Horrorbilanz: "Aktion scharf" an Bahnkreuzungen

Bei der Tragödie in Purgstall im Bezirk Scheibbs starben fünf Menschen. Insgesamt gab es in NÖ im vergangenen Jahr zwölf Todesopfer
2015 gab es 22 Tote bei Kollisionen auf Bahnkreuzungen. Die Polizei reagiert mit Schwerpunktaktion.

22 Menschen mussten im vergangenen Jahr an Bahnübergängen in Österreich ihr Leben lassen. Damit war das Jahr 2015 das blutigste seit 2007. Weil 12 der 22 Todesopfer alleine in Niederösterreich zu verzeichnen waren, reagiert die Polizei in diesem Bundesland seit dieser Woche mit einer "Aktion scharf" an Bahnkreuzungen. Bis Jahresende werden unbeschrankte Bahnübergänge überwacht und undisziplinierte Autolenker mit Strafen diszipliniert. Besonderes Augenmerk der Exekutive liegt bei den Unfallhäufungspunkten.

Trotz einer Halbierung in den vergangenen zehn Jahren ist Österreich im Europa-Vergleich das Land mit den meisten Bahnkreuzungen gemessen am Streckennetz. Alleine im Zuständigkeitsbereich der ÖBB gibt es 3389 Bahnübergänge. "Nimmt man die Privatbahnen dazu, hat man im Schnitt alle 500 Meter einen Bahnübergang. Der Durchschnitt in Europa liegt sonst bei rund zwei Kilometern", erklärt ÖBB-Sprecher Michael Braun.

Ende 2015 waren im Netz der ÖBB immer noch mehr als die Hälfte der Eisenbahnkreuzungen technisch ungesichert. Bei 1741 Übergängen gibt es ein Andreaskreuz und eine Stopptafel, 1648 haben einen Schranken oder eine Lichtsignalanlage. Unfälle passieren da wie dort. "Wir haben zusammen mit dem Land eine Auswertung bis ins Jahr 2010 zurück gemacht und alle Verkehrsunfälle an Bahnübergängen erhoben. Mit zwei Ausnahmen gab es an den Unfallkreuzungen überall ein Lichtsignal", erklärt der Chef der niederösterreichischen Verkehrspolizei, Brigadier Ferdinand Zuser.

Horrorjahr

Von 2010 bis 2014 starben in Niederösterreich 24 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Fahrzeugen und Zügen. "2015 war leider ein Horrorjahr. Da hatten wir bei sieben Unfällen gleich zwölf Tote zu beklagen", sagt Zuser.

In Erinnerung geblieben ist besonders die Familientragödie von Purgstall im Bezirk Scheibbs. Der 26-jährige Patrick Z. übersah im Mai vergangenen Jahres auf einem Übergang mit Andreaskreuz und Stopptafel einen herannahenden Zug. Die Puffer der Lok bohrten sich in den Mini-Van und schleiften ihn 150 Meter weit mit. Bei dem Crash starben nicht nur der Fahrer und seine 32-jährige Lebensgefährtin, sondern auch drei der sechs Kinder. Die drei überlebenden Waisenkinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren leben seitdem bei ihren Großeltern.

"Aktion scharf"

Damit solche Schicksale gar nicht erst passieren werden nun dreizehn Bahnübergänge in den Bezirken St. Pölten, Wiener Neustadt, Neunkirchen und Scheibbs, bei denen es in den vergangenen Jahren Todesopfer oder Schwerverletzte gab, von der Polizei mit besonderem Fokus überwacht. Neben Kontrollen im Zuge der Streifentätigkeit werden auch zivile Beamte und Fahrzeuge dabei zum Einsatz kommen. Ende des Jahres wird über die "Aktion scharf" Bilanz gezogen.

"Bei einem Bahnübergang nicht anzuhalten oder bei gelb oder rot über eine Eisenbahnkreuzung zu fahren, ist kein Kavaliersdelikt", erklärt Zuser. Neben einer Anzeige gibt es außerdem einen Eintrag im Vormerksystem für unfallrelevante Verkehrsverstöße. Das Vormerkdelikt bleibt zwei Jahre lang gespeichert. "Innerhalb dieser Zeit drohen im Wiederholungsfall eine Führerscheinabnahme und eine Nachschulung", sagt Zuser.

Die Zahl der Verkehrstoten sinkt enorm, vom Blutzoll der 70er-Jahre ist nur mehr ein Fünftel übrig – etwas mehr als 400 Tote sind derzeit pro Jahr zu beklagen. Doch an zwei meist Aufsehen erregenden Themen beißen sich die Experten seit Jahren die Zähne aus: Geisterfahrer und Bahnübergänge.

Beide haben die ähnliche Ursachen und die gleichen Probleme bei der Lösung. Betroffen sind oft alkoholisierte oder verwirrte Menschen, die meist aus der nahen Umgebung (des Unfallortes) stammen. Am schnellen Heimweg werden sie an Orten unachtsam, die sie schon hundert Mal passiert haben. "Da ist mir noch einer entgegengekommen" – wie in dem Witz ist es auch in der Realität oft. Dazu kommt eine Zahl an Selbstmördern, die ohnehin kaum zu verhindern ist.

Kaum zu sichern

1347 unbeschränkte Bahnübergänge sind ebenso schwer zu sichern wie hunderte Auf-, Ab- und Zufahrten auf der Autobahn. Es scheitert am Geld. Eine landesweite Ausstattung mit Geisterfahrerkrallen kostet so viel wie die Gehälter aller Verkehrspolizisten für fünf Jahre.

Bei den Bahnübergängen versuchte es Ex-Verkehrsministerin Doris Bures einst mit einem Kraftakt. Sie wollte alle Bahnkreuzungen mit Schranken oder Lichtsignalen ausstatten. Doch Kosten bis zu 1,5 Milliarden Euro wollte sie zu einem Teil den Gemeinden umhängen. Diese rebellierten und setzen vor dem Obersten Gerichtshof durch, dass sie dafür nicht in die Pflicht genommen werden können. Der ambitionierte Plan scheiterte jäh.

Wenn es in zehn oder maximal zwanzig Jahren eine größere Abdeckung mit selbst fahrenden Autos gibt, ist das Thema obsolet. Bis dahin wird, wenn überhaupt, nur eines helfen: Kontrollen. Zahlreiche Studien belegen, dass deren Wirkung potenziert wird, wenn darüber berichtet wird. Die australische Polizei etwa schreibt an eine Tafel vor jeden Ort, was in der aktuellen Woche am Programm steht. Die niederösterreichische Methode ist ein Versuch, das Problem in den Griff zu bekommen. Ob es gelingt oder scheitert, ist offen. Aber zumindest kostet es keine Millionen Euro.

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