"Das darf nicht ungestraft bleiben"

Armangul Kapasheva
Witwe eines Mordopfers im Interview über Feigheit, banges Warten und schreckliche Gewissheit.

Am Freitag belastete die Witwe Armangul Kapasheva vor Gericht den Hauptangeklagten Rakhat Aliyev, der vor dem Prozess erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden war. Ihr Mann, ein kasachischer Banker, wurde ermordet. Dem KURIER gab Kapasheva (vertreten von der Kanzlei Lansky, Ganzger und Partner) ein Interview.

KURIER: Was erwarten Sie sich vom Prozess?

Armangul Kapasheva: Das Wichtigste ist Gerechtigkeit. Gerechte Strafe für die, die meinen Ehemann umgebracht haben. Das darf nicht ungestraft bleiben. Mein Mann war erst 39 Jahre alt, als er starb.

Aber Aliyev kann man nicht mehr zur Verantwortung ziehen.

Ich hatte die Hoffnung, dass er weitere Jahre im Gefängnis sein wird und auch seine Freiheit eingeschränkt wird, die Geldmittel verwenden zu können, die er rechtswidrig erhalten hat. So wie er aus Kasachstan geflohen ist, ist er auch vor diesem Prozess geflohen. Es war feige, sich zu verstecken und sich politische Verfolgungstheorien auszudenken. Genauso feige ist es, sich nicht den Anschuldigungen zu stellen. Es kommt vor, dass Personen, die besondere Brutalität zeigen, im Leben feige sind. Als er das erste Mal in Österreich festgenommen wurde für nur einen Tag, hat er sich danach jahrelang beschwert, wie ihn die Handschellen gedrückt haben. Dabei ist das kein Vergleich zu dem, wie er mit meinem Mann umgegangen ist.

Haben Sie Aliyev jemals persönlich getroffen?

Nein. Im Jahr 2007 (von Frau Kapashevas Ehemann fehlte jede Spur, Anm.) versuchte ich, in Wien mit ihm zu sprechen. Ich ging zu ihm in den 13. Bezirk und habe geläutet, aber er kam nicht heraus. Ich wollte ihn fragen, wo mein Mann ist. Ich habe gehofft, dass er ihn noch versteckt hält. Ich hatte noch Hoffnung, dass er etwas Menschliches hat und so etwas Furchtbares nicht hat geschehen lassen.

Wie lange haben Sie nach Ihrem Mann gesucht?

Drei Jahre. Man fragt bei uns sogar Menschen mit spirituellen Kräften, wo jemand sein könnte. Wir haben alle Orte in Almaty und Umgebung abgesucht.

Aliyev hat behauptet, Ihr Mann und seine Vorstandskollegen hätten Kredite zum Nachteil der Bank an Verwandte vergeben. Was wussten Sie von den Bankgeschäften ihres Mannes?

Mein Mann hat ab 1996 die Nurbank aufgebaut, sie war sein Kind. Als die Nurbank einen Investor gesucht hat und von Aliyev übernommen wurde, blieb ihr mein Mann treu. Ich habe später mit den Bankmitarbeitern gesprochen und bin überzeugt, dass alle Kredite rechtskonform vergeben wurden.

Am 18. Jänner 2007 verschwand Ihr Mann erstmals?

Er sagte, er müsse mit Aliyev auf eine Geschäftsreise nach Kiew. Wir telefonierten üblicherweise mehrmals täglich. Diesmal konnte ich ihn nicht erreichen. Am nächsten Abend kam er zurück und war ganz grau im Gesicht. Bei uns sagt man: Er hatte kein Gesicht drauf. Er hat die Kinder und mich umarmt und gesagt, seine größte Angst war, uns nie wieder zu sehen. Dann erzählte er, dass er gemeinsam mit seinem Kollegen Abilmazhen Gilimov in ein Sportcenter gebracht wurde und dort angekettet war. Dass dort ein Schießstand war und Aliyev unter seine Füße geschossen hat. Aliyev fragte: "Hast du Angst?" Durch Gilimovs gute Beziehungen zu einem Bewacher war es Gilimov und meinem Mann dann möglich, freizukommen.

Warum hat Ihr Mann nach seiner Rückkehr keine Anzeige gemacht?

Aliyev sagte, "Es war nur ein Test, ihr seid eh gute Jungs." Außerdem hatte mein Mann Angst, gegen den Schwiegersohn des Präsidenten vorzugehen.

Am 31. Jänner 2007 verschwand Ihr Mann endgültig?

Er war damals nicht mehr bei der Bank, musste aber an dem Tag hin. Er sagte, er kommt nach 20 Minuten zurück, aber er kam nicht wieder. Ich spürte, es ist was passiert. In der Nacht auf den 5. Februar kam ein Anruf, es war die Stimme meines Mannes, aber so als würde er etwas angesagt bekommen. Er sagte, dass er sich vor der Finanzpolizei versteckt. Ich sagte: "Ich weiß, du wirst festgehalten." Er reagierte nicht.

Hatten Sie noch Hoffnung, dass er zurück kommt?

Wenn ihn Aliyev freigelassen hätte, hätte ich gesagt: Ich hab mir alles ausgedacht, ich war hysterisch. Wir haben an Behörden und Botschaften Anfragen gerichtet, ohne Ergebnis. Gleichzeitig hat Aliyev gegen mich und die anderen Frauen Verleumdungsklagen eingebracht. Er hat immer alle Prozesse gewonnen, er war unbesiegbar. Seine Anwältin drohte mir mit Gefängnis.

Wann wurde es für Sie Gewissheit, dass ihr Mann tot ist?

2009 haben Frau Khasenova (Witwe des zweiten Mordopfers) und ich Alnur Mussayev (Mitangeklagter im Mordprozess) in Wien getroffen. Mussayev gab uns zu verstehen, dass unsere Männer nicht mehr leben. Er bestritt die Mittäterschaft, versprach aber, den Liegeort bekannt zu haben. Er sagte, dass Aliyev und Koshlyak (zweiter Mitangeklagter) unsere Männer umgebracht haben. Er kannte Einzelheiten. Am 12. Mai 2011 hatte mein Mann Geburtstag, einen Tag danach bekam ich daheim einen Anruf, ich soll mit Frau Kashenova ins Innenministerium kommen. Wir wurden gefragt, welche Farbe die Unterwäsche unserer Männer hatte, und man zeigte uns Fotos. Da war die Hoffnung tot. Daheim fand ich in seiner Wäschelade zwei ähnliche Unterhosen aus der selben Packung, es war eine Dreier-Garnitur. Damit war es gewiss. Im Juni konnten wir dann wenigstens die Überreste beerdigen.

Sind Sie Mussayev dankbar, dass er angeblich den Liegeort der Leichen preisgegeben hat?

Dankbarkeit habe ich keine, ich bin überzeugt, Mussayev ist auch der Mörder meines Mannes. Aber zumindest wusste ich dadurch, wo mein Mann liegt.

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