Erstes Interview: „In der Heimat müssten wir sterben“

Die erste syrische Flüchtlingsfamilie in Österreich konnte nur ihr nacktes Leben retten. Verwandte in Wien finanzierten die Flucht
Interview mit erster Flüchtlings-Familie in Wien. Für die Tochter beginnt am Montag schon die Schule.

Die Nacht in Traiskirchen von 1. auf 2. Oktober war für uns ein Segen. Meine Familie und ich waren endlich in Sicherheit. Wir wussten gar nicht mehr, wie es ist, ohne Angst schlafen zu können“, gibt Riad Haro einen ersten Einblick in das Nervenkostüm seiner Familie. Ruaida Afram, seine Frau, und Tochter Priscella, 12, sitzen ruhig daneben und nicken.

Der KURIER traf die erste syrische Flüchtlingsfamilie nach der Sonntagsmesse in der Pfarre St. Ephrem in Wien-Hietzing. Die ehemalige Lainzer Pfarrkirche ist das Gotteshaus der syrisch-orthodoxen Christen in Wien.

Das Gespräch wird von der Schwester von Frau Afram übersetzt. Sie lebt bereits seit Jahren in Wien. Schon die Flucht der dreiköpfigen Familie aus Syrien zeigt den psychischen und körperlichen Ausnahmezustand. „Unser Zuhause war die Stadt Kamichly an der türkischen Grenze. Dort leben Kurden, fanatische Islamisten, Sunniten und Aleviten. Christen sind eine Minderheit. Der Terror gegen uns wuchs stetig. In den letzten Monaten waren wir unseres Lebens nicht mehr sicher“, erzählt das Familienoberhaupt, Landwirt und Zivilingenieur mit gefasster, leiser Stimme. „Männer werden erschossen. Was mit Frauen und Kindern passiert, will ich hier nicht erzählen.“ Tatsache ist, dass Vergewaltigungen, Entführungen, Erpressung, Überfälle, Brandschatzungen und religiös motivierte Morde auf der Tagesordnung stehen.

Erstes Interview: „In der Heimat müssten wir sterben“
syrien flüchtlinge in österreich

Lange Flucht

Einen Monat dauerte die Flucht nach Österreich. Mit einem von UNHCR (Flüchtlingshochkommissariat) und IOM (Internationale Organisation für Migration) zur Verfügung gestelltem Flugzeug ging es vorerst von Damaskus nach Amman (Hauptstadt von Jordanien). „Im Flugzeug standen die Menschen auf dem Gang. Es war für lange Zeit die letzte Chance wegzukommen“, erklärt Riad Haro. In Amman wurde eine Wohnung gemietet. Verwandte in Wien schickten Geld. Am 1. Oktober landete die Familie gesund, aber nervlich am Ende in Wien.

Bei dem Gespräch dabei war auch der syrisch-orthodoxe Bischof Emanuel Aydin. Er steht in Österreich einer Glaubensgemeinde von 4500 Landsleuten vor: „Wir müssen in Wien jetzt nach vorne blicken und unsere Landsleute integrieren. Österreich ist ein wunderbares Land. Hier wird Freiheit gelebt.“

Erstes Interview: „In der Heimat müssten wir sterben“

Für die 12-jährige Priscella beginnt die Integration mit ihrem ersten Tag in einer Wiener Schule schon am Montag. Deutschkurse sollen Eltern und Tochter helfen, die Sprachbarriere möglichst rasch zu überbrücken. Und für den Vater wird nach einem Job gesucht. Dass es erst acht Syrien-Flüchtlinge nach Österreich geschafft haben, zeigt, welches Glück die Familie hatte.

Ob sie jemals nach Syrien zurückkehren wird? Riad Haro überlegt lange und schüttelt den Kopf: „Ich glaube nicht, denn in der Heimat müssten wir sterben.“

500 Bürgerkriegsflüchtlinge werden von Österreich aufgenommen. Bevorzugt dabei sind Frauen, Kinder und Verfolgte religiöser Minderheiten.

250 der Aufgenommenen sollen in Österreich bei Verwandten leben und wohnen. Die Syrer werden durch UNHCR und IOM noch in ihrer Heimat oder in den Auffang-Camps in der Türkei oder Jordanien identifiziert und mit gültigen Papieren ausgestattet. In Österreich angekommen werden die Einreise-Formalitäten inklusive Gesundheitscheck im Aufnahmezentrum Ost in Traiskirchen (NÖ) abgewickelt.

Die Flüchtlinge befinden sich in der Grundversorgung und besitzen damit einen legalen Aufenthaltsstatus.

Im Gegensatz zu früheren Aufnahme-Kampagnen durch Österreich wird es keine Sammel-Flüge (wie etwa während und nach dem Kosovo-Krieg) geben. Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, erklärt: „Wir wollen die Menschen, die mit gültigen Papieren ausgestattet sind, nicht unnötig im gefährdeten Gebiet warten lassen.“

Weiters nehmen Deutschland, Finnland, Schweden, Dänemark, Luxemburg sowie die Schweiz Menschen aus Syrien auf. In Österreich fanden nach dem Zerfall Jugoslawiens 115.000 Vertriebene aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo sichere Zuflucht.

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