Die Flucht aus dem Datennetz

Vor der eigentlichen Einführung Ende 2015 wird ELGA noch ausgiebig getestet. Unter anderem sind auch simulierte Hacker-Attacken geplant.
Fast 170.000 Bürger haben sich bereits abgemeldet. Die Gesundheitsministerin bleibt dennoch gelassen.

Es ist eine der größten Herausforderungen, die auf die neue Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) warten: Die Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA). Bis 2022 sollen alle heimischen Ärzte, Spitäler und Apotheker mit dem EDV-System arbeiten, das allen Beteiligten Zugriff auf die wichtigsten Patientendaten erlaubt. Doppelgleisigkeiten und Mehrfachbefundungen sollen so künftig vermieden werden.

Seit Jahren laufen Ärztevertreter gegen das 130-Millionen-Euro-Projekt Sturm. Sie befürchten mehr Bürokratie und Datenmissbrauch (siehe rechts). Skeptisch sind aber auch viele Patienten: Bis Ende August haben sich bereits 169.000 Personen von ELGA abgemeldet, rund 15.500 weitere Willenserklärungen warten noch auf die Bearbeitung. Zum Vergleich: Anfang Juni gab es insgesamt erst 162.000 Anträge, die zu diesem Zeitpunkt erledigt oder in Bearbeitung waren.

Oberhauser bleibt dennoch gelassen: "Die Zahlen machen auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet nicht einmal zwei Prozent aus." Zudem seien zuletzt immer weniger Neu-Abmeldungen hinzugekommen. "Über die Sommermonate ist die Kurve stark abgeflacht."

Grundsätzlich ist Oberhauser vom Nutzen von ELGA überzeugt: "ELGA wird die Behandlung und Betreuung verbessern und auch zu einer erhöhten Medikamentensicherheit führen."

Möglicherweise wäre die offizielle Zahl der ELGA-Flüchtlinge allerdings bereits deutlich höher, würden die Abmeldewilligen nicht auf bürokratische Hürden stoßen. Dies vermutet zumindest der Hausärzteverband, der seit Monaten besonders scharf gegen ELGA kampagnisiert: "Oft müssen die Patienten Monate auf die schriftliche Bestätigung warten. Manchmal bleibt sie überhaupt aus."

Susanne Herbek, Geschäftsführerin der ELGA GmbH bestreitet Pannen in der Abwicklung der Anträge: "Natürlich kommt es zu Verzögerungen, wenn Formulare schlecht leserlich ausgefüllt wurden. Wenn alles passt, wird ein schriftlicher Antrag aber in zehn bis 14 Tagen erledigt."

Auch Herbek macht sich angesichts der Abmelde-Statistik keine Sorgen. "Auf Info-Veranstaltungen habe ich sogar schon Menschen kennengelernt, die sich wieder angemeldet haben, nachdem sie sich ein genaueres Bild von ELGA machen konnten." Dennoch will man auch künftig mit Info-Events und eventuell auch Werbung die Menschen von den Vorzügen der elektronischen Gesundheitsakte überzeugen.

Verzögerung

Zuletzt wurde bekannt, dass sich der Start des Projekts um ein Jahr auf Ende 2015 verschieben wird. "Bei näherer Analyse hat sich gezeigt, dass der Aufwand doch größer ist als ursprünglich angenommen", sagt Herbek dazu. Sie geht aber nicht davon aus, dass dadurch Mehrkosten entstehen und ist überzeugt, dass die Einführung wie geplant 2022 abgeschlossen sein wird.

Bevor in den ersten Spitälern (in Wien, der Steiermark und OÖ) ELGA eingeführt wird, steht zunächst ein Trockentraining am Programm. Nicht zuletzt wird auch die Datensicherheit von ELGA mit simulierten Hacker-Angriffen getestet.

Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer, fordert, jeder Patient soll entscheiden können, ob er bei ELGA dabei sein will.

KURIER: Trotz einer massiven Kampagne der Ärztekammer gegen ELGA haben sich bisher gerade einmal zwei Prozent der Bevölkerung abgemeldet. Spricht das nicht gegen den Kurs der Kammer?

Thomas Szekeres: Vorweg: In unseren Info-Materialen für die Arztpraxen haben wir keine Empfehlung abgegeben, sondern über die Vor- und Nachteile informiert. Und eine Abmeldungsrate von zwei Prozent ist nicht so wenig. Man muss bedenken, dass jeder Bürger automatisch bei ELGA dabei ist und sich erst aktiv abmelden muss. Wir fordern den umgekehrten Weg: Jeder Patient soll von sich aus vorab entscheiden können, ob er bei ELGA dabei sein will.

Was sind Ihre Hauptbedenken gegenüber ELGA?

Ich sehe den Nutzen und den Mehrwert nicht. Wir haben schon seit Jahrzehnten ein eigenes Datenübermittlungssystem mit einer eigenen Leitung. Wir befürchten vielmehr mit ELGA einen enormen Zuwachs am administrativen Aufwand, der schon jetzt in den Spitälern und Ordinationen enorm hoch ist. Mit der Einführung von ELGA könnte dann den Ärzten noch weniger Zeit für die Patienten übrig bleiben. Ein weiteres Problem ist die Frage der Datensicherheit.

Kosten
Nach derzeitigem Stand wird ELGA bis 2018 rund 130 Millionen Euro kosten.

Aktuelles in Zahlen
12% der Bevölkerung haben sicher vor, sich von ELGA abzumelden. Das zeigte eine Umfrage der ELGA GmbH aus dem vergangenen Jänner. Bis dato haben sich erst knapp zwei Prozent der Bürger tatsächlich abgemeldet.

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