Kampusch: Jagd auf die letzten Geheimakten

Kampusch: Jagd auf die letzten Geheimakten
Nervenkrieg um Ermittlungsunterlagen aus dem Nachlass eines toten Kampusch-Fahnders.

Während Spezialisten der amerikanischen Bundespolizei FBI und des deutschen Bundeskriminalamtes im Innenministerium die Akte Kampusch analysieren, läuft quer durch die Republik die Jagd nach den letzten geheimen Aktenstücken. Einige sind im Besitz des Bruders eines ehemaligen Kampusch-Ermittlers. Der aber misstraut der heimischen Justiz. Natascha Kampusch gelang im Jahr 2006 die Flucht aus den Fängen ihres Entführers Wolfgang Priklopil. Der damalige Chef der Soko-Kampusch war der Kripo-Oberst Franz Kröll. Der führte den Fall bis zum Jahr 2009 weiter.

Mehrtätertheorie

Kröll war überzeugt davon, dass es zumindest einen zweiten Täter gegeben haben musste. Er geriet damit in Konflikt mit der offiziellen Ermittlungslinie. Im Jahr 2009 wurde ihm der Fall entzogen. Er ermittelte darauf hin auf eigene Faust weiter.

Im Juni 2010 übergab Kröll seinem Bruder Karl einen USB-Stick, Aktenstücke und private Aufzeichnungen mit den Worten: „Nur für den Fall, dass mir etwas passiert.“ Zwei Tage später erschoss er sich in Graz. Karl Kröll glaubt nicht an die Selbstmordversion der Behörden. Anhand der Unterlagen des Bruders und mit Unterstützung von Johann Rzeszut, einem früheren Präsidenten des Obersten Gerichtshofes und Mitglied der Kampusch-Evaluierungskommission, verfolgt er den Fall auf eigene Faust weiter.

Das läuft aber den Intentionen der Kampusch-Evaluierungskommission zuwider. Ziel der Evaluierung ist es, nachträglich mithilfe ausländischer Experten eventuelle Fahndungs- und Systemfehler zu erkennen. Und das geht nur durch Zusammenführung aller Akten. 270.000 Seiten lagern im Innenministerium.

Seit Kröll durchsickern ließ, dass er noch Unterlagen besitzt, ist er ein „gesuchter Mann“ im wahrsten Sinne des Wortes. Er wurde kontaktiert: „Bleiben Sie, wo Sie sind, wir schicken Ihneneinen Streifenwagen hin.“ Doch Kröll versteckt sich. Er wittert noch immer eine Verschwörung. Doch die ersten Ergebnisse der international besetzten Expertenkommission im Innenministerium lassen ihn wieder hoffen. Immerhin hatten die FBI-Profiler bei einer ersten Zwischenrunde offene Kritik an Fahndungsmaßnahmen des damaligen Sicherheitsbüros geäußert. Für Kröll erscheinen damit zumindest die Amerikaner vertrauenswürdig.

US-Botschaft

Er marschierte mit Kopien seiner Unterlagen zur US-Botschaft, wo sie auch mit freundlichen Worten entgegengenommen wurden. Wie die Amerikaner damit weiter verfahren, ist unbekannt. Bei der deutschen Botschaft wurde ihm geraten, die Unterlagen per Postweg ans Bundeskriminalamt nach Wiesbaden zu schicken. Auch das hat er getan. Ob das neue Erkenntnisse in der Kampusch-Mehrtäterfrage bringt, bleibt bis auf Weiteres unklar.

Bewegung ist auch in eine Nebenfront geraten. Im weiteren Verdächtigenkreis hat früher auch das Heeres-Abwehramt ermittelt. Diese Akten waren aber angeblich verschollen. Nachdem Verteidigungsminister Norbert Darabos in einer parlamentarischen Anfrage erklärte, dass die Akten doch noch vorhanden seien, wurden sie nun vom Innenministerium offiziell angefordert.

Hatte Wolfgang Priklopil doch Komplizen? Diese und einige andere Fragen konnten weder die Behörden noch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zweifelsfrei klären. Daher gab der parlamentarische Untersuchungsausschuss die Empfehlung ab, den Fall mithilfe ausländischer Experten zu evaluieren.

Im Innenministerium wurde ein 14-köpfiges Evaluierungsteam eingerichtet. Es besteht aus Beamten von Polizei und Justiz, die vorher mit dem Fall nichts zu tun hatten. Dazu gehören aber auch „Cold-Case“-Spezialisten des FBI und des deutschen BKA. Als Arbeitsgrundlage wurden in einem Hochsicherheitstrakt die 270.000 Seiten umfassende Kampusch-Akte eingelagert. Es handelt sich um die Erhebungsakte der Polizeibehörden und alle Gerichtsakten. Dazu gehören auch private Verfahren. Sie werden nun abgearbeitet.

Das erklärt auch das erhöhte Interesse des Innenministeriums an den Unterlagen des Karl Kröll. Denn das Ziel der Evaluierungskommission ist es, endgültige Klarheit über die Hintergründe der Entführung und mögliche Fehler im Fahndungssystem zu schaffen. Stellt sich dann heraus, dass es irgendwo noch versteckte Unterlagen gibt, könnte die Diskussion nachher neuerlich wieder aufflammen.

Kommentare