Ein Kalender ohne Jesus ist möglich

Ein Kalender ohne Jesus ist möglich
Ein Astronomieprofessor schlägt eine neue Zeitrechnung vor.

Wir schreiben das Jahr 200.044 – Erdenzeit. Diese Jahreszahl – sie ist ident mit dem Jahr 2012 – wurde nach dem neu entwickelten „Homo-Kosmischen Kalender“ eines Innsbrucker Astrophysikers berechnet. Roland Weinberger verwirft die Geburt Christi als Fixpunkt und wählt stattdessen die Landung auf dem Mond am 21. Juli 1969 als Fixpunkt für seine neue Zeitrechnung, ein Ereignis, mit dem sich die Menschheit neue Horizonte erschlossen hat und erstmals einen Fuß auf einen anderen Himmelskörper gesetzt hat. Von diesem bekannten Ereignis an, zählt Weinberger 200.000 Jahre zurück, bis zur Entstehung der Menschheit. „A la longue übersteigen diese Ereignisse die Bedeutung eines Jesus Christus oder der historischen Person Jesu von Nazaret bei Weitem.“

Nur für Christen

Weinbergers Vorstoß klingt ein wenig verwegen. Denn warum sollte man einen gut funktionierenden und seit Jahrhunderten bewährten Kalender wie den Gregorianischen über Bord werfen, gewissermaßen durch Sonn’ und Mond schießen? Erklärung: „Versuchen wir uns einmal in einen Thailänder hineinzuversetzen, oder in irgendeinen anderen Bewohner eines nicht-christlichen Erdteils. Dann wird klar, wie sehr unsere jetzige Zeitrechnung christlich geprägt ist. Sie wird von nicht wenigen Menschen auf der Welt als eine Zumutung empfunden. Weshalb sollte man eine solche über die nächsten 100, 200 Jahre fortschreiben.“ Ein Kalender sollte für alle Menschen da sein, nicht nur für die Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft.

Tatsächlich ist die Geburt Christi ein denkbar schlechter Bezugspunkt für die Stunde null eines global gültigen Kalenders, nicht nur wegen des christlichen Glaubensbezugs. Papst Benedikt XVI. räumte vor Kurzem ein, er glaube nicht, dass die heutige Zeitrechnung stimme und Jesus vor 2012 Jahren geboren wurde. Im Klartext: Nach den Evangelisten Matthäus und Lukas wurde Jesus vor dem Tod König Herodes’ im Jahr 4 vor geboren. Jesu Geburt ist demnach zwischen 7 und 4 vor anzusetzen und nicht im Jahr 1. Es fehlt ein eindeutiger Startpunkt.

Wie würde sich der Weinberger-Kalender in der Praxis bewähren? Eine sechsstellige Jahreszahl würde sich im Schriftbild kaum durchsetzen. Besser wäre folgende Schreibweise: 28. 12. 2’044. Auch der Begriff Homo-Kosmischer Kalender ist etwas sperrig. „Kosmischer Kalender“ (HKK) wäre griffiger, meint Weinberger, aber er ist bereits vergeben und steht nach Carl Sagan für die Entwicklungsgeschichte des Universums vom Urknall bis zur Gegenwart.

Nichts für Naive

So einleuchtend diese Argumente auch sind, der Professor räumt seinem Vorschlag selbst nur geringe Chancen auf Umsetzung ein. „Ich bin ja nicht so naiv anzunehmen, dass man allein mit der Präsentation einer Idee viel oder sogar rasch etwas bewerkstelligen kann. Die Chancen sind nicht groß, aber sie sind nicht gleich null.“

Wer sollte eine globale Kalenderreform umsetzen, so sinnvoll sie auch sei, fragt der Astronom und Wissenschafts-Blogger Florian Freistetter („Astrodictium simplex“): „Die Religion, die solche Sachen früher leicht anordnen konnte, hat diese Macht zum Glück nicht mehr. Und die Politiker dieser Erde können sich ja nicht einmal auf die simpelsten Beschlüsse einigen, wenn es um wichtige Dinge wie zum Beispiel Klimawandel, Menschenrechte oder Weltfrieden geht.“ Zumal Kalenderreformen meist wenig Erfolg beschieden ist. Auch der französische Revolutionskalender hielt sich nur wenige Jahre.

