Wie man Dschihadisten bekehren will

Wie man Dschihadisten bekehren will
Der Verein Derad kümmert sich um radikale Islamisten in Haft, Hotspot ist derzeit Graz-Jakomini.

Mittagspause in der Justizanstalt Graz-Jakomini. Alle Augen sind auf den Fernseher gerichtet, auf die Bilder vom Terror in Brüssel. Ein Insasse serviert Tafelspitz.

Was am Dienstag in der belgischen Hauptstadt passiert ist, verfolgen auch die Grazer Insassen über Radio in ihren Zellen. Zehn von ihnen sind hier, weil sie selbst mit dem IS-Terror in Verbindung gebracht werden. Österreichweit sind es insgesamt 37. "Wir nennen sie die 278b’ler", erklärt Manfred Ulrich, Sprecher der Justizanstalt. Paragraf 278b, terroristische Vereinigung. Strafrahmen: ein bis zehn bzw. fünf bis fünfzehn Jahre. Ein 23-Jähriger, der in Syrien gekämpft haben soll, hat am Dienstag am Landesgericht Graz zehn Jahre ausgefasst, weil versuchter Mord dazukam (nicht rechtskräftig).

Es ist einer von vier Terror-Prozessen, die derzeit in Graz laufen. Vor dem Landesgericht stehen Polizisten mit Schutzwesten und Sturmgewehren, aber auch als Justizwachebeamter müsse man "mit offenen Augen durch den Tag gehen", sagt Ulrich. "Noch", deutet er an, "sind die Strafen aber nicht rechtskräftig und auch nicht sehr hoch". Die Exekutivbeamten seien geschult und sensibilisiert.

"Pop-Dschihadismus"

Um Radikalisierung im Gefängnis zu unterbinden, sind die zehn 278b’ler in Jakomini teilweise einzeln untergebracht. "Uns gegenüber verhalten sie sich ruhig. Aber von anderen Insassen wird uns fallweise gemeldet, wenn jemand versucht, seine Ideologie zu verbreiten." Gelegenheit dazu gebe es etwa beim Gruppenaufenthalt im Freien. Deshalb: Einzelhaft.

In Graz-Jakomini sitzt das derzeit wohl größte Kaliber der heimischen Dschihadisten-Szene in U-Haft: Mirsad O. alias Ebu Tejma. Der 34-jährige Serbe soll in Österreich IS-Propaganda betrieben und mehrere junge Männer dazu verleitet haben, als Kämpfer nach Syrien zu gehen. Er gilt als "Ikone des Pop-Dschihadismus". An Charme hat er seit seiner Festnahme im November 2014 offenbar nicht eingebüßt: Sogar Wachebeamte beschreiben ihn als "sehr charismatisch" und "man könnte fast sagen: cool" – "unabhängig davon, was man ihm anlastet", wird eilig nachgesetzt.

Diesen Eindruck bestätigt Moussa Al-Hassan Diaw, Extremismus-Forscher vom Verein Derad. Seit Februar bietet das Netzwerk aus Sozialarbeitern und Islamwissenschaftlern im Auftrag des Justizministeriums Maßnahmen zur Deradikalisierung in den Gefängnissen an. Mit Mirsad O. soll es erst nach Abschluss des Verfahrens Gespräche geben. Vorab sagt Diaw über ihn: "Er weiß, wie er Gruppen bewegen kann. Ich denke, dass man diese Fähigkeit auch für etwas Positives einsetzen könnte."

Prozessbeobachter berichten, er habe seine Überzeugung aus Selbstschutz schon mehrfach hinter sich gelassen. "Mein Eindruck ist, dass man ihn vielleicht erreichen kann", sagt Diaw. Mahnendes Beispiel sei Mohammed M. Der Wiener mit ägyptischen Wurzeln wurde 2008 zu vier Jahren Haft verurteilt. "Nach seiner Entlassung war er noch wütender, kurz darauf kamen seine Propaganda-Videos", erinnert der Extremismus-Experte.

Lösung von Ideologie

Im Rahmen des Deradikalisierungsprogramms bieten die Mitarbeiter des Derad-Netzwerks einerseits Schulungen für Wachebeamte und Fachdienste an und gehen andererseits auf einschlägige bzw. gefährdete Insassen zu. Nicht als Seelsorger, betont Diaw, sondern als Pädagoge. "Wir konfrontieren sie mit Fakten über den Islam, Geschichte und Politik, die ihnen gewisse Personen vorenthalten haben, um sie negativ zu beeinflussen. Wir legen ihnen religiöse Texte vor, oder beantworten einfach ihre Fragen. Bringt man Beweise, ist die Sache meistens erledigt", erklärt Diaw. Gesprächsbereit seien die meisten: "Das Gefängnis macht mürbe. Viele sind froh, wenn sie sich austauschen können."

Ist es möglich, jemanden vollkommen umzudrehen? "Das kommt auf die Person an, aber grundsätzlich glaube ich, dass eine Lösung von dieser Ideologie möglich ist", sagt Diaw. Diese Hoffnung hat auch Jakomini-Sprecher Ulrich, der die Zusammenarbeit mit Derad sehr schätzt: "Als Justizwachebeamter hat man ein Gespür für die Insassen, aber das Wissen dieser Leute könnten wir nie bieten. Wir ergänzen uns gut."

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