Eine Gemeinde hilft den Flüchtlingen

Matin, 16, kommt aus Afghanistan, Zakariqe, 17, aus Somalia. Beide sind ohne ihre Eltern nach Österreich geflüchtet. Rechts: Caritas-Leiter Jurka.
In Maria Enzersdorf steht Hilfe an der Tagesordnung. In vielen Orten regiert aber Angst vor den Fremden.

In vielen der 2354 Gemeinden Österreichs regiert Unsicherheit. Nur ja kein Haus mit Asylwerbern im Ort. Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann nur eine geringe Zahl von Flüchtlingen. In Maria Enzersdorf ( Bezirk Mödling) denkt man anders. Politik und Bevölkerung unterstützen die Asylwerber.

Sieben Bundesländer halten den Aufteilungsschlüssel nicht ein. Nur Wien und NÖ erfüllen die Quote. Doch aus Syrien und dem Irak kommen immer mehr Menschen, die vor dem IS-Terror flüchten. Diese Woche wurden 700 Asylanträge gestellt. "Im August gab es um 73 Prozent mehr Erstanträge als 2013", erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.

So wurde der Aufnahmestopp in Traiskirchen aufgehoben und in mehreren Gemeinden bezogen Asylwerber ihre Unterkünfte – verfügt vom Innenressort. Proteste waren die Folge. In Steinhaus etwa gingen die Wogen hoch. Bis zu 200 Asylwerber sollen in der Katastralgemeinde von Spital am Semmering einquartiert werden. In dem Örtchen sind aber nur knapp 200 Hauptwohnsitzer gemeldet.

Angst vor der Zukunft

45 Flüchtlinge wurden auch im Tiroler Thiersee einquartiert. Mittwoch prüfte die Behörde, ob eine Aufstockung auf 100 Personen möglich ist. "Wir haben Verständnis für das Schicksal der Menschen. Aber wir haben auch Angst, was auf uns zukommt", gibt Bewohnerin Anna Pirchmoser zu. "Zeltstädte wie in Deutschland müssen verhindert werden", stellte Mikl-Leitner klar. Bleibt die Frage, wie viele Asylwerber ein Ort aufnehmen kann?

Der KURIER besuchte den Steyler-Missionsorden in Maria Enzersdorf (Bezirk Mödling). Im Haus St. Gabriel leben 140 von der Caritas betreute Asylwerber. Darunter 40 Jugendliche ab 14, die ihre Flucht ohne Eltern oder Verwandte wagen mussten. Der Caritas-Leiter des Hauses, Johannes Jurka, stellt der Lokalpolitik und den Einwohnern ein gutes Zeugnis aus: "Bürgermeister Zeiner und sein Vize helfen, wo es geht. Und viele Maria Enzersdorfer sind ehrenamtlich tätig, etwa im Deutsch-Unterricht. "

"Neutral bis positiv"

Bürgermeister Johann Zeiner will die Hilfsbereitschaft nicht überbewerten: "Mit Nebenwohnsitzern leben bei uns etwa 10.000 Bürger. Da sind 140 Asylwerber eine eher unauffällige Größe. St. Gabriel ist ein großes Areal." Zeiner weiter: "Wir hatten keine negativen Erlebnisse mit den Flüchtlingen. Und der Orden hilft seit Jahrzehnten, etwa in der Bosnien-Krise. Bei Problemen aber kann die Stimmung kippen." Das Miteinander zeigt sich auch in Kindergärten und Schulen. Viele Flüchtlingskinder werden hier unterrichtet. "Wir stehen der Flüchtlingsproblematik neutral bis positiv gegenüber", so Zeiner.

Diese Stimmung hilft den Flüchtlingen. Denn erschütternde Erlebnisse in der Heimat, die lebensgefährliche Flucht und schließlich die Ausgrenzung in den Gastländern traumatisieren Asylwerber. Der KURIER sprach mit drei Jugendlichen, die sich alleine auf den Weg in ein menschenwürdigeres Leben machten.

Thierno, 17, aus dem Senegal flüchtete 2012 aus einer Koranschule. Er wollte anonym bleiben. Denn die Schläge, Psycho-Folter und Morddrohungen vergisst er nie. Über seine Familie will er nicht reden. Dafür über die Zukunft: "Mechaniker wäre mein Traum." Aktuell lernt der Bursche Deutsch für den Hauptschulabschluss. Sein Asylverfahren läuft.