Aber was, wenn der „Homo-Kosmischer Kalender“ eines Tages tatsächlich eingeführt würde? Wäre das der Triumph der Wissenschaft über den Glauben? Roland Weinberger: „Ach dieser Sieg des Rationalen über Gläubige, der wird vermutlich ohnehin nie eintreten. Da würde man sich Illusionen hingeben.“

Buchtipp

Roland Weinberger: „Ist unsere Zeitrechnung noch zeitgemäß? Die westliche Jahreszählung ist anachronistisch und verdient(e) eine Neudefinition. 91 S.. Studia. 13 €.

... der gregorianische Kalender heute weltweit im Einsatz ist? Ohne ihn könnten nicht einmal die Flugpläne aufeinander abgestimmt werden. Aber in manchen Ländern werden zusätzlich andere Zeitrechnungen benützt: Weltweit sind mehr als 40 im Einsatz, die Tage und Jahre zählen.

In Nordkorea beginnt der Kalender im Geburtsjahr des Politikers Kim Il Sing (1912). Der islamische Kalender startet mit der Pilgerfahrt des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina im Jahr 622. Unser 2012 entspricht nach islamischer Zeitrechnung dem Jahr 1433/’34. Die buddhistische Zeitrechnung wird vor allem in Sri Lanka, Myanmar, Thailand verwendet und beginnt mit dem Todesjahr des Siddhartha Gautama (544 v. Chr.). 2012 entspricht also 2556. Die chinesische Zeitrechnung ist ein astronomischer Lunisolarkalender, der sowohl mit dem Sonnenzyklus (Jahr), als auch mit dem Mondzyklus (Monat) korrespondiert und beginnt im Jahr 2637 vor Chr.

Der jüdische Kalender beginnt mit dem Jahr, in dem laut Altem Testament die Erde erschaffen wurde (3761 v. Chr.), ist aber praktisch nur noch im kultischen Bereich gültig.

... die ersten Menschen, die versuchten, die Zeit in den Griff zu bekommen, im fruchtbaren Halbmond lebten, das heißt von Ägypten über die Levante bis Mesopotamien? Die Zeiteinteilung entstand also parallel zur Sesshaftwerdung vor 10.000 bis 12.000 Jahren.

... der 25. Dezember nur einer von vielen möglichen Geburtsterminen Jesu ist? Das genaue Datum war schon den frühen Christen unbekannt. Diese Unkenntnis ließ im 4. Jahrhundert zwei parallele Feste entstehen: Die griechischsprachige Kirche des Ostens feierte am 6. Jänner ihr Fest der Epiphanie (Erscheinung). Die lateinischsprachige Kirche im Westen beging die Feier der Geburt Christi am 25. Dezember. Dieser Termin deckt sich übrigens mit dem Fest für Sol Invictus, den unbesiegbaren römischen Sonnengott.

... die Zeitmessung mithilfe von Atomuhren nahezu perfekt ist? Die 1967 eingeführten Atomuhren messen die Strahlungsfrequenz des Elements Cäsium – mit einer Abweichung von nur einer Sekunde in 30 Millionen Jahren.

Der Astronom Ronald Weinberger, 64, wurde in Oberösterreich geboren, studierte in Wien und lehrte in Heidelberg sowie Innsbruck. In mehr als 100 populärwissenschaftlichen Publikationen versuchte Weinberger, Wissenschaft unters Volk zu bringen; unter anderem in Die Astronomie und der liebe Gott. Frevelhafte Gedanken eines „typischen“ Naturwissen-schaftlers. Zuletzt machte er seine Kalenderreform auch für Laien verständlich.

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