U-Haft über vier von neun „Gotteskriegern“ verhängt

Österreich darf nicht zur Rekrutierungszone für Dschihadisten werden. Die Politik fordert Maßnahmen.
Den Dschihadisten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Die Politik verlangt ein „hartes Vorgehen“.

Donnerstagabend fiel die Entscheidung: Das Landesgericht Wien verhängte über vier der neun festgenommenen Dschihadisten die Untersuchungshaft. Es handelt sich dabei um jene Personen, die am Dienstag in Nickelsdorf, Burgenland, angehalten wurden. Was mit jenen fünf weiteren verdächtigen Tschetschenen passiert, die in Arnoldstein in Kärnten gestoppt wurden, entscheidet sich am Freitag. Unter den mutmaßlichen Dschihadisten befand sich eine Frau, 19, sowie ein 17-Jähriger (er wurde auf freiem Fuß angezeigt). Ebenfalls in Haft befindet sich ein Österreicher, 32, mit türkischen Wurzeln.

Drei Haftgründe

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Bussek, erklärt die Haftgründe: „Es besteht Verdunkelungs-, Flucht- sowie Tatbegehungsgefahr.“

Donnerstag gab das Innenressort bekannt, dass alle neun Inhaftierten aus dem Raum Wien stammen. Wie berichtet, verfügen die Tschetschenen über einen gültigen Asylstatus. Sollte sich der Verdacht des Staatsschutzes bestätigen, dass die Gruppe in den Nahen Osten unterwegs war, um die dortigen IS-Terrormilizen zu unterstützen, will Innenministerin Johanna Mikl-Leitner „umgehend ein Asyl-Aberkennungsverfahren einleiten“.

Dem Vernehmen nach spielt der gebürtige Türke mit österreichischem Pass bei den Einvernahmen eine Schlüsselrolle. Denn er steht in Verdacht, die Reise geplant und organisiert zu haben. Ihm droht auch eine langjährige Haftstrafe. Denn die Anklage würde sich auf den Paragrafen 278b Strafgesetz berufen. Dieser besagt:

1. Wer eine terroristische Vereinigung anführt, ist mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis 15 Jahren zu bestrafen.

2. Wer sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung beteiligt, ist mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

Dieser Paragraf würde bei den Dschihadisten zur Anklage kommen.

Ob der Austro-Türke die Tschetschenen zum Heiligen Krieg „rekrutiert“ hat, oder ob die Männer den 32-Jährigen für die Anreise in den Nahen Osten engagierten, war Donnerstag noch nicht gesichert. Fest steht, dass etwa 100 Personen aus Österreich nach Syrien oder den Irak in den Heiligen Krieg zogen. 20 davon sollen bereits ums Leben gekommen sein. 40 Personen sind wieder zurückgekehrt.

Polit-Reaktionen

Die Polit-Reaktionen decken sich. Alev Korun, grüne Menschenrechtssprecherin: „Bestätigt sich der Verdacht, muss mit der nötigen Härte des Rechtsstaates vorgegangen werden.“ FP-Chef Heinz-Christian Strache forderte die „Abschiebung“ und Völkerrechtsexperte Manfred Nowak interpretiert die U-Haft „als durchaus gerechtfertigt“.

Die Sondereinheit Cobra schlug am Dienstag sowohl am Grenzübergang Nickelsdorf im Burgenland als auch in Arnoldstein in Kärnten zu. Ihr Auftrag lautete, die Insassen zweier Fahrzeuge an der Ausreise aus Österreich zu hindern und festzunehmen. Der Vorwurf gegen neun Tschetschenen – sie verfügen über einen aufrechten Asylstatus – lautet, sie hätten sich auf dem Weg nach Syrien befunden, um die dortigen IS-Terrormilizen zu unterstützen. Ein Österreicher mit türkischen Wurzeln wurde ebenfalls verhaftet. Er soll als Reiseveranstalter für die Tschetschenen – darunter eine Frau – fungiert haben.

Wie berichtet, ermittelt der Staatsschutz seit Monaten gegen die Sympathisantenszene der syrisch-irakischen Mordbrigaden "Islamischer Staat". Denn im Internet kursieren nicht nur Mordaufrufe. Geworben wird auf Facebook um Krieger für Syrien und den Irak.

Bei der radikalisierten IS-Fangemeinde soll es sich durchwegs um junge Migranten handeln. Nun soll sich gerade aus dieser Szene ein Trupp in Richtung Syrien in Bewegung gesetzt haben. Ob und wie viel die Tschetschenen an den Türken gezahlt haben, ist noch unbekannt. Fix sei jedoch die Route der Syrien-Krieger gewesen. Sie wollten mit dem Auto über Italien, Griechenland und die Türkei nach Syrien fahren.

Asyl-Aberkennung

Die Justiz bestätigte am Mittwoch, dass die Verhaftung der Staatsschutz selbst verfügt habe. Bislang war der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der U-Haft über neun der zehn Festgenommenen von der zuständigen Richterin noch nicht bestätigt worden. Einer der neun Festgenommenen, ein 17-jähriger Tschetschene, wurde auf freien Fuß gesetzt.

Den anderen acht mutmaßlichen Syrien-Kriegern droht im Falle der U-Haft großes Ungemach. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner kündigte in diesem Fall an, sofort ein Asylaberkennungsverfahren einzuleiten. Die Innenministerin sieht nun klar die Gerichte am Zug. "Gegen Dschihadisten kann es nur eine Null-Toleranz-Politik geben." Sie verwies darauf, dass sie vor Wochen mit dem Justiz- und dem Außenminister ein Maßnahmenpaket gegen Dschihadisten vorgelegt habe.

