Pädophile suchen selten Hilfe

Tatort Kinderzimmer: Viele Missbrauchsfälle werden nie bekannt
Jeder 100. Mann hat pädophile Gedanken. Beratungsangebot wird jedoch nicht angenommen.

Ein Vater missbraucht mutmaßlich sein Kind, ahnt aber nicht, dass ihn ein Arbeiter filmt. Nun ist der Verdächtige in Haft. Wer tut so etwas? Und warum? Antworten auf solche Fragen sucht Reinhard Eher, 50, habilitierter Professor für Psychiatrie, der die BEST, die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter in der Vollzugsdirektion, leitet. Jährlich fassen 200 bis 250 Männer wegen eines Sexualdelikts eine Gefängnisstrafe aus, rund 40 Prozent wegen Missbrauchs eines Minderjährigen. Ehers Job lässt sich so erklären: Er ergründet, warum verurteilte Täter getan haben, was sie getan haben, "verordnet" ihnen Therapie, und er schätzt ab, ob sie es in Freiheit wieder tun könnten.

KURIER: Warum missbrauchen manche Väter ihre Kinder und andere nicht?

Reinhard Eher: Man kann es dann erklären, wenn man Einblick in die Situation hat. Zum aktuellen Fall sage ich nichts. Es gibt unterschiedliche Ursachen: Es kann ein Vater schwer gestört, also im engeren Sinn pädophil sein. Diese spezielle Störung ist selten, aber mit einer erhöhten Rückfallgefahr verbunden. In den meisten Fällen ist es nicht so: Meistens stecken hinter pädosexuellem Verhalten Frustration, Hemmungen, Unzufriedenheit.

In diesen vielen Fällen ist der Wille für so eine Tat gegeben.

Ja. Das sind Menschen, die sich frei dafür entschieden haben – wenngleich sie in einer Stresssituation waren.

Nicht jeder Sexualstraftäter ist ein Pädophiler. Gibt es Schätzungen, wie viele pädophile Männer es gibt?

Es ist gar nicht so selten. Es gibt Studien, in denen Männer gefragt wurden, ob sie sexuelle Fantasien gegenüber vorpubertären Kindern haben. Daher wissen wir, dass es zwischen 0,5 Prozent bis ein Prozent der männlichen Bevölkerung betrifft. Das heißt nicht, dass diese Männer es auch ausleben.

Pädophile suchen selten Hilfe
Reinhard Eher, Leiter der Begutachtungsstelle für Sexualstraftäter

Die Uniklinik Charité in Berlin bot Therapieplätze an und wurde von Interessenten überrannt. Bewerbungen kamen auch aus Österreich. Gibt es hierzulande zu wenig Plätze?

Derzeit ist es so: Männer, die solche Fantasien entwickelt haben, sind alleine, schämen sich, teilen sich niemandem mit. Sie kommen oft gar nicht auf die Idee, dass es Hilfe gibt. Das ist ein Teufelskreis. In diesem Projekt geht man davon aus, dass die Fantasie an sich noch keine Straftat ist. Denn: Hilfe rechtzeitig in Anspruch zu nehmen heißt, eine Straftat zu verhindern.

Gibt es in Österreich genügend Einrichtungen?

Es gibt Einrichtungen, etwa die Männerberatungsstellen oder forensische Ambulanzen. Jede psychiatrische Einrichtung muss damit zurechtkommen.

Wie verfährt die Justiz mit verurteilten Sexualstraftätern?

Wir befassen uns mit dem Täter, mit dem Menschen. Jeder muss an die BEST gemeldet werden. Das führt zu einer Begutachtung, die mit einem 14-tägigen Aufenthalt verbunden ist. Wir schauen uns an, warum er das gemacht hat, was er gemacht hat. Darauf bauen die Maßnahmen auf. Das reicht von Psychotherapie bis hin zu Programmen, in denen man lernt, darauf zu verzichten.

Was halten Sie von einer öffentlichen Sexualstraftäterdatei, in der Namen aufgelistet sind?

Es gibt dazu ganz unterschiedliche Meinungen. Die Idee ist ja, dass man sich schützen kann. Da kann man sehr klar sagen: Die Hauptgefahr kommt nicht von denen, die bereits verurteilt sind, sondern von denen, die wir noch nicht kennen. Dazu muss gesagt werden: Die Rückfallquote von Sexualstraftätern ist sehr gering. In den ersten fünf Jahren werden fünf bis sechs Prozent rückfällig.

Welchen Umgang mit Sexualstraftätern würden Sie sich wünschen?

Ich glaube, dass wir in Österreich einen sehr vernünftigen Umgang mit Sexualstraftätern haben. Ich würde mehr in die Prävention, so wie am Beispiel der Charité besprochen, investieren. Wir wissen, dass die meisten sexuellen Straftaten in den Bereich der Dunkelziffern fallen.

Dachdecker Anton W., 43, überführte mit seinem Handy-Video – gefilmt vom Dach eines gegenüberliegenden Hauses – den sexuellen Missbrauch eines Vaters an seiner zweijährigen Tochter. Zu dem Übergriff kam es am Montag in Wien-Favoriten. Der dreifache Vater, 50, ist in Haft.

Am Mittwoch wurden die beiden anderen Kinder des Mannes von geschulten Beamtinnen der Kriminal-Prävention ein weiteres Mal befragt. Vorerst gibt es keine Anhaltspunkte, dass auch sie Opfer des pädophilen Vaters wurden. Die Untersuchung des zweijährigen Kleinkindes im AKH zeigte keine Verletzungen im Intimbereich. Der wiederholte sexuelle Missbrauch dürfte sich auf Oralverkehr "beschränkt" haben.

Für die Mutter der drei Kinder brach, laut Polizei, bei den Einvernahmen eine Welt zusammen: "Sie wusste von dem Missbrauch nichts und sie hätte ihrem Mann diese Tat nie zugetraut."

Vor allem deshalb, weil der Bruder des Täters wegen Missbrauchs seiner Kinder 2012 rechtskräftig verurteilt wurde. "Er brach den Kontakt zu ihm sofort ab und verurteilte ihn auf das Schärfste", soll die Frau zu Protokoll gegeben haben. Das Jugendamt schaltete sich nicht ein, die drei Kinder bleiben bei der Mutter.

Auch für Dachdecker Anton M., er ist Vater zweier Kinder, bedeutet das Handy-Video eine Ausnahmesituation: "Ich habe etwa zwei Minuten gefilmt. Es war die einzige Möglichkeit den Mann zu überführen. Tatsächlich wollte ich jede Sekunde abschalten und alles sofort stoppen. Jetzt hat sogar meine Frau Angst um unsere beiden Kinder."

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