Der geheime Schluss-Akt Kampusch

hintergrund: Reuters, Kampusch u. Logo: AP
Der Entführer war Einzeltäter, er beging Selbstmord und es gibt keine Spur in die Sex-Szene.

Nach neun Monaten intensiver Arbeit und einigen Verzögerungen ist der Bericht der Kampusch-Evaluierungskommission fertig. Entsprechend einer Empfehlung des Parlaments waren auch Cold-Case-Spezialisten des deutschen Bundeskriminalamtes BKA und der US-Bundespolizei FBI eingebunden, um noch immer offene Fragen nach eventuellen Komplizen des Entführers Wolfgang Priklopil sowie eventuelle Fahndungspannen zu klären.

Dem KURIER liegt der Berichtsentwurf vor. Demnach war Wolfgang Priklopil mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Einzeltäter. Er starb eindeutig durch Selbstmord. Und es gab keine Verbindungen in die Sado-Maso-Szene – wohl aber einige Fahndungspannen.

Hatte Priklopil Komplizen oder Mitwisser?

Die Mehrtäter-Theorie basiert auf einer Aussage von Ischtar A., die im Jahre 1998 die Entführung beobachtet hatte. Das Mädchen sprach von zwei Tätern mit einem weißen Kastenwagen. Die Evaluierungskommission ortete aber in dieser Aussage schwere Widersprüche. Denn bei späteren Aussagen war sie sich gar nicht mehr sicher, dass sie zwei Männer bei der Entführung gesehen hat. Bei einer Aussprache mit Natascha Kampusch widerrief sie ihre Aussage zur Gänze. Auch Kampusch hatte nur von einem Entführer gesprochen.

Der geheime Schluss-Akt Kampusch
Diese Meinungsänderungen dürften nach Ansicht der Kommission durch „zahlreiche Umwelteinflüsse auf die Zeugin“ entstanden sein – gemeint sind Familie, Medien und Schule. Jedenfalls wurden die wechselnden Aussagen der Ischtar A. von der Kommission nicht gewertet. Veränderte Wahrnehmungen bei Zeugen gehören durchaus zum Erfahrungsschatz der Kriminalisten.

Untersucht wurde zudem die Frage, warum Natascha Kampusch auf die Frage einer Polizistin nach weiteren Tätern geantwortet hatte: „Ich kenne keine Namen.“

Das wird nun so erklärt, dass Priklopil versucht hatte, durch Scheintelefonate der entführten Kampusch vorzugaukeln, dass vor dem Verlies noch Komplizen lauern würden. Ein Verhalten, das nach internationalen Profiling-Erfahrungen aber gerade für Einzeltäter üblich sein soll: „Die Fiktion, dem Opfer stünde eine Mehrzahl, eine Übermacht an Tätern gegenüber, ist dabei regelmäßig eines der Mittel, das Opfer einzuschüchtern und unter Kontrolle zu halten.“

Das untermauern auch Aussagen von Kampusch, die angibt, nie einen weiteren Täter gesehen zu haben. Außerdem wurden im Tatfahrzeug und im Entführerhaus in Strasshof DNA-Spuren gesichert, die aber keinen Hinweis auf weitere Tatverdächtige lieferten. Dafür wurde sogar die Inneneinrichtung zerlegt. Eine einzige, nicht zuordenbare DNA-Spur fand sich auf einem noch teilverpackten Badezimmerschrank. Sie dürfte von einem Baumarktmitarbeiter stammen. Das bedeutet, dass Priklopil selbst beim Bau des Verlieses keine Helfer hatte.

Die Schlussfolgerung im Kommissionsbericht:

„Insgesamt lässt sich eine Beteiligung Dritter an der Entführung zwar nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, objektive Beweismittel hierfür sind aber nicht vorhanden und es konnten auch keine – auf eine mögliche Beteiligung Dritter zielende – Ermittlungsansätze gefunden werden.“

War Priklopils Ende Mord oder Selbstmord?