Zakariq, 17, aus Somalia flüchtete über den Sudan, Libyen, Syrien und Italien nach Österreich. Er lief vor dem Krieg davon. Der aufgeweckte junge Mann hätte Soldat werden sollen. Nicht einmal seine Eltern weihte er vor der Flucht ein. Aktuell steht Deutsch auf dem Lehrplan: "Aber ich werde Profi-Fußballer. Ihr werdet schon sehen."

Der Afghane Matin, 16, wurde mit seiner Familie bereits in den Iran vertrieben. Dort geriet sein Vater in eine Blutfehde. Die Mutter finanzierte den Schlepper – ihr Sohn sollte eine Zukunft haben. Die Route führte über die Türkei und Italien nach Österreich. Der Junge wurde aufgegriffen und kam nach Traiskirchen: "Ich möchte Computertechniker werden. Habe ich das geschafft, kehre ich nach Hause zurück. Ich muss meiner Familie helfen..."

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (VP) hat am Samstag eine "Bankrotterklärung für die Hilfsbereitschaft in unserem Land" geortet. Anlass sind Aussagen seitens des Landes Steiermark, dass man eigentlich Asylwerber aufnehmen könnte, die Bürgermeister aber dagegen seien.

"Täglich erreichen uns nicht nur die Bilder des Mordens, des Terrors und der Verfolgung, sondern eben auch die Menschen, die davor fliehen und bei uns Schutz suchen. Die öffentlichen Diskussionen dazu sind schon bisher unwürdig genug", meinte nun Mikl-Leitner der APA gegenüber. Und weiter: Wenn ein Bundesland so etwas kundtue, "stimmt das schon nachdenklich, wie es da bei Einzelnen um ihre Solidarität mit verfolgten Menschen steht".

Caritas-Präsident Michael Landau sieht keine Flüchtlingswelle, betont aber, dass die EU gefordert ist.

KURIER: Sie sehen aktuell keine Flüchtlingswelle. Dass aber verstärkt Asylanträge gestellt werden, ist unbestritten. Steht Europa vielleicht erst vor der oft zitierten Flüchtlingswelle?

Michael Landau: Es ist unbestritten, dass mehr Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen nach Europa aufbrechen. Darum brauchen wir eine europäische Strategie.

Die aber hat nicht einmal im Ansatz funktioniert, siehe die Tragödien vor Lampedusa.

Eine Aufgabe für die neue EU-Kommission: Aus den alten Denkmustern auszubrechen, ist die große Chance.

Wo müsste eine seriöse EU-Strategie ansetzen?

Es geht um eine gerechte Aufteilung, qualitätsvolle Verfahren und klare Zuständigkeiten. Humanitäre Verantwortung darf nicht zur Worthülse degradiert werden.

Könnte Österreich bei einer EU-Initiative "überrannt" werden?

Nein, denn Österreich ist kein Hauptzielland. Und europäische Solidarität könnte bei uns einen Rückgang der Flüchtlingszahlen bringen.

Unterstützen Sie die Taktik der Innenministerin, Flüchtlinge in Gemeinden und/oder kleinen Orten einzuquartieren?

Wir sind von einer Flüchtlingsflut weit entfernt. Wir können unserer humanistischen Tradition auch in Zukunft gerecht werden. Kleinere Einrichtungen sind dabei besser als Großlager.

Demnach sind die in den betroffenen Orten umstrittenen Unterbringungen nachvollziehbar?

Nacht- und Nebelaktionen wie zuletzt in der Steiermark sind nicht zielführend. Ich appelliere aber an die Bürgermeister, sich der Not nicht zu verschließen.

Es gab Kritik an der Kirche, der humanitären Verantwortung zu wenig nachzukommen . . .

In 45 Caritas-Einrichtungen werden 2800 Asylwerber grundversorgt. 5000 Menschen werden mobil betreut. Wir sind unserer Verantwortung stets gerecht geworden.

Wie kann die Flüchtlingsbewegung gebremst werden?

Mittel der Entwicklungshilfe zu streichen, ist falsch. Mit einer Million € kann man 12.000 Menschen vom Hunger befreien. Das sind 12.000 Flüchtlinge weniger, die ein klappriges Boot besteigen, um nach Europa zu gelangen.

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