Krebspatient erhielt falsche Spritze: Lebensgefahr

Krebspatient erhielt falsche Spritze: Lebensgefahr
Das Mittel für die Chemotherapie wurde ins Rückenmark statt in die Blutbahn injiziert.

Ein Grazer Unternehmer schwebt in Lebensgefahr: Ihm wurde in einer Ambulanz ein falsches Medikament verabreicht. Eine Ärztin injizierte dem Mann, der an Leukämie leidet, an der Hämatologie des LKH-Universitätsklinikums Graz das Mittel für die Chemotherapie in das Rückenmark statt in die Vene.

„Das kann zu schweren Nebenwirkungen führen, die lebensbedrohlich werden können“, sagt Abteilungsvorstand Heinz Sill. Rückenmark und Gehirnzellen würden angegriffen. Der Grazer befindet sich im Tiefschlaf.

„Es ist ein Fehler passiert, ein unfassbarer Fehler“, bedauert Gernot Brunner, ärztlicher Direktor des Klinikums. Die Staatsanwaltschaft Graz ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung.

Suche nach Fehler

Eine Kommission prüft nun. „Wir wissen nicht, wo der Fehler lag und wo der Fehler im Sicherheitsnetz ist“, betont Brunner. Der Grazer sollte mehrere Substanzen erhalten. Sie wurden in der Apotheke vorbereitet und an die Klinik geschickt. „Die Mittel sind in Plastik verpackt, das mit einem Etikett samt Namen und Daten des Patienten versehen ist“, sagt Sill. „Auch Infusion und Spritze tragen ein Etikett.“ Die Spritze hat die Apotheke mit Etikett verlassen Mittwoch stand fest, dass es in der Ambulanz vorhanden war. Es dürfte übersehen worden sein.

Erkannt wurde die Verwechslung sofort aber nur, weil keine Spritze für die Injektion in die Vene vorhanden war. Als erste Konsequenz werden bei diesen Behandlungen alle Spritzen von zwei Ärzten kontrolliert.

Der tragische Fall bringt das Klinikum erneut in Schlagzeilen. Zuletzt gab es Misstöne wegen angeblich nicht oder zu spät erkannter Schlaganfälle. Seit 2012 ermittelt die Justiz, weil ein Steirer wegen einer verschobenen Not-Operation gestorben sein soll. Direktor Brunner dementiert jegliche „Ballung von Schadensfällen“: „Das eine war 2012, der Fall ist heuer. Die Sache mit dem Schlaganfall war keiner, das haben wir dokumentiert.“ Man betreue 1,2 Millionen Patienten ambulant und 85.000 stationär. Aus der Patientenanwaltschaft kommen aber interessante Zahlen: Österreichweit gab es 2012 10.992 Geschäftsfälle, 46 Prozent davon betrafen Spitäler. In der Steiermark wurden 1510 Fälle gemeldet 67 Prozent davon betrafen Beschwerden über Spitäler.

Falsch verabreicht, falsch gekennzeichnet, falsch dosiert oder schon von Behandlungsbeginn an das falsche Medikament verordnet: Die Hälfte aller Fehler, die in Krankenhäusern passieren, sei auf nicht korrekte Medikation zurückzuführen, zitiert Patientenanwalt Gerald Bachinger aus internationalen Studien.

Eigene Erhebungen für Österreich gibt es nicht, aber „die Ergebnisse würden kaum anders sein als international“, glaubt Bachinger. So dramatische Verwechslungen wie in Graz seien die Ausnahme, dennoch seien die Fehlermöglichkeiten breit gestreut. „Da gibt’s eine breite Palette“, zählt Bachinger auf: „Zwei Fläschchen mit verschiedenen Inhalten schauen gleich aus, Flaschen sind falsch etikettiert, die Schrift auf den Etiketten ist zu klein, die Dosierung ist falsch.“

In Spitälern sind deshalb exakte Abläufe wichtig. „Man muss auch das Personal in den Bereichen trainieren oder stichprobenartig etwa bei der Apotheke nachfragen, ob das Medikament auch stimmt.“ Allgemein verbindliche Richtlinien für alle Spitäler, welche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen seien, gibt es nicht. Das regelt jedes Klinikum für sich selbst.