Das Leben Priklopils endete unter einer Schnellbahn-Garnitur. Kritiker vermuteten Mord durch eventuelle Komplizen. Als Indizien führten sie unter anderem ins Treffen, dass der Gerichtsmediziner kritisiert hätte, dass die Leiche bei seinem Eintreffen bereits im Leichensack verpackt gewesen sei. Eine toxikologische Untersuchung sei zudem unterlassen worden. Außerdem gäbe es keine Niederschrift mit dem Zugbegleiter.

Diese Kritikpunkte wurden von der Kommission zur Gänze verworfen. Denn der Gerichtsmediziner wurde nachträglich noch einmal vernommen. Er gab an, dass er die ins Treffen geführte Kritik nie geäußert habe. Die Kommission hält fest: „Es wurde eine Obduktion der Leiche durchgeführt, die auch toxikologische Untersuchungen umfasste; für darüber hinausgehende derartige Untersuchungen bestand kein Anlass.“

Auch der Lokführer wurde noch einmal vorgeladen. „Von entscheidender Bedeutung ist die Wahrnehmung des Triebwagenführers, dass er nur eine helle Gestalt wahrgenommen habe, die sich auf den Gleiskörper zubewegte und auf die Schienen gelegt hat.“ Damit ist auch die Mordtheorie vom Tisch.

Geb es Verbindungen in die Sado-Maso-Szene?

Das ist eine Theorie jener, die hinter der Entführung einen Kinderpornoring vermuten, der von „ganz oben“ geschützt worden wäre. Auch diesbezüglich liegt nun ein abschlägiger Bescheid vor. Als Indiz für die Kritiker gelten auffällige Telefonkontakte zwischen dem Priklopil-Freund Ernst H. und Elisabeth G., der Besitzerin eines Erotikshops. Des Weiteren wurde bei Ernst H. die Nummer eines Wieners unter dem Vermerk „Be kind slow“ gefunden – für Aufdecker ein scheinbarer Hinweis auf eine Kinderpornoszene.

Der Wiener konnte aber glaubhaft darstellen, dass er Ernst H. nicht kennt, und er hatte eine harmlose Erklärung für die SMS-Formulierung. Weitere Erhebungen ergaben keine Hinweise, dass das aufgefundene Kürzel irgend einen pornografischen Hintergrund hat.

Es wurde auch das ganze Umfeld des Priklopil in diese Richtung durchleuchtet. Das Resümee: „Im Zuge umfangreicher Erhebungen wurden durch die jeweils aktenführenden Dienststellen bei insgesamt 113 Personen aus dem bezughabenden Umfeld (insbesondere dem einschlägigen Milieu, Anrainer, Hinweisgeber) Erkundigungen durchgeführt, wobei keinerlei konkrete Anhaltspunkte erbracht werden konnten, dass im Umfeld des Wolfgang Priklopil jemals derartige Kontakte bestanden oder dieser in den angeblichen Szenen tätig war bzw. verkehrt habe.“

Wertlose Enthüllungen

Nichts Neues haben laut Kommission die Unterlagen des verstorbenen Kampusch-Chefermittlers Franz Kröll gebracht. Kröll hatte sich im Juni 2006 in Graz erschossen.

Sein Bruder Karl sorgte mit dem Laptop des Kriminalisten und dessen schriftlichen Aufzeichnungen für öffentliche Aufregung, weil er meinte, darauf befänden sich eindeutige Beweise für eine Verschwörung, Mittäter sowie die Mordversion. Denn sein Bruder Franz hätte nach Einstellung des Falles auf eigene Faust weiter ermittelt.

Diese Unterlagen wurden nach einigen medialen Verwertungsversuchen, einem längeren Nervenkrieg und mehrmaliger Aufforderung von Karl Kröll am 5. November 2012 dem Evaluierungsteam übergeben.

Im Bericht wird festgehalten, dass Kröll nach dem Abschlussbericht im Dezember 2009 „keinerlei weitere Ermittlungsschritte mehr vermerkt hat, sondern lediglich einzelne Überlegungen angestellt und darauf bezugnehmende Telefonate dokumentiert hat“. Jedenfalls gebe es nichts in den Kröll-Unterlagen, was eine andere Beurteilung der Causa zulasse.

