Kaprun: Ein Trauma ohne Ende

Das letze Stück der Rampe der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn mit der Einfahrt in den Tunnel in dem sich die Katastrophe ereignete.
Zur Brandursache existieren zwei Versionen, eine österreichische und eine deutsche.

Gott hat für einige Minuten im Tunnel das Licht ausgemacht": So soll Richter Manfred Seiss das Urteil zu Kaprun vor zehn Jahren begründet haben. Ein "Unfall", bei dem 155 Menschen in der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn starben. Menschliches Verschulden? Fehlanzeige. Alle 16 Angeklagten wurden freigesprochen. Was nicht nur international Empörung hervorrief. Wo doch Ermittlungen in Deutschland zu ganz anderen Ergebnissen gekommen sind.

Die beiden Journalisten, Hubertus Godeysen und KURIER-Redakteur Hannes Uhl, machten sich viereinhalb Jahre auf Spurensuche. Am Montag stellten sie ihr Buch "155 – Kriminalfall Kaprun" vor, in dem sie mit Österreichs Justiz hart ins Gericht gehen. Die Autoren wollen 13 Jahre nach der Katastrophe nicht Schuld zuweisen, betonen sie, aber sie wollen dafür sorgen, dass die Fakten endlich breit diskutiert werden. "Der 11. November 2000 hat sehr viel Leid in das Leben der Angehörigen gebracht. Und das hält bis heute an", sagt Uhl. Und sie kommen zu dem Ergebnis: Der Zug war "eine tickende Zeitbombe".

Kaprun: Ein Trauma ohne Ende
155 Kaprun Uhl

Im Salzburger Kaprun-Prozess und allen folgenden Ermittlungen, etwa der Staatsanwaltschaft Heilbronn im deutschen Baden-Württemberg, stand stets der im abgebrannten Zug eingebaute Heizlüfter im Zentrum des Interesses. Als unbestritten gilt, dass der Brand im Heizlüfter ausgebrochen ist und zwar noch in der Talstation (der Heizlüfter wurde nicht während der Fahrt , sondern nur in den Stationen betrieben). Über die Art und Weise der Brandentstehung gibt es jedoch bis heute unterschiedliche Gerichtsentscheide, sozusagen eine österreichische (in Folge kurz: Salzburg) und eine deutsche (kurz: Heilbronn).

Kaprun: Ein Trauma ohne Ende
Buch 155, Hannes Uhl

Die Fakten

Der Einbau:

Salzburg hat festgestellt, dass "weder die Seilbahnbedingungen 1976 noch andere gesetzliche Vorschriften oder sonstige Normen (...) den Einbau eines elektrischen Heizlüfters mit Kunststoffgehäuse verbieten. Der Einbau eines geprüften Heizlüfters war demnach damals zulässig."

Heilbronn: "Damit stellte das Gericht fest, dass nur ein mit Prüfzeichen versehener Heizlüfter eingebaut werden durfte."

Die Prüfpickerl:

Salzburg: "Der Heizlüfter (...) verfügte (...) über alle (...) vorhandenen Prüfzeichen, und jeder der Beschuldigten ist davon ausgegangen, dass das Gerät als sicher zu betrachten ist."

Heilbronn: "Der Heizlüfter (...) hätte nicht in der Standseilbahn eingebaut werden dürfen, weil die Prüfzeichen, die ihm als Wohnraum-Heizgerät zugeteilt wurden, keine Gültigkeit mehr hatten."

Gebrauchsanleitung:

In der Gebrauchsanleitung stand: "Gerät darf nicht in Fahrzeuge eingebaut (...) werden."

Dazu Salzburg: "Bezüglich des Vorwurfes (...) ist (...) auf obige Ausführungen hinzuweisen, aus denen hervorgeht, dass die Gletscherbahnen über keine (...) Bedienungsanleitung verfügten." Darüber hinaus handle es sich bei der Seilbahn nicht um ein Fahrzeug, sondern um ein Fahrbetriebsmittel.

Heilbronn: "Die Auffassung des Gerichts in Salzburg (...) mag auf spezielle, in Österreich gängige Definitionen zurückzuführen sein. Nach den in Deutschland üblichen Definitionen handelte es sich bei den Zügen (...) eindeutig um Fahrzeuge."

Konstruktionsfehler:

Salzburg stellte fest, dass "ein Konstruktions- und Produktionsfehler beim Heizlüfter" als "auslösende Brandursache" feststeht.

Heilbronn: "Das (...) beschriebene Schadensbild konnte vom DKI (Deutsches Kunststoff Institut, Anm.) nicht nachvollzogen werden."

Hydrauliköl:

Salzburg: Es ist "kein Hydrauliköl aus den Leitungen ausgetreten."

Heilbronn: "Die (...) Ermittlungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass das Innere des Heizlüfters mit Hydrauliköl belastet war."

Die Stellungnahme des Justizministeriums zur Buchpräsentation fiel denkbar knapp aus: "Das Verfahren ist durch alle Instanzen gegangen und abgeschlossen."

