Landau fordert: "20 Prozent weniger Essen im Müll"

Landau fordert: "20 Prozent weniger Essen im Müll"
Mehr Hilfe für Bedürftige: Caritas-Präsident Landau sagt, die "Politik soll die Zeichen der Zeit erkennen".

In Frankreich hat die Politik per Gesetz verordnet, dass weniger Essen im Müll landet und es mehr Hilfe für Bedürftige gibt. Auch in Österreich hat die Diskussion darüber begonnen. Der KURIER sprach zum Thema mit Caritas-Präsident Michael Landau.

KURIER: Hunderttausende Tonnen Lebensmittelabfälle landen in Österreich jährlich im Müll, aber nur 11.110 Tonnen wird von karitativen Organisationen an Bedürftige verteilt. Hat Österreich Handlungsbedarf?

Michael Landau: Unbedingt. Lebensmittel gehören in den Magen und nicht in den Müll. Das heißt, wir brauchen ganz dringend Maßnahmen, die die Verschwendung von Essbaren einschränken.

Es tut sich ja bereits einiges.

Ja, die Sozialmärkte und auch wegweisende Projekte wie unsere Le+O-Initiative leisten Beachtliches. Aber es gibt im Hinblick auf die Zahlen noch Luft nach oben.

Landau fordert: "20 Prozent weniger Essen im Müll"
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Apropos Zahlen: Das Lebensmittelministerium spricht von 460.000 Tonnen, andere von einer Million Tonnen, die im Müll landen. Ihre Einschätzung?

Beide Zahlen sind erschreckend. Wir dürfen uns weder damit abfinden, dass 460.000 oder eine Million Tonnen Essen weggeworfen werden. Letztere Zahl vom Österreichischen Ökologieinstitut ist das jüngste diesbezügliche Ergebnis. Wir fordern daher, dass die Bundesregierung jetzt Schritte setzt, um den Anteil der Lebensmittel im Müll um mindestens 20 Prozent zu senken.

Das Armuts-, Verschwendungs- und Umverteilungsthema ist Ihnen wichtig. Warum?

Wahr ist, niemand muss in Österreich verhungern. Aber es leben 1,2 Millionen Menschen an und unter der Armutsgrenze. Sie sind auf ganz basale Unterstützung angewiesen. Viele stellen sich um einen Teller warme Suppe an. In der Gruft haben wir im Vorjahr mehr als 117.000 Mahlzeiten an Bedürftige ausgegeben. Das ist mehr als je zuvor. Das heißt, es gibt auf der einen Seite erhebliche Verschwendung und auf der anderen Seite Menschen, die diese Lebensmittel dringend brauchen.

Müsste diesen Menschen nicht nur von der Caritas sondern von auch anderen Organisationen geholfen werden?

Es gibt heute schon viele Initiativen, auch von Seiten des Handels, die dafür sorgen, dass die Lebensmittel bedürftige Menschen erreichen. Wir haben hier Kooperationen mit Rewe wie mit Spar und auch kleinen und großen Handelsunternehmungen. Aber die Zahl der Bedürftigen nimmt zu.

In Frankreich darf der Großhandel zukünftig unverkaufte Nahrungsmittel nicht mehr wegwerfen. Etwas, was sie sich von der Politik in Österreich wünschen?

Als Erstes fordern wir von der Politik einen Gipfel, der vom Lebensministerium und vom Bundeskanzleramt gemeinsam getragen wird.

Sie haben zuvor gesagt, in Österreich soll um 20 Prozent weniger Essen im Müll landen. Warum diese Marke?

Die 20 Prozent sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind im Regierungsprogramm so festgeschrieben. Das heißt, die Regierung hat sich das Ziel gesetzt. Aber seither ist nicht viel passiert.

Der Bundeskanzler hat Staatssekretärin Stessl mit einem runden Tisch beauftragt. Aktuell gibt es aber keinen fixen Termin. Drängt die Zeit?

