Ein erster Blick in die Terrorakten

Mirsad O. schwieg in der U-Haft.
Justiz reizt rechtsstaatliche Grenzen aus, um mit wenig Beweisen Verurteilungen zu erreichen.

Auf dem Foto sieht Magomed Z. aus wie ein islamistischer Rambo-Verschnitt: Er trägt Tarnanzug und Springerstiefel, hält eine Kalaschnikow in der Hand. Der Tschetschene sagt, das Foto sei in Syrien entstanden. Der St. Pöltner Staatsanwalt, der Z. anklagen wird, will beweisen, dass Z. im niederösterreichischen Heidenreichstein mit der Waffe abgelichtet ist.

So oder so – gegen den 30-Jährigen hat der Staatsanwalt viel in der Hand. Z. gibt zu, in Syrien gewesen zu sein, streitet allerdings ab, der Terrorgruppe Islamischer Staat gedient zu haben. Als ihn Verfassungsschützer nach einem Tipp ihrer russischen Kollegen festnahmen, fanden sie massenhaft Material. Etwa Anleitungen zum Bombenbau und Hinrichtungsfotos am Handy.

In den vielen Verfahren gegen mutmaßliche Dschihadisten hat diese Indiziendichte Seltenheitswert. Die Ermittler tun sich schwer, Handfestes zu sichern. Lückenlose Beweise scheinen die Gerichte aber gar nicht zu brauchen, Indizien dürften für Haftstrafen ausreichen. Ein Paradebeispiel war das Verfahren gegen Osman K., 22. Dass er in einem Terrorcamp in Syrien war, konnte mit letzter Sicherheit nicht bewiesen werden. Dem Schöffengericht reichten ein Koran mit einer syrischen Geldnote und ein Chat, in dem der Angeklagte selbst angab, Gotteskrieger zu sein. Der Lehrling mit türkischen Wurzeln tat es als reine "Prahlerei" ab. Urteil: 21 Monate Haft. Sein Anwalt Martin Mahrer sprach von einer Beweisumkehr: Sein Mandant musste beweisen, dass er nicht in Syrien war – nicht umgekehrt. Er kritisiert den "Schuldspruch ohne Beweise" scharf.

Ein anderer Fall: Die Observationsberichte über Bekchan Z. füllen einen dicken Aktenordner. Der Tschetschene ist einer jener neun, die im August in zwei Autos vor Grenzübergängen gestoppt und festgenommen wurden. Angebliches Ziel: das Terrorkalifat in Syrien.

Die Observationen der Verfassungsschützer muten skurril an. ZP1 (Zielperson eins) "wühlt im Kofferraum" von ZF1 (Zielfahrzeug eins), ist zu lesen. Die Anklage steht und fällt mit dem ebenfalls inhaftierten Chauffeur. Der Wiener Bäckersohn mit türkischen Wurzeln schwenkte in seinen Einvernahmen mehrmals um und erklärte, die Mitfahrenden hätten in den Krieg gewollt. Zuvor hatte er angegeben, er habe nur geahnt, dass die Passagiere Syrien als Ziel gehabt hätten.

Vorbereitungshandlung

Ein erster Blick in die Terrorakten
Der Verteidiger von Bekchan Z., Wolfgang Blaschitz (der mehrere mutmaßliche Dschihadisten vertritt), vermisst die Strafbarkeit: "Die Fahrt von Wien nach Nickelsdorf kann es nicht sein. Das ist eine straflose Vorbereitungshandlung." Die Richter des Obersten Gerichtshofs (OGH) schmetterten seine Beschwerde jedoch ab. Denn alle Beschuldigten, auch Z., seien über ein- und denselben Islamisten an den Chauffeur gekommen. Von ihm kennt man gerade einmal den Spitznamen. Doch es reiche die "Zusage an eine Kämpfer rekrutierende Person", um von einer Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu sprechen. Schon terroristische Aktivitäten "im Vorfeld eigentlicher Straftatbegehung" sind laut OGH strafbar.

Erwähnt werden muss freilich: Die Aussagen der Beschuldigten klingen einfältig bis unglaubwürdig – alle wollten nur in den Urlaub, jeder in ein anderes Land.

Mirsad O. galt unter Islamismus-Kennern seit Jahren als ein "geistiger Brandstifter". Der gebürtige Serbe, 33, besser bekannt unter seinem Prediger-Namen Ebu Tejma, und sieben weitere Beschuldigte sitzen in U-Haft. O. soll mit seinen Predigten Jugendliche zu Syrien-Reisen überredet haben. "Eine solche Aufforderung gab es nie", sagt sein Anwalt Lennart Binder. O. ging im Sommer als Opfer vor Gericht, weil ihn zwei Zeitungen bezichtigt hatten, mit der Ausreise zweier Schülerinnen ins selbst ernannte Kalifat nach Syrien etwas zu tun zu haben. Der Prediger, der in Videos Osama bin Laden huldigte, gab den umsichtigen Gelehrten. Der Medienrichter sagte offen, er kaufe ihm diese Rolle nicht ab.

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