Die Lehren aus dem Fall Kampusch

ARCHIV - Die Österreicherin Natascha Kampusch posiert am 14.12.2009 in Hamburg kurz vor der Präsentation der NDR-Dokumentation "Natascha Kampusch - 3096 Tage Gefangenschaft". Das biografische Drama "3096 Tage", die Verfilmung ihrer Entführungs-Geschichte kommt am Donnerstag (28.02.2013) in die deutschen Kinos. Foto: Marcus Brandt (zu dpa-Kinostarts vom 21.02.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Aufgedeckte Ermittlungsfehler und Fehleinschätzungen sollen künftig vermieden werden.

Die Entführungsaffäre um Natascha Kampusch soll zu einigen gravierenden Änderungen bei Polizei und Justiz führen. Noch nie wurde der österreichische Justiz- und Polizeiapparat mit internationaler Hilfe so genau auf Schwachstellen durchleuchtet wie in der Kampusch-Evaluierungskommission. Die aufgezeigten Schwachstellen sollen nun beseitigt werden.

Wie berichtet, gab es keine Komplizen des Entführers Wolfgang Priklopil, auch an seinem Selbstmord bestehen keine Zweifel. Aber die Cold-Case-Experten des US-amerikanischen FBI und des deutschen Bundeskriminalamts BKA erkannten Ermittlungsfehler, Führungsfehler und Systemprobleme.

Ermittlungsfehler

Ein Themenbereich in dem Evaluierungsbericht, der dem KURIER vorliegt, waren Ermittlungsfehler vor und während der Selbstbefreiung der Natascha Kampusch im Jahr 2006. So wurde bereits im Jahr 1998 ein Hinweis eines Polizei-Hundeführers auf Wolfgang Priklopil ohne genauere Prüfung zu den Akten gelegt. Der Grund dafür: Nach einem anderen Hinweis hatte bereits wenige Tage vorher ein Kriminalbeamter Priklopil aufgesucht, aber keinen Grund für eine Hausdurchsuchung gefunden. Priklopil hatte sich völlig unauffällig verhalten, sein Kastenwagen entsprach nicht der Beschreibung einer Tatzeugin. Deshalb verzichteten die Kriminalbeamten auf eine neuerliche Nachschau. Der Evaluierungsbericht: „Das ändert freilich nichts daran, dass aus heutiger Sicht, infolge des Umstandes, dass der Hinweis doch spezifische Verdachtsmomente enthielt, es sich eindeutig um einen Ermittlungsfehler handelt.“

Allerdings hätte eine Hausdurchsuchung das Leiden der Natascha Kampusch nach Ansicht der Kommission nicht verkürzt, denn der Zugang zum Verlies wäre ohne einen gezielten Hinweis nicht entdeckt worden. Er war unter anderem sogar durch eine bewegliche, Teer-getränkte Mauer abgesichert. Auch der Polizeihund hätte nichts erschnüffelt.

Führungsfehler

Im Jahr 2002 sollte die Kriminalabteilung Burgenland den gesamten Akt im Sinne eines „Cold-Case-Managements“ evaluieren. Die Burgenländer evaluierten aber nicht, sondern setzten die Ermittlungen nach einem noch dazu nicht zielführenden Hinweis eines Privatdetektivs fort. Dadurch wurde die Chance verpasst, die vorher übersehenen Hinweise auf Priklopil neuerlich aufzugreifen. Die Kommission: „Diese Vorgangsweise ist klar als fehlerhaftes Führungsverhalten zu qualifizieren.“

Fehleinschätzung

Zwei Beamte des Landeskriminalamtes Burgenland sollten kurz nach Kampuschs Flucht den Priklopil-Freund Ernst H. befragen. Priklopil war zu diesem Zeitpunkt noch verschwunden. Ernst H. zeigte sich hochgradig nervös und fragte die Beamten: „Hot er si umbrocht?“ Kritiker meinten nachher, diese Aussage wäre als Indiz dafür zu werten, dass Ernst H. über die Entführung Kampuschs informiert war. Dass H. angesichts seiner nervösen Reaktion von den Beamten weiter als Auskunftsperson und nicht als Verdächtiger behandelt wurde, muss nach Ansicht der Kommission „als Fehleinschätzung beurteilt werden“.

Die Aussage des H. wird aber dennoch nicht als Indiz dafür gewertet, dass er von der Kampusch-Entführung wusste, sondern umgangssprachlich so aufgefasst, dass er nach einem Selbstmord Priklopils fragte.

Staatsanwälte

Die Kommission räumt ein, dass es vor dem Hintergrund der Änderung der Strafprozessordnung mit 1. Jänner 2008 zu „Kommunikationsdefiziten“ zwischen Justiz und Polizei gekommen war. Seit damals ermitteln Polizisten nur noch unter Anleitung von Staatsanwälten. Da gab es offenbar gravierende Startprobleme. So soll insbesondere nach dem Einsetzen der SOKO Kampusch im Jahr 2008 bei den Kriminalbeamten über die Vorgaben der Staatsanwaltschaft weitgehende Unklarheit geherrscht haben.

Dazu die Erkenntnis der Kommission: „Aus Sicht der Evaluierungskommission wäre es wünschenswert gewesen, wenn auf kriminalpolizeiliche Berichte eine raschere Reaktion der Staatsanwaltschaft im Sinne des Grundsatzes der Zusammenarbeit nach der neuen Strafprozessordnung erfolgt wäre.“

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Aus diesen Erkenntnissen leiten der vormalige Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Herbert Anderl, und der Leiter der Sektion Strafrecht im Justizministerium, Christian Pilnacek, notwendige Veränderungen ab. Demnach sollten große Fälle mit hohen Hinweisaufkommen künftig nicht von verschiedenen Dienststellen bearbeitet werden, sondern es sollte ein eigener „Einsatzabschnitt“ geschaffen werden.

Für Hinweise sollte zudem eine zentrale Rufnummer geschaffen werden.

Der Fall hat auch gezeigt, dass die wertvollsten Hinweise zeitnah zur Tat eingehen – aber mangels Hintergrundwissen nur mangelhaft beurteilt werden können. Künftig sollen nach einer gewissen Zeit die ersten Hinweise von anderen Beamten neuerlich überprüft werden.

Die Lehren aus dem Fall Kampusch
Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek.
Probleme gab es auch bei den Befragungen der teilweise noch unmündigen Zeugen. Hier empfehlen die Experten, künftig diese Einvernahmen möglichst unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft zu führen und sie durch Bild- und Tonaufnahmen zu dokumentieren.

Weiters soll künftig auch eine ausreichende IT-Unterstützung mit Datenbanken und Analysesoftware zur Verfügung stehen.

Kommunikationsdefizite mit den Staatsanwälten sollten durch die Weiterentwicklung der Struktur von Sonderkommissionen vermieden werden.

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