"Erpressungswelle" im Gefängnis

"Erpressungswelle" im Gefängnis
Justizwachegewerkschaft will Häf’n-Betrieb einschränken. Anwälte befürchten Prozess-Stau.

Wer Albin Simma in diesen Tagen zuhört, der tut sich schwer zu glauben, dass hier der oberste Justizwachegewerkschafter spricht. Wer, wenn nicht Wachebeamte, sollten Regeln punktgenau einhalten. Simma sagt aber: "Wir begehen täglich Übertretungen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten." So werden Häftlinge immer häufiger nur von einem Beamten zum Prozesstermin begleitet, während die Vorführung durch zwei Beamte früher die Regel war.

Verantwortlich dafür seien der akute Personal- und Geldmangel. Es ist nicht das einzige Defizit: Kaum eine Woche vergeht derzeit, in der der Vollzug für keine negativen Schlagzeilen sorgt. In Stein etwa ließ man einen psychisch kranken Häftling verwahrlosen; ein Video aus Stuben zeigt, wie ein Häftling von einem Beamten misshandelt wird; ein Suizidfall warf zuletzt Fragen zur Betreuungsqualität auf.

"Erpressungswelle" im Gefängnis
Justizgewerkschafter Albin Simma
Die Personalvertreter wollen die für kommenden Donnerstag fixierten Dienststellenversammlungen dazu nutzen, die Beamten aufzubauen. "Wir wollen den Kollegen vermitteln, dass wir nicht so schlecht sind, wie es in den Medien steht", sagt Simma. Es sei nicht das "falsche Personal, sondern zu wenig". Häftlinge wüssten den medialen Druck, der sich aufgebaut habe, zu nutzen: "Es gibt eine regelrechte Erpressungswelle. Insassen sagen Beamten, wenn du das nicht tust, geh’ ich zur Zeitung". In der Vollzugsdirektion kann man eine signifikante Häufung solcher Fälle auf Anfrage nicht bestätigen.

In dieser tristen Lage will nun die Justizgewerkschaft den Aufstand proben: Die Personalvertretung will mit einer Abstimmung ausloten, ob ihre Kollegen "gewerkschaftliche Maßnahmen" mittragen.

Von Streik ist nicht die Rede. Die im Raum stehende Drohung heißt "Dienst nach Vorschrift", klingt eher harmlos, würde aber Teile des Justizapparates massiv einschränken. "Dann steht der Häf’n still", prophezeit Simma (FCG). Besuche von Verwandten und Vorführungen, etwa der Insassen zu ihren Anwälten, würden sich verzögern oder gar nicht möglich sein. Die Grundversorgung der Häftlinge sei allerdings nicht betroffen, stellt er klar.

"Es wird viel von Reformen geredet. Wir sehen aber keine Entlastung, kein Licht am Ende des Tunnels", sagt Simma. Als Beispiel nennt er etwa die hundert neuen Beamten, die zwar zugesagt, aber "noch nicht einmal budgetiert", seien.

Die meisten Strafverteidiger stehen hinter der Justizwache: "Die psychische Belastung ist extrem hoch", bricht Eduard Salzborn für die Beamten eine Lanze: "Die sind genauso eingesperrt, mit dem Unterschied, dass sie abends heimgehen dürfen." An manchen Tagen würden seiner Erfahrung nach in der Justizanstalt Josefstadt bis zehn Uhr am Vormittag bereits 150 Häftlinge zum Gespräch mit den Anwälten oder zu Einvernahmen vorgeführt.

Drei Beamte sind normalerweise dafür abgestellt, laut Strafverteidiger Alexander Philipp bleibt der Ansturm aber häufig an einem hängen. Wenn Personal fehlt, kommt es zu Wartezeiten.

Brief an Minister

Die unbegrenzte und rechtzeitige Vorbereitung des Prozesses mit dem Verteidiger ist für jeden Beschuldigten ein Grundrecht. Anwalt Sebastian Lesigang würde im Ernstfall darauf pochen und beim Richter eine Verschiebung der Verhandlung verlangen. Verzögerungen und längere U-Haftzeiten sind die Folge.

30 Wiener Strafverteidiger haben Justizminister Wolfgang Brandstetter deshalb in einem Brief aufgefordert, für personelle Aufstockung zu sorgen. Anwalt Salzborn sieht auch Finanzminister Michael Spindelegger gefordert: "Es ist unerträglich, dass die notwendigen Mittel nicht freigegeben werden."

Der Strafvollzug sei in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. Das sagt Justizminister Wolfgang Brandstetter in der ORF-Pressestunde am Sonntag. Die theoretischen Grundlagen wären nicht so schlecht, allerdings sei vieles schiefgelaufen – zumeist aus Kostengründen: "Man war den eigenen Grundsätzen nicht mehr treu." Viele psychisch beeinträchtigte Rechtsbrecher seien in der falschen Einrichtung, da werde jetzt aber intensiv gegengesteuert, so Brandstetter: "Das Bewusstsein hat sich geändert."

Ende Juni wird dazu eine Reformgruppe starten, um die bestmögliche Betreuung solcher Insassen sicherzustellen. Man will etwa gezielt Beamte mit Migrationshintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen anwerben.

Einmal mehr plädierte Brandstetter auch für eine Reform des Weisungsrechts des Justizministers über die Staatsanwälte und für eine Beschleunigung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Inhaltlich nicht kommentieren wollte der Minister seine anwaltliche Tätigkeit für den nun in U-Haft genommenen kasachischen Ex-Botschafter Rakhat Aliyev. "Ich kann und darf zu früheren Fällen, die ich einmal betreut habe, aus berufsrechtlichen Gründen nichts sagen."

Sondergesetz verteidigt

Außerdem hat Brandstetter das geplante Hypo-Sondergesetz verteidigt, mit dem die Forderungen der Nachranganleihe-Gläubiger der Kärntner Hypo gestrichen werden. Die Alternative dazu wäre eine Insolvenz des Bundeslandes Kärnten gewesen, und das habe man auf jeden Fall vermeiden müssen, sagte Brandstetter.

Der Justizminister zeigte sich überrascht von der Kritik an dem Sondergesetz, denn man habe schon seit längerer Zeit angekündigt, nachrangige Gläubiger und auch die früheren Eigentümer an den Kosten zu beteiligen. Das nun geplante Sondergesetz sei "mit Unsicherheiten behaftet", räumte Brandstetter ein, da hier "Neuland betreten" werde. Es gebe keine 100-prozentige Garantie, dass das Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof als Letztinstanz halten werde - aber immerhin habe man sich beim Sondergesetz auf eine EU-Richtline gestützt: "Ich bin juristisch 100 Prozent sicher, dass man nur schwer dagegen vorgehen kann." Mehr dazu lesen Sie im KURIER-Interview.

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