Meldesystem

2009 wurde in Österreich allerdings ein freiwilliges Meldesystem eingeführt, an dem Ärzte und Pflegepersonal, aber auch Leitungen der Krankenanstalten anonym Zwischenfälle bekannt geben können, ebenso niedergelassene Ärzte oder Sanitäter. Das Critical Incident Reporting System, kurz CIRS, wurde rund 400 Mal kontaktiert. Im ersten Jahr der Evaluierung stammte die Hälfte der Meldungen aus dem Spitalsbereich. Die Eingaben werden von Experten geprüft. Das Ziel ist, aus Fehlern anderer zu lernen, um dann Lösungsvorschläge per Mausklick anzubieten.

Immer wieder berichten Österreichs Medien von Zwischenfällen in Österreichs Spitälern mit schweren, manchmal tödlichen Folgen für Patienten. Schnell wird dabei in der Öffentlichkeit von "Kunstfehlern" gesprochen, zu klären haben dies Gutachten und Gerichte. Ob Behandlungsfehler vorliegen, ist zunächst nicht immer leicht zu beurteilen.

Nachfolgend ein Überblick über einige Fälle der vergangenen Jahre:

Dezember 2013 - Im LKH Graz wird einem Chemotherapie-Patienten eine Injektion in den Rückenmarksbereich statt intravenös verabreicht. Der Mann muss intensivmedizinisch behandelt werden. Die Spritze hatte aus zunächst unbekannten Gründen keine Kennung.

Juni 2012 - Ein vierjähriges Mädchen stirbt nach einer Zahn-Operation im LKH-Univ. Klinikum Graz. Der tragische Ausgang - das Mädchen hat in der Narkose einen Lungenkrampf erlitten - sei "schicksalhaft" gewesen, befinden Gutachter später. Die Ärzte trifft keine Schuld.

Oktober 2011 - Im Zuge einer Magenspiegelung bei einer Dreijährigen an der Innsbrucker Kinderklinik kommt es zu einem Zwischenfall, bei dem das Narkosemittel Propofol eine Rolle spielt. Das Mädchen stirbt unerwartet. Nach dem Vorfall wird an der Innsbrucker Kinderklinik Propofol verboten.

März 2011 - In Korneuburg werden zwei Ärzte eines Weinviertler Spitals zu Geldstrafen verurteilt. Sie hatten nach Ansicht des Gerichts einer 82-Jährige eine zu hohe Dosis eines Medikaments verabreicht. Die alte Frau, die eigentlich nur wegen einer Prellung ins Spital gekommen war, stirbt.

Juni 2010 - Einer 90-Jährigen wird im Krankenhaus St. Johann in Tirol (Bezirk Kitzbühel) das falsche und wenige Tage später auch das kranke Bein amputiert. Der Fall wird untersucht, einer der mutmaßlich Beteiligten suspendiert.

April 2010 - Ein Dreijähriger wird an der Innsbrucker Kinderklinik nach einer fast überstandenen Scharlacherkrankung wegen Verstopfung mit einer zu hohen Dosis Einlaufflüssigkeit behandelt. Der Bub, der an chronischer Niereninsuffizienz litt, stirbt an einer Stoffwechselentgleisung. Ein Oberarzt wird in zweiter Instanz vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen - die Gefährlichkeit des Mittels sei damals nicht bekannt gewesen.

März 2007 - Eine Ärztin nimmt am Straflandesgericht Leoben das Angebot einer Diversion an. Sie hat im Jahr 2005 zwei Patienten ein Medikament falsch verabreicht, ein 86-jähriger Mann stirbt kurze Zeit später. Sachverständige können aber keinen ursächlichen Zusammenhang mit dem Fehlverhalten der Ärztin und dem Tod feststellen.

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