"In der Liebe habe ich nichts versäumt"

"In der Liebe habe ich nichts versäumt"
Die Zahl der über 100-Jährigen steigt rasant an. Vier von ihnen verraten ihr Geheimrezept.

Es sind beeindruckende Zahlen, mit denen die Vereinten Nationen aufwarten: 3,2 Millionen Menschen über hundert werden 2050 die Erde bevölkern – rund zehn Mal mehr, als es heute sind. Der Hauptgrund ist die immer bessere medizinische Versorgung.

Österreich liegt dabei im globalen Trend: Jedes zweite Kind, das dieses Jahr auf die Welt kommt, wird seinen hundertsten Geburtstag erleben, rechnen Experten vor.

"In der Liebe habe ich nichts versäumt"
Wien Altersheime Häsuer zum Leben

Die Errungenschaften der modernen Medizin sind das eine. Doch gibt es auch ein individuelles Rezept für ein langes Leben? Und wie lebt man jenseits des dreistelligen Geburtstags? Der KURIER sprach mit vier über 100-Jährigen.

Maria Keppl-Knight feierte im vergangenen Juni ihren 106. Geburtstag. Die ehemalige Weißnäherin lebt seit 1997 im Pensionisten-Wohnhaus „An der Türkenschanze“ in Wien-Währing. Mit leuchtenden Augen erzählt sie von der Zeit, als sie noch auf Safari ging oder die Pyramiden besichtigte. Zu ihrem 105. Geburtstag wurde der Weltenbummlerin ein Herzenswunsch erfüllt: Einmal noch Elefanten sehen. Im Tiergarten Schönbrunn. „Das war mein schönster Tag. Eine Prinzessin hätte nicht schöner empfangen werden können.“ Das Geheimnis für ihre Kraft und positive Einstellung seien ihre Erinnerungen: „Die kann mir keiner nehmen.“

Milch statt Alkohol

Hans Leimer hat ein anderes Geheimrezept: täglich Milch. Worauf der 101-Jährige auch noch schwört, ist viel Schlaf, wenig Alkohol und keine Zigaretten. All das hat sich positiv auf die Denkfähigkeit ausgewirkt. „Scio nescio – ich weiß, dass ich nichts weiß“, rezitiert Hans Leimer Sokrates. Zu erzählen weiß er allerdings viel. So viel hat sich in seinem Leben ereignet: Er war Ministrant, Maurerlehrling, Fahrdienstleiter, Baufachmann und schließlich Zentralinspektor bei der Bahn. „Es war Krieg, da hat man alles ausprobiert.“

"In der Liebe habe ich nichts versäumt"
Wien Altersheime Häsuer zum Leben

Die 101-jährige Therese Ottinger hat ebenfalls ein bewegtes Leben hinter sich. Die Mutter starb, als sie drei war. In der Notzeit des Ersten Weltkriegs noch selbst ein Kind, zog sie ihren Sohn während des Zweiten Weltkrieges auf. „Ja, das habe ich alles ausgestanden“, sagt sie. Solche Erlebnisse machen stark: Trotz ihres hohen Alters wohnt sie alleine in einem Appartement im Haus „An der Türkenschanze“. Auf der Kommode befinden sich Fotos der Nachkommen. Eines zeigt sie besonders stolz: „Das ist meine Urenkelin. Meine Familie gibt mir Kraft.“

"In der Liebe habe ich nichts versäumt"
Wien Altersheime Häsuer zum Leben

Mit 50 ließ sie die Zigaretten sein. Anna Stadler hat ihren Körper mit Wandern, Schwimmen und Massagen fit gehalten. „Und in der Liebe habe ich nichts versäumt.“ Bis vor Kurzem lebte die gelernte Wäscheverkäuferin allein zu Hause. Jetzt hat die geistig fitte 100-Jährige eine Lungenentzündung im AKH Linz überwunden. Nächste Woche übersiedelt sie ins Seniorenheim Linz-Dauphinestraße. „Mein Sohn und beide Enkerln wohnen in der Nähe.“

Versorgungsdilemma: Menschen werden bis ins hohe Alter arbeiten müssen

112 Jahre und 178 Tage alt war Maria Mika, als sie 1994 starb. Damit hält die Wienerin vermutlich den österreichischen Altersrekord. Der älteste lebende Österreicher ist ein Salzburger. Er wurde im Mai 1904 geboren.

Bei 130 oder gar 140 Jahren liege das theoretische Höchstalter, das Menschen erreichen können, schätzt der Altersforscher Leopold Rosenmayr. Die Zahl Hochbetagter werde aber auf alle Fälle rasant zunehmen, betont er und zeichnet ein ernüchterndes Bild der Konsequenzen: „Der Staat wird die Betreuung der vielen alten Menschen nicht finanzieren können. Und es ist sicher nicht damit getan, ein Altenheim nach dem anderen zu errichten, das sich keiner leisten kann.“ Gleichzeitig würden die stabilen Familienstrukturen zerfallen, in denen alte Menschen aufgehoben sein könnten, ohne dass eine Alternative in Sicht sei.

"In der Liebe habe ich nichts versäumt"
Alterungsforscher Leopold Rosenmayr

Die Menschen werden laut Rosenmayr sehr bald bis zum gesetzlichen Pensionsalter und in weiterer Folge bis 70 – je nach ihren Möglichkeiten – arbeiten müssen. Doch dabei gehe es nicht allein um die finanzielle Absicherung: „Arbeit verhindert auch, dass alte Menschen in den Abgrund mangelnder Anerkennung fallen“, sagt der 88-Jährige, der kürzlich ein Buch über seine Kriegserlebnisse veröffentlicht hat.

Rosenmayr warnt davor, sich falsche Vorstellungen vom hohen Alter zu machen. „Es gibt keinen über 85-Jährigen ohne irgendeine Behinderung.“ Und was bedeutet Glück in dieser Lebensphase? „Wenn man einen Menschen hat, den man liebt.“

Buchtipps: Leopold Rosenmayr, Im Alter noch einmal leben, Lit Verlag 2010 (20,50 €). Ders., Im Krieg auf dem Balkan, Böhlau 2012 (30,80 €).

Fotos: Anna-Maria Bauer, Gilbert Novy

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