Wir wissen, dass die Entscheidungsträger in der Produktion, im Handel und der Gastronomie wie im Konsum ein hohes Problembewusstsein haben. Mein Appell an die Politik ist, dass das Thema nicht auf die lange Bank geschoben wird. Es braucht jetzt die Koalition der Willigen.

Was wollen Sie bei diesem runden Tisch noch thematisieren?

Dass es die Selbstverpflichtung des Handels ist, möglichst wenige Lebensmittel wegzuschmeißen und möglichst viele Kooperationen mit den Karitativen einzugehen, damit mehr Lebensmittel die Armutsbetroffenen erreichen. Aber es ist noch an anderen Schrauben zu drehen. Denn die Hilfsorganisationen können eine Ausweitung im Alleingang nicht stemmen.

Das heißt, die Karitativen brauchen Unterstützung.

Es braucht hier eine gemeinsame Anstrengung. Die Freiwilligen sind bereit. Es sind viele, die sich melden. Ich glaube aber auch, dass eine Unterstützung beim Aufbau und Betrieb der Logistik notwendig ist. Da könnten Politik, Handel und Hilfsorganisationen eine gute Partnerschaft bilden.

Laut Lebensministerium sind auch die Sozialmärkte derzeit an ihren Grenzen angelangt.

Wenn es das gemeinsame Ziel geben sollte, dass Lebensmittel in den Magen gehören und nicht in den Müll, dann müssen alle zusammenarbeiten: Wirtschaft, Politik und Hilfsorganisationen. Und ich hoffe, dass die Politik die Zeichen der Zeit erkennt.

Was von dem ist in Österreich kurzfristig machbar?

Zu allererst braucht es eine Gesamtstrategie. Zweitens ist das Ziel das Ergebnis. Und wenn das auf dem Weg einer Selbstverpflichtung erreicht wird, dann soll mir das völlig reichen. Und ich sehe viel guten Willen im Handel.

Sie haben jetzt die Lebensmittelketten mehrmals gelobt. Wie sind hier ihre bisherigen Erfahrungen als Caritas?

Sehr gut. Ich sage das mit einem großen Danke an die Unternehmen, aber auch an die vielen Freiwilligen, die sich hier engagieren. Beim Le+O-Projekt der Caritas geben wir schon jetzt an 16 Abgabestellen in Wien und Umgebung bis zu 10 Tonnen Lebensmittel pro Woche an Bedürftige ab. Die Nachfrage ist so groß, dass wir weitere Stellen eröffnen könnten.

Was erhalten dort die Menschen, wie lautet Ihr Ziel?

Wir geben Lebensmittel, Obst, Gemüse, Teigwaren, Konserven oder Hygieneartikel ab. Unser Ziel ist aber, Menschen zu helfen, aus der Armut herauszukommen.

Sie haben 800 Freiwillige im Einsatz. Bei all diesen Bemühungen, ist das nicht trotzdem ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Ich sehe, dass unser Projekt Schule macht. Denn in Verbindung mit der angebotenen Beratung, wollen wir ja möglichst vielen wieder Perspektiven geben. Aber wenn wir die 20 Prozent weniger Essen im Müll erreichen wollen, braucht es den gemeinsamen Weg.

2011 gab es folgende Schlagzeile: Jeder Wiener wirft täglich so viel Brot in die Tonne, wie die Grazer verbrauchen. Also liegt es nicht nur an der Politik?

Essen im Müll zu vermeiden, da hat jede und jeder von uns eine Verantwortung. Da geht es um den Respekt vor der Umwelt, vor der Arbeit der Bäuerinnen und Bauern, des Personals im Handel. Es geht auch um etwas wie die Dankbarkeit für die Güter der Welt.

Wird die Frage des nachhaltigen Konsums zum Megatrend, wie vor Jahrzehnten der Umweltschutz?

Das hoffe ich zuversichtlich. Es gibt bereits die Sensibilität bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Ihr ganz persönlicher Beitrag ist?

Ich versuche, bewusst zu konsumieren und möglichst nicht mehr einzukaufen, als ich brauchen kann.

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