Justiz hat bei Konzernen Beißhemmung

528 Verfahren, 40 Anklagen, 13 Urteile im Beobachtungszeitraum (2006-2010).
Nach Zugunglück, Kranunfall oder Fehler im Spital wird nur selten die Organisation verurteilt.

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen: Für diese Redensart sollte in der Justiz seit 2006 kein Anlass mehr bestehen. Nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz können neben einzelnen Beschuldigten auch Unternehmen bei Organisationsverschulden vor den Strafrichter gebracht (und mit Geldbußen belegt) werden. Doch der neue Straftatbestand entpuppt sich als totes Recht.

Innerhalb von fünf Jahren (2006 bis 2010) gab es in Österreich 528 Verfahren, nur 13 endeten mit Schuldspruch. Selbst dem Präsidenten der Vereinigung der Staatsanwälte, Gerhard Jarosch, ist das zu wenig: "Traditionell ermitteln wir gegen Menschen. Das Umdenken, gegen eine juristische Person zu ermitteln, braucht mehr als eine Generation." Außerdem seien die Staatsanwälte mit 44 Fällen, die sie pro Monat auf den Tisch bekämen, schon ausgelastet genug. Das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, das im Auftrag des Justizministeriums das Unternehmensstrafgesetz durchleuchtet hat, kommt zum Ergebnis: Staatsanwälte scheuen die Konfrontation mit einer Armada von Anwälten, die ein Unternehmen in Stellung bringt; mit dem Strafverteidiger eines einzelnen Angeklagten werden sie leichter fertig.

Verfahren gegen Verbände werden gern mit der lapidaren Begründung eingestellt (oder mit Freispruch beendet), es habe ohnehin Sicherheitsbelehrungen oder Vorkehrungen gegeben. Wie bei dem umgestürzten Kran im Juni 2007 am Hof in Wien, wobei der Kranführer starb. Die Baufirma soll Druck ausgeübt haben, trotz Sturms weiterzuarbeiten. Sie wurde aber nicht in die Pflicht genommen, weil sie ohnehin einen Polier als Kontrollor eingesetzt hatte.

Justiz hat bei Konzernen Beißhemmung

Tödliche Fehler

Der Tod der 23-jährigen Kirstin Rehberger im Krankenhaus Göttlicher Heiland bei einer Routineoperation von Plattfüßen wurde trotz mangelnden Überwachungssystems von frisch Operierten nicht dem Spitalserhalter angelastet, sondern nur einem Turnusarzt. Der Mechaniker, der bei der Wartung eines Paternoster-Aufzugs gepfählt wurde (er überlebte), "kostete" den Aufzug-Konzern gerade einmal 2340 Euro Geldbuße. Man hatte auf Schulungen der Mitarbeiter verzichtet.

Was das Unternehmensstrafgesetz dem Staatshaushalt finanziell bringen kann, zeigt die gerichtliche Aufarbeitung einer Zugskollision im Bahnhof Matzleinsdorfer Platz (Oktober 2009) mit 14 Verletzten. Die Sicherungsanlagen waren nach einem Umbau nicht überprüft worden, die ÖBB akzeptierten eine Geldbuße von 350.000 Euro.

Eine Wirkung hat das Gesetz trotz seltener Verurteilungen aber doch: Das Risiko eines Strafprozesses ist für viele Konzerne Ansporn, ihre Schwachstellen aufzuspüren. Ein Unternehmensberater über seinen Kampf, mehr Arbeitnehmerschutz durchzusetzen: Er drohe damit, dass "das Unternehmen ins Gefängnis kommt". Diese Möglichkeit haben die Gerichte freilich nicht.

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