 2014 auf 220 im Vorjahr.

2015 gab es insgesamt 7721 Ausspäh-Maßnahmen, die sich auf Hausdurchsuchungen, Datenabfragen bei Mobilfunkbetreibern und Internet-Providern sowie dem Mitlesen und Mithören von Nachrichten und Telefonaten aufteilen. Das ergibt sich aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos durch Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP).

Dabei fällt auf, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft äußerst zurückhaltend bei der Frequenz dieser Maßnahmen ist: Sie ließ im Vorjahr 46 Hausdurchsuchungen, fünf Nachrichtenüberwachungen, eine Datenabfrage und keinen einzigen Lauschangriff bzw. Videofalle durchführen. Zum Vergleich: Bei der Staatsanwaltschaft Graz gab es 359 Hausdurchsuchungen, 281 Nachrichtenüberwachungen und 35 Lauschangriffe bzw. Videofallen.

IS-Terrorverdacht

Nach der Staatsanwaltschaft Wien, wo die großen Wirtschaftskriminalfälle anhängig sind, ist Graz die Behörde mit den meisten Überwachungsanordnungen (1146). Behördensprecher Hansjörg Bacher ist von der Zahl nicht überrascht. Man habe die größten Ermittlungsverfahren wegen IS-Terrorverdachts und viele Drogenverfahren zu führen, dazu komme die Grenznähe, "und es sind die Erfolg versprechendsten Maßnahmen".

Apropos Erfolg: Das Justizministerium hat auch aufgelistet, was die (nur bei verhärteter Verdachtslage möglichen) Überwachungsmaßnahmen gebracht haben. 1583 Verfahren, in denen mithilfe von Lauschangriff, Telefonüberwachung, Hausdurchsuchung oder Datenabfragen ermittelt wurde, mündeten in eine Anklage, 1183 endeten mit einer Verurteilung. Die restlichen Verfahren wurden eingestellt, abgebrochen, ausgeschieden oder laufen noch. In 53 Fällen gab es trotz besonderer Ermittlungsbehelfe einen Freispruch. Würde man die Zahl der Überwachungen und der Verurteilungen so gegenüberstellen, käme man auf eine Erfolgsrate der Ermittler von 15 Prozent. Allerdings gibt es bei den 7721 Überwachungen Überschneidungen, weil in ein und derselben Causa mehrere verschiedene Überwachungen (z. B. Hausdurchsuchung und Telefonüberwachung) durchgeführt werden können. Das Justizministerium schätzt die Erfolgsquote mit etwa 43 Prozent ein.

Dramatisierend

Den Strafverteidigern ist die Anzahl der Überwachungen trotzdem zu hoch. "Das sind massive Eingriffe. Da dringen 20 Polizisten in einen Privatbereich ein, das ist traumatisierend, da werden dreijährige Kinder wieder zum Bettnässer. Ab da kümmert sich niemand darum. Das ist natürlich kein Grund, die Bewilligung für eine solche Maßnahme nicht zu erteilen", sagt der Sprecher der Vereinigung der Strafverteidiger, Gerald Ruhri.

Die Justiz spioniert 7721-mal im Jahr

Der Grazer Anwalt kritisiert, dass die Haft- und Rechtsschutzrichter die von den Staatsanwälten beantragten Überwachungsmaßnahmen ohne ausreichende Überprüfung zu rasch genehmigen würden. Die Richter würden die Begründungen der Staatsanwälte für die Erforderlichkeit der Maßnahmen eins zu eins übernehmen. "Das wird nur abgestempelt und passt", sagt Ruhri zum KURIER: "98 Prozent werden bewilligt, die Ablehnungen sind homöopathisch."

Ausspähen und Kosten

Maßnahmen: Wien ist mit 2727 Überwachungsmaßnahmen Spitzenreiter, gefolgt von Graz (1146) und Innsbruck (859).

Ergebnisse: In 348 Fällen führten Lauschangriff & Co. in Wien zu einer Anklage, 280-mal zu einer Verurteilung.

Aktuelles in Zahlen

13 Mio. Euro kostete allein die Telefonüberwachung von Verdächtigen im Vorjahr.

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