Kriminelle Kinder als Spielball der Behörden

Kriminelle Kinder als Spielball der Behörden
5694 unter 14-Jährige angezeigt. Die Jugendämter sind überfordert, Betreuer gesucht.

4908 Kinder unter 14 Jahren wurden im Vorjahr wegen einer mutmaßlichen Straftat angezeigt, dazu kommen 786 unter zehn Jahren. Das sind zwar weniger als im Jahr davor (5482 unter 14; 811 unter zehn Jahren), und die überwiegende Zahl der Vorfälle waren Jugendstreiche oder Mutproben wie kleine Ladendiebstähle oder Schul-Raufereien. Auch werden aus den allerwenigsten der Angezeigten später echte Kriminelle. Erschreckend ist die Bilanz aber doch.

Wer kümmert sich um die Problemfälle? Die Polizei schickt die Anzeigen an die Staatsanwaltschaften, diese leiten sie mit dem Vermerk "strafunmündig" ans Familiengericht weiter, dort werden sie in bestehenden Pflegschaftsakten abgelegt oder ein neuer Akt wird angelegt.

"Unser System ist nur Verwalten", sagt die Wiener Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich: "Wenn wir das Gefühl haben, da steckt was Ärgeres dahinter, zum Beispiel eine Bande, schicken wir das Jugendamt zur betroffenen Familie." Von dort kommt meist die Antwort: Die Familie ist ohnehin schon als schwierig bekannt, der Akt wird geschlossen. Selten werden Eltern und Kinder für ein Gespräch zu Gericht vorgeladen, so gut wie nie werden Väter oder Mütter mit Zwangsmaßnahmen (Anzeige wegen Vernachlässigung) in die Pflicht genommen. Einzig das Mittel der Kindesabnahme steht zur Verfügung. Dann kommen die "schwierigen" Kids meist in Wohngemeinschaften der Jugendämter, aus der einige bald wieder abhauen.

Der Wiener Jugendrichter Norbert Gerstberger hält nichts von der Senkung der Strafmündigkeit unter 14 Jahre. Aber er plädiert in schwerwiegenden Fällen für spezielle Heime mit nächtlichen Ausgangssperren, um Zeit zu gewinnen, an die Kinder heranzukommen und Strukturen aufzubauen. Solche Ausgangssperren werden offenbar schon jetzt praktiziert, doch nützen sie wenig: "Bei der Gemeinde Wien gibt es ein eigenes Türenlager, weil die Türen von solchen WGs ständig eingetreten werden", berichtet Täubel-Weinreich. Die Betreuer wären schutzlos ausgeliefert, "und die Kinder lernen dort, dass ihnen ohnehin nichts passieren kann."

Strafrecht ungeeignet

"Die Jugendämter sind überfordert", sagt die Strafrechtlerin Katharina Beclin von der Uni Wien und fordert, dass die Fürsorge einheitlich zur Bundessache gemacht wird: "Es gibt in den Bundesländern neun verschiedene Regeln im Umgang mit Unmündigen. Alle warten, bis sie strafmündig sind. Dabei ist das Strafrecht das ungeeignetste Mittel."

Täubel-Weinreich schlägt die Schaffung eigener Betreuer vor, "ein Mittelding zwischen Bewährungshelfer und Kinder-Beistand." Wobei nach Ansicht der Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits nicht das mutmaßlich begangene Delikt im Mittelpunkt stehen sollte, sondern das Kind selbst. "Pädagogik statt Strafe" propagiert Pinterits: "Kinder, die Probleme machen, haben zumeist welche."

Im Justizministerium gibt es keinen Plan, an der Altersgrenze der Strafmündigkeit zu rütteln. Man verweist auf laufende Reformen für jugendliche Straftäter, etwa die Sozialnetz-Konferenz des Vereins Neustart. Dabei wird unter Einbeziehung von Familie, Lehrern und Freunden ein Programm als Ausweg vom Weg in die Kriminalität erstellt. Das Projekt wäre für unter 14-Jährige ausbaufähig, meint Pinterits. Und bei fast 6000 angezeigten Kids pro Jahr auch dringend nötig.

Kriminelle Kinder als Spielball der Behörden

Ein 14-Jähriger sitzt in U-Haft, weil er ein kleines Mädchen vergewaltigt haben soll. Und ein Jahr davor schon ein anderes. Damals war er noch nicht strafmündig, daher passierte gar nichts. Der Fall gehört weniger ins Strafrecht als ins psychiatrische Fach. Doch er gibt jenen Auftrieb, die schon Volksschüler in die Mangel der Strafjustiz nehmen lassen wollen. Dabei schielen sie auf das Schweizer Modell der Strafmündigkeit ab 10 Jahren.

Unsere Nachbarn sperren Kids allerdings frühestens ab 15 ein, und davor gibt es viel persönliche Betreuung. Das kostet viel Geld. Wer ist in Österreich bereit, es auszugeben? Und vor allem: Wer fühlt sich dafür überhaupt zuständig? Bei uns werden nur Akten hin und her geschoben. Und Kompetenzen. Geholfen ist damit weder Tätern noch Opfern.

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