Einer der Punkte lautet, "Foreign Fighters" mit Asylstatus in Österreich diesen Status abzuerkennen. Mikl-Leitner warnte allerdings davor, "jetzt jene Asylwerber, für die wir Quartiere in Österreich suchen, mit diesen Personen in einen Topf zu werfen".

Mordaufrufe gegen die in Wien lebende Jesiden-Gemeinde rufen den Verfassungsschutz auf den Plan. Ermittelt wird gegen eine neu entstandene Szene radikaler Islamisten, deren Mitglieder den syrisch-irakischen Mordbrigaden "Islamischer Staat" (IS) nacheifern.

Völkermord

Der Angriff der IS-Milizen auf die Jesiden im Kurdengebiet hat die Dimension eines Völkermordes. Aber auch die im scheinbar sicheren Wien lebende Jesiden bekommen zunehmend Angst. Etwa dann, wenn in der U-Bahn plötzlich ein junger Mann mit dem Symbol der irakischen Mordmilizen auf dem T-Shirt steht.

Parallel zum Siegeszug der IS-Milizen durch Syrien und den Irak hat sich in Wien unter jungen Migranten eine radikalisierte IS-Fangemeinde entwickelt. Es handelt sich zumeist um Halbwüchsige, viele von ihnen ohne Berufsausbildung. Die meisten leben in den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt. Fast jeder von ihnen ist bei einem Boxverein oder betreibt einen anderen Kampfsport, ganz wichtig erscheint auch Bodybuilding. Die meisten sind arbeitslos und nutzen die Zeit, um sich im Internet – besonders auf Facebook – zu radikalisieren. Der Verfassungsschutz schätzt ihre Zahl auf mehrere Hundert.

Fanartikel

Eine Drehscheibe bildet ein Islamist, der in seiner Wohnung in Wien-Floridsdorf eine sogenannte Moschee betreibt und dort auch einen Fanartikel-Shop eingerichtet hat. Neben Dschihad-Flaggen gibt es auch Camouflage-Kapperln mit dem IS-Symbol zu kaufen. Das Geschäft läuft gut. Die meisten Kunden stammen aus der Türkei, es sind aber auch auffallend viele Tschetschenen drunter.

Durch ihre Selbstdarstellungen auf Facebook entsteht der Eindruck, dass hier eine neue Generation von Staatsfeinden heranwächst. Sie geben sich Kampfnamen. Als "Soldier of Allah" präsentiert sich ein Absolvent einer Sportschule in Favoriten. Als "Diener Allahs" geistert ein junger Türke durchs Netz. Und sie erklären unverblümt den Krieg: "Entweder ihr tötet uns oder wir machen weiter, bis der Kopf fliegt."

Als besonders vorbildhaft wird auch die Rolle islamistischer Söldner aus Europa empfunden, die freiwillig am Morden im Irak teilnehmen. Und wenn es schiefgeht, wird getrauert. So postet ein Extremist in schlechtem Deutsch: "Gestern erzählte mir ein bruder das usama eine kugel in den hals bekommen hat, die beim unterkiefer wieder raus kam u sein halbes unteres gesicht war weg! möge Allah ihm annehmen amin!!!!!"

Feindbild Jesiden

Jetzt sind auch die in Wien lebenden Jesiden ins Visier der Extremisten geraten. Es ist eine kleine Gemeinde mit vielleicht 700 Mitgliedern. Sie glauben an die Seelenwanderung und werden von fundamentalistischen Muslimen als "Teufelsanbeter" verdammt.

Sie leben völlig unauffällig und haben nicht einmal Vereinshäuser. Doch jetzt sehen sie sich plötzlich mit massiven Drohungen konfrontiert. So postete ein Floridsdorfer ein Bild mit einer Pistole im Anschlag mit dem zynischen Text "Assalamu aleikum yeziden" ("Friede den Jesiden"). Ein User spornt ihn im Kommentar an: "Drück ab akhi".

Ein nicht mehr ganz so junger Wiener mit arabischem Decknamen will gleich alle Jesiden umbringen (siehe Faksimile).

U-Haft über vier von neun „Gotteskriegern“ verhängt
Is-Sympathisanten

Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler und Islam-Experte, beschreibt gegenüber dem KURIER die Stimmung: "Bedroht fühlen sich alle. Vor allem wegen der Untätigkeit der Behörden, wenn die Extremisten mit Dschihad-Symbolen in der Öffentlichkeit herumlaufen."

Im Innenministerium wird bedauert, dass es die Rechtslage nicht zulässt, gegen die öffentliche Präsentation von Dschihad-Fahnen vorzugehen. Anders verhält es sich aber mit den Gewaltaufrufen. Das sei Verhetzung. Die Urheber der Drohungen müssen mit Besuch von der Polizei rechnen.

Insgesamt kann aber nach Meinung der Verfassungsschützer das Problem der Radikalisierung nicht durch die Polizei gelöst werden. Hier sei die Politik gefragt. Aus dem Büro der Wiener Integrations-Stadträtin Sandra Frauenberger heißt es dazu, dass es ab Herbst ein Netzwerk gegen Extremismus geben soll. "Alle Stellen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sollen sich vernetzen – vom Stadtschulrat, dem Kinder- und Jugendanwalt, die Jugendwohlfahrt bis zu Jugendzentren."

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