Der lange Arm der "Ostmafia"

Der lange Arm der "Ostmafia"
Viele Ostbanden agieren in Österreich - sie haben keine gemeinsame Organisationsstruktur.

Schüsse und eine jugoslawische Handgranate mit zwei Toten in einem bulgarischen BMW in Wien-Ottakring schrecken auf: Greift die Ostmafia nach Wien?

Der Begriff „Ostmafia“ missfällt Ernst Geiger, Chef der Abteilung Ermittlungen, Organisierte und Allgemeine Kriminalität im Bundeskriminalamt. Er sei missverständlich, weil es den alles beherrschenden Ostpaten nicht gäbe. Vielmehr, so Geiger, sehen wir uns mit einer Vielzahl von kriminellen Gruppierungen konfrontiert, die aber unkoordiniert vorgehen – wobei manche aber schon dem Begriff der „Organisierten Kriminalität“ entsprechen würden.

EUROPOL-Ranking

Die Definition der Europol beginnt auf der untersten Stufe mit dem Zusammenschluss von mindestens zwei Personen, die über längere Zeit Straftaten begehen. Die gefährlichste Stufe ist eine Organisation, die auch in der Lage ist, Regierungen und Behörden unter Druck zu setzen – mit straffer Hierarchie samt Disziplinierungssystem und Gebietseinteilung.

Der lange Arm der "Ostmafia"
APA1847499-2 - 08022010 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 268 II - Drei Spitzenpositionen im Innenministerium sind am Montag durch Innenministerin Maria Fekter neu besetzt worden. Im Bild: Ernst Geiger, Leiter der Abteilung Ermittlungen, Allgemeine und Organisierte Kriminalität im Bundeskriminalamt, am Montag, 08. Februrar 2010, während einer PK im Wiener Innenministerium. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Geiger rechnet die in Österreich aktiven Banden dem unteren Spektrum im Ranking zu. Das Bundeskriminalamt beobachtet die Entwicklung seit der Ostöffnung im Jahr 1991 genau. Am Balkan entstanden hauptsächlich nationale oder ethnische Gruppen, die sich auf „Geschäftsfelder“ spezialisieren. Bei der Eigentumskriminalität stechen serbische Banden hervor. Beim Suchtgifthandel wurden inzwischen die früher aktiven Nigerianer von Mazedoniern und Montenegrinern verdrängt. Ladendiebstahl oder Bettelei und der damit oft verbundene Menschenhandel haben ihre Zentralen in Moldawien und in Rumänien. Bulgaren tauchen vermehrt bei Kfz-Verschiebungen auf. Und sie haben sich auch einen fragwürdigen Namen als versierte Fälscher gemacht.

Anders organisiert als die Banden vom Balkan sind jene aus Georgien, Tschetschenien und Moldawien. Hier gibt es straffe Führungsstrukturen mit mächtigen Chefs („Diebe im Gesetz“) und einfachen „Soldaten“, mit Statussymbole und eigenen Fachausdrücken. Verhafteten Mitgliedern wird der Anwalt bezahlt, Familienmitglieder werden versorgt.

Strukturermittlungen

Vom Schließen der Grenzen halten die Kriminalisten nichts. Bandenmitglieder leben bereits in Österreich, manche sind auch österreichische Staatsbürger. Geiger schwört auf Strukturermittlungen: „Einen einzelnen Soldaten einsperren bringt nichts, die schicken am nächsten Tag einen neuen.“ Man müsse in Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden an die Kommandozentralen herankommen. Wie etwa beim internationalen Schlag gegen eine Drogenmafia in Mazedonien. Dabei wurden nicht nur in Wien 69 Dealer festgenommen, sondern in Mazedonien auch 29 Mitglieder der Chef-Etage. Geiger: „Erst nach dem Ausheben der Zelle im Herkunftsland hat man wieder einige Zeit Ruhe.“

Der lange Arm der "Ostmafia"

Balkan-Clans sind auch in ihren Heimatländern kriminell hoch aktiv. Vor allem auf den Transit-Routen. Straßen-Piraterie, also der Diebstahl von ganzen Lkw-Ladungen, gilt jedoch als globales Betätigungsfeld krimineller Organisationen.

Alleine in der EU beträgt der jährliche Schaden 8,2 Milliarden Euro. Laut des weltweit tätigen Sicherheits-Konzerns TAPA (Transported Asset Protection Association) wächst die Bedrohung auf den Transit-Routen stetig und wird zunehmend gewalttätig.

Das bestätigt Ernst Graff, Geschäftsführer der Branchen-Versicherung Fiala. Das Unternehmen versichert Frächter und ist in Österreich Marktführer: „Als Probleme sehe ich die Frächter-Börsen im Internet. Auftraggeber suchen sich dort Billig-Anbieter. Disponenten geben die Aufträge an Sub-Unternehmen weiter. Wie seriös diese sind, wird kaum überprüft.“ Das Erwachen kommt, wenn Lkw-Zug, Ladung plus Lenker verschwunden sind.

Die Strategie der Banden kennt keine (moralischen) Grenzen. Graff erklärt: „Uns sind Fälle aus Russland bekannt, da liegen Kinder auf der Straße. Der Fahrer muss abbremsen. Kaum steht der Lkw, startet der Überfall.“ Straßen-Piraterie gilt als lohnendes Verbrechen. Denn im Schnitt kommt eine Lkw-Ladung auf 200.000 Euro. Branchen-Insider Graff weiß aber auch von Ladungen im Wert von 1,5 Millionen und darüber.

Und die Räuberbanden sind wählerisch. Europol ist im Besitz von Videos, wo Männer auf Motorhauben von Geländewagen stehen und während der Fahrt des Lastzuges die hinteren Ladetüren öffnen. Bevor der Lkw überfallen wird, sehen die Kriminellen nach, ob es sich überhaupt lohnt. Zwar beobachtet der Chauffeur durch die Rückspiegel die Vorkommnisse, er bleibt aber aus Angst vor den skrupellosen Kriminellen nicht stehen.

Auch das Mordopfer Zlatko N. war bei dem Unternehmen Fiala versichert. Ihm wurde am Balkan ein Lkw-Zug gestohlen. Darin verwickelt dürfte einer seiner Disponenten gewesen sein.

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