Lesen Sie morgen: Beurteilungsfehler der Polizisten und Staatsanwälte.

„Es wäre zu hoffen, dass am Montag alles vorbei ist.“ Ernst Geiger, Leiter der Abteilung für Organisierte und Allgemeine Kriminalität im Bundeskriminalamt, ist das jüngste Ziel jener selbst ernannten Kampusch-Aufdecker. Der abstruse Vorwurf: Er soll einen Kinderpornoring decken, der Natascha Kampusch verschleppt habe.

Das ist der Hintergrund: Personen aus dem Umfeld eines verstorbenen Kampusch-Ermittlers entwickelten mit Fragmenten von Erhebungsakten eine Verschwörungstheorie, wonach Kampusch nach ihrer Entführung durch Wolfgang Priklopil das Opfer eines Kinderpornoringes gewesen sei – der von höchster Stelle geschützt werde.

Die Kampusch-Jäger instrumentalisierten Politiker. So unterstellte jetzt die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Berlakowitsch-Jenewein in einer parlamentarischen Anfrage dem Kriminalisten Ernst Geiger illegale Verwicklungen ins Rotlichtmilieu, und sie spannte dabei den Bogen zum angeblichen Kampusch-Kinderpornoring.

Verschwörung

Die Grundlagen für die neuen Beschuldigungen liegen dem KURIER vor. Dabei zeigt sich: Es wurden einfach zwei unglaubliche Affären zu einer angeblich neuen vermischt. Geiger war im Jahr 2006 im Zuge der sogenannten „Sauna-Affäre“ Ziel einer internen Verschwörung. Mithilfe von offenbar gekauften Aussagen einsitzender Straftäter wurde gegen ihn eine Anklage gebastelt. Geiger wurde freigesprochen und voll rehabilitiert.

Auf der Straße sitzen nun seine Gegner – Kriminalbeamte, die aus dem Dienst entfernt wurden. Deren Interessen trafen sich mit jenen der Kampusch-Jäger. Es wurden die gerichtlich erledigten Akten aus der Sauna- und der Kampusch-Affäre kombiniert und der FPÖ zugespielt.

Geiger ist skeptisch, ob die FBI- und BKA-Erkenntnisse das Ende der Unterstellungen bedeuten: „Man kann gegen Verschwörungstheorien wenig machen.“ Dagegen gerichtlich vorzugehen, mache wenig Sinn, meint Geiger. „Das dauert lange und bietet den Herrschaften ein zusätzliches Forum.“ Seine fatalistische Einschätzung: „Man ist denen einfach ausgeliefert.“

Das Schicksal von Natascha Kampuschs hat die Österreicher nicht nur bewegt, sondern auch zahlreich in die Kinos gelockt.

Ende Februar feierte „3096 Tage“ in Österreich Premiere. Etwa 100.000 Kinobesucher haben das Drama bis heute gesehen. Alleine am Eröffnungswochenende lockte der Film 30.000 Besucher in die heimischen Kinos. Zum Vergleich: Michael Hanekes Oscar-prämierter Film „Liebe“ zählte bis heute etwa 105.000 Besucher.

Die deutsche Regisseurin Sherry Hormann hat Natascha Kampuschs Gefangenschaft im Keller ihres Entführers Wolfgang Priklopil verfilmt. Kampusch wird von der Britin Antonia Campbell-Hughes gespielt, Priklopil vom Dänen Thure Lindhardt.

Bei der Produktionsfirma „Constantin Film“ ist man mit der Entwicklung zufrieden. „Der Film hatte in Deutschland den besten Start eines deutschen Dramas seit Jahren“, heißt es vom Unternehmen. Besonders bei jungen Frauen und Paaren sollen der Film beliebt sein. „Zudem freut uns, dass die Resonanz des Publikums auf den Film wirklich gut ist, vor allem, weil viele „Angst vor dem Film“ hatten“, heißt es von Constantin Film. In Deutschland haben den Film bisher 524.000 Besucher gesehen, in der Schweiz 40.000.

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