Inferno am Kitzsteinhorn:

Eva Danninger-Soriat, pensionierte Staatsanwältin aus Salzburg, im KURIER-Gespräch.

Sie haben die Autoren bei ihren Recherchen zur Brandkatastrophe in Kaprun unterstützt. Was war Ihre Motivation?

Die Autoren sind lange vorher auf mich zugekommen, ich war aber immer sehr zurückhaltend. Bis zu dem Vorfall in einem steirischen Krankenhaus, als mir der Vater eines Opfers sinngemäß vorgeworfen hat, ich hätte mit den Angeklagten unter einer Decke gesteckt. Diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück. Aber mir ist klargeworden, dass der Fall noch längst nicht aufgearbeitet ist. Ich denke, dass manche Verfahrensabläufe bisher nicht bekannt waren, dass es auch Missverständnisse gegeben hat.

Hat es eine „Vertuschung“ gegeben, wie viele Angehörige bis heute glauben?

Es hat Verfahrensabschnitte gegeben, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Dazu kann ich mich nicht äußern, weil ich auch nach meiner Pensionierung an die Amtsverschwiegenheit gebunden bin. Jeder, der das Buch liest, soll sich sein eigenes Bild machen.

Vor der Veröffentlichung wurde schon mit Klagen gedroht. Ihnen wirft man vor, sie hätten das Amtsgeheimnis verletzt.

Ich habe nichts preisgegeben, das nicht schon vorher bekannt war. Das Amtsgeheimnis nehme ich sehr ernst.

Wie stehen Sie jetzt, zehn Jahre später zu dem Fall?

Die Art, wie der Fall abgelaufen ist, ist unbefriedigend, aber hinzunehmen.

Sie waren damals mit 16 Angeklagten und deren hochbezahlten Anwälten konfrontiert. War das nicht zu viel für eine einzelne Person?

Der Herr des Verfahrens, so heißt es, ist der Richter. Freilich war es ein Ungleichgewicht, aber es obliegt in einer Hauptverhandlung ausschließlich dem Richter als Sitzungspolizei, einzugreifen, wenn es nötig ist, und für einen geordneten Ablauf zu sorgen.

Und doch waren Sie sehr unter Druck. Hat der Richter seine Aufgabe nicht erfüllt?

Ich mache keine Schuldzuweisungen, das steht mir nicht zu.

Ist es sinnvoll, dass ein Einzelrichter Mega-Prozesse wie diesen führt?

Eigentlich ist das unmöglich. Für solche Großverfahren mit mehr als hundert Toten müsste in der Strafprozessordnung vorgesorgt werden. Ich habe einmal eine Lösung ähnlich wie bei Jugendschöffenverfahren vorgeschlagen, wo Laienrichter beigezogen werden. Im Jugendverfahren sind das Lehrer. Bei Kaprun hätte es jemand mit technischem Sachverstand sein können. Kaprun wäre eine Anregung wert gewesen, die Strafprozessordnung zu ändern. Die Justiz hat aber bisher nicht nachgearbeitet.

Würden Sie sagen, der Schuldige ist damals ungestraft davongekommen?

Das kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Um das zu wissen, wären weitere Ermittlungsschritte notwendig gewesen. Es gibt die Möglichkeit, auch ein rechtskräftiges Urteil zu korrigieren. Wenn man zum Beispiel draufkommt, dass ein Zeuge oder ein Gutachter falsch ausgesagt hat. Es hat ja Anhaltspunkte gegeben, die möglicherweise für eine Wiederaufnahme gereicht hätten. Entsprechende Verfahren sind aber eingestellt worden. Jetzt ist der Fall verjährt.

Wie sind Sie als Anklägerin an den Fall herangegangen?

Am Anfang war ich sehr zuversichtlich, dass es auf der Basis meines Strafantrags den Schuldsprüche geben muss. Laut dem ersten Gutachten war die Kombination aus Heizlüfter und Öl die Brandursache. Laut Gebrauchsanweisung hätte dieser Heizlüfter nicht in den Zug nicht eingebaut werden dürfen. Im Umkehrschluss heißt das: Wäre der nicht in dem Zug gewesen, hätte es das Inferno nicht gegeben. Eigentlich ein klarer Fall. Und dafür hat es Verantwortlichkeiten gegeben.

Am Ende hat es Freisprüche gegeben. Wie war das für Sie, wo Sie sich doch so sicher waren?

Da gibt es das Unglück und dann gibt es den Umgang der Justiz damit. Das eine und das andere waren eine Katastrophe. Unfassbar, dass man sich hinstellt und alle 16 Angeklagten freispricht.

Als Anklägerin wussten Sie alle grausigen Details und Geschichten der Opfer. Wie ist es Ihnen persönlich damit gegangen?

Das Kaprun-Verfahren ist eines, das vergisst man nie. Die Dimension des Ganzen und die Art, wie diese Menschen zu Tode gekommen sind. Das begleitet mich ein Leben lang.

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