Strenge Strafe bringt raschen Rückfall

Strenge Strafe bringt raschen Rückfall
Kriminalsoziologe kritisiert, dass sich die Richter wenig an der Wirkung ihrer Urteile orientieren.

Mehr als jeder zweite kriminell gewordene Jugendliche oder junge Erwachsene bis 21, der zu einer (Freiheits-)Strafe verurteilt wird, begeht innerhalb von fünf Jahren neuerlich eine Straftat. Viel besser schaut die Rückfallsstatistik bei den Erwachsenen auch nicht aus: Je strenger die Strafe, desto höher die Gefahr einer Wiederverurteilung; und je später die vorzeitige bedingte Entlassung aus einer Haftstrafe erfolgt, desto rascher passiert der Rückfall. Diese Ergebnisse gehen aus dem Sicherheitsbericht 2013 der Justiz hervor und geben Anlass zur Frage: Wozu strenge Strafen, wenn sie keine abschreckende Wirkung haben?

Der Kriminalsoziologe Arno Pilgram sagt, dass die Justiz – im Gegensatz zur Medizin – nicht wirkungsorientiert arbeitet. Die Richter kümmern sich nicht darum, was aus ihren Delinquenten wird – bis sie wieder vor ihnen stehen. Und wenn sie nicht mehr wiederkommen, hinterfragen sie auch das nicht, wie ein Blick in die Verurteilungsstatistik aus den Jahren 2009 bis 2013 zeigt:

Erfolgsmodelle

Strenge Strafe bringt raschen Rückfall
Eine auffallend niedrige Rückfallsrate konnte bei jenen Tätern beobachtet werden, die zu einer Kombination aus unbedingter (also tatsächlich zu zahlender) Geldstrafe und bedingter (also nur für eine Probezeit angedrohter) Haftstrafe verurteilt wurden. Ein Erfolgsmodell? Die Richter praktizieren diese Strafform in nur 3,1 % aller Fälle, weil sie laut Pilgram Zwischenstufen gern überspringen: "Im Westen fangen sie mit bedingten Geldstrafen an, im Osten eher mit bedingten Haftstrafen, und dann kommen gleich die unbedingten Haftstrafen." Erst nach und nach würden sich die Richter damit auseinandersetzen, dass alles mit allem kombinierbar sei.

Die allerniedrigste Rückfallsquote von rund 10 % ergibt der Außergerichtliche Tatausgleich (siehe Zusatzbericht). Der Verein Neustart, der Täter und Opfer mit einem Konfliktregler an einen Tisch bringt, berichtet von hoher Wirkung bei den Tätern und viel Genugtuung bei den Opfern. Ein Erfolgsmodell? Die Staatsanwälte und Richter wählen diese Form der Aufarbeitung immer seltener, lieber wird zu Geld- und Haftstrafen gegriffen.

Skepsis von rechts

Pilgram beobachtet einen Trend in den USA, wo ausgerechnet von hochrangigen rechten Politikern vermehrt große Skepsis an repressiven Strafen kommt: Wenn Haftstrafen nur viel kosten, aber nichts bringen, wozu werden dann mehr und mehr Gefängnisse gebaut?

Wichtiger als die Sanktion ist für den Kriminalsoziologen "der Umgang mit den Parteien vor Gericht. Ob die Leute verstehen, was mit ihnen passiert. Ob man pädagogisch etwas erreichen kann." Wird eine Strafe außer Verhältnis erlebt, "kiefelt der Verurteile nur daran herum, dass er sich ungerecht behandelt fühlt, und setzt sich nicht damit auseinander, was er angerichtet hat."

Die Jubelmeldung des Justizministeriums, die Strafen würden ihre Wirkung zeigen, kann Pilgram nicht nachvollziehen. Die durch (strenge) Verurteilungen verursachten sozialen Belastungen und hohen Kosten würden nicht berücksichtigt. Es bestünden nach wie vor unerforschte regionale Unterschiede bei den Strafen. Eine wissenschaftlich analysierte "Wiederkehrerstatistik" aus Bestraften und ohne Verurteilung (Diversion) von der Justiz Behandelten sei dringend erforderlich.

Gefängnis

65,5 % aller Sanktionen sind (österreichweit hochgerechnet) Haftstrafen, 18,2 % davon zur Gänze unbedingt, 9,5 % teilbedingt.
Das heißt, jeder dritte bis vierte Verurteilte muss hinter Gitter.

Regionale Unterschiede

In Wien werden 21,9 % unbedingte Haftstrafen verhängt, in Innsbruck 16,8 %, in Linz nur 13,4 %. In Graz ist der Rückfall mit 41 % am höchsten.

Gute Freunde werden sie nicht mehr: 60 Prozent der nach einem gewalttätigen Konflikt ausgesöhnten Paare trennen sich danach. Aber der Partner (meist der Mann), der die Frau geschlagen hat, wird in 8,7 Prozent aller Fälle nicht mehr die Hand erheben. Und die Frau hat das Gefühl, dass ihre Situation ernst genommen, ihr Leid anerkannt und zumindest ihr materieller Schaden ausgeglichen wurde.

So funktioniert der Außergerichtliche Tatausgleich (ATA) bei Konflikten zwischen Paaren und auch zwischen anderen Personen – bei Letzteren ergibt die Rückfallsquote einen Wert von elf Prozent.

Trotzdem wird diese Form von Staatsanwälten und Richtern immer seltener gewählt. Vor allem deshalb, weil während des dreimonatigen ATA der Akt als offen gilt, das Justizpersonal aber an erledigten Akten gemessen wird. Eine von Justizminister Wolfgang Brandstetter initiierte Reform soll es ab 1.1.2015 ermöglichen, dass Verfahren schon bei Beginn des Tatausgleichs als eingestellt gelten, bei einem Scheitern der Maßnahme aber jederzeit wieder eröffnet werden können.

Laut Andreas Zembaty vom Verein Neustart wirkt der ATA deshalb so positiv, weil beim Täter eine Empathie für das Opferleid erzeugt wird.

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