Das letzte Habsburg-Rätsel: "Der Fall Pachmann"

Das letzte Habsburg-Rätsel: "Der Fall Pachmann"
Eine DNA-Analyse löst einen spektakulären Familienkrimi.

Seit er denken kann, ist der 63-jährige Wiener Ingenieur Rainer Pachmann überzeugt davon, ein direkter Nachkomme des Kronprinzen Rudolf zu sein. Kein Wunder, zwei österreichische Gerichte haben seine Herkunft bestätigt, Zeitungsartikel in aller Welt und ganze Bücher wurden zum „Fall Pachmann“ geschrieben – immer mit dem Hinweis, dass seine Familie dem früheren Kaiserhaus entstammt. Jetzt erst besteht die Möglichkeit, der wahren Herkunft durch DNA-Vergleiche auf die Spur zu kommen. Rainer Pachmann und sein Bruder Franz Stephan Salvator haben sich zum ersten Mal der genetischen Verwandtschaftsanalyse gestellt und so ein neues Kapitel im letzten Habsburger-Rätsel aufgeschlagen.

Weltweites Aufsehen

Im September 1965 sorgte der Fall Pachmann erstmals für weltweites Aufsehen. Plötzlich war ein neuer Habsburger da. Denn das Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien hatte entschieden, dass der Jurist Dr. Theodor Rudolf Pachmann als Enkel Kronprinz Rudolfs – und somit als Urenkel Kaiser Franz Josephs – anzuerkennen sei. „Pachmann ist Habsburger“ und „Familie Habsburg bekam neues Mitglied“ lauteten die Schlagzeilen. In Kommentaren wurde Otto von Habsburg das Recht abgesprochen, weiterhin als Oberhaupt des einstigen Kaiserhauses aufzutreten, da nicht er, sondern Herr Pachmann der Hauptlinie nach Franz Joseph entstamme: „Pachmann wird Habsburger Nr 1“.

Das letzte Habsburg-Rätsel: "Der Fall Pachmann"
Die Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1878, als Kaiser Franz Joseph und seine Frau Elisabeth für ihren 20-jährigen, noch hoffnungsfrohen Sohn Kronprinz Rudolf eine passende Braut suchten. Sie war bald gefunden, da es nur wenige junge Frauen aus „ebenbürtigem“ Haus gab. Die Auserwählte hieß Erzherzogin Maria Antonia, stammte aus der Toskana-Linie der Habsburger und war somit eine Cousine des Thronfolgers – ein Verwandtschaftsverhältnis, das damals kein Hindernis darstellte. Ganz im Gegenteil, man war froh, eine gleichaltrige Prinzessin gefunden zu haben, die Rudolf noch dazu sehr gut gefiel.

Doch bald stellte sich heraus, dass Maria Antonia als Heiratskandidatin nicht infrage kam. Untersuchungen durch kaiserliche Hofärzte brachten zutage, dass die Braut ein Lungenleiden hatte, das ihre Lebenserwartung stark einschränkte. Vor allem war damit zu rechnen, dass sie ihrer wichtigsten Aufgabe nicht nachkommen könnte: den Habsburgern gesunde Stammhalter zu schenken. Rudolf wurde davon informiert – womit die Angelegenheit erledigt schien. Und das Kaiserhaus ging neuerlich auf Brautschau.

Liebesbeziehung

Man hatte aber nicht mit Rudolfs Eigensinn gerechnet. Der hatte sich mittlerweile in die Erzherzogin verliebt. Und es war nicht schwer für ihn, diese Liebe heimlich auszuleben: Maria Antonia wurde in ein Kloster abgeschoben und als Äbtissin im Theresianischen Damenstift in Prag untergebracht. Rudolf war zeitgleich als Brigadier der Infanterie am Prager Hradschin stationiert. Er traf seine verhinderte Braut regelmäßig und ging mit ihr eine intensive Liebesbeziehung ein.

In dem 1966 erschienenen Buch „Um Recht und Nachfolge im Hause Habsburg“ von Hermann Altenberg (ein Pseudonym des Schriftstellers Otto Kittel) ist der Fall Pachmann minuziös dokumentiert. Hier ist nachzulesen, dass Rudolf und Maria Antonia am 1. Jänner 1880 in der Gardekirche am Wiener Rennweg ohne Wissen des Kaisers eine geheime Ehe eingingen, die vom Burgkaplan und späteren Wiener Weihbischof Godfried Marschall getraut wurde.

Eine andere Braut

Doch aus dieser geheimen Heirat – wie sie in adeligen Kreisen durchaus üblich war und volle Rechtsgültigkeit hatte – sollte sich ein gewaltiges Problem ergeben. Das Kaiserhaus hatte inzwischen eine andere Braut für Rudolf gefunden: Stefanie, die Tochter des Königs von Belgien. Die Trauung mit ihr fand am 10. Mai 1881, diesmal ganz offiziell, in der Wiener Hofkapelle statt. Das Peinliche an der Affäre: Der Kronprinz machte sich mit dieser zweiten Ehe der Bigamie schuldig.

Nicht genug damit: Seine „erste Frau“ Maria Antonia brachte vor 130 Jahren, am 7. März 1883 in der Villa Felicia in Cannes, wohin sie sich des für sie günstigeren Klimas wegen begeben hatte, einen Sohn namens Carl Rudolf zur Welt. Da sie mit Kronprinz Rudolf rechtsgültig verheiratet war, hatte das Kind Anspruch auf den Namen Habsburg-Lothringen.

Maria Antonia starb fünf Wochen nach der Geburt, am 13. April 1883 in Cannes an den Folgen ihres Lungenleidens, das während der Schwangerschaft in ein akutes Stadium getreten war. Ihr Leichnam wurde nach Wien überführt und in der Kapuzinergruft bestattet (in der Maria Antonia heute noch ruht).

Das letzte Habsburg-Rätsel: "Der Fall Pachmann"
Marie Pachmann

Strenge Geheimhaltung

Nun stellte sich die Frage, wo der kleine Carl Rudolf aufwachsen sollte. Nur nicht bei Hof, denn weder die geheime Ehe noch der Nachwuchs des Kronprinzen Rudolf durften bekannt werden. Also suchte die eilends informierte Kaiserin Elisabeth einen würdigen Platz für ihren Enkel und fand ihn beim Rittmeister Heinrich Pachmann und seiner Frau Marie, die in der Haidmannsgasse 4 in Wien-Fünfhaus – im selben Haus wie Elisabeths Kammerdiener Johann Werth – wohnten.

Marie und Heinrich Pachmann nahmen das Kind auf und gaben ihm ihren Namen. Der Säugling erregte keinerlei Verdacht, da Marie Pachmann fast gleichzeitig einen Sohn namens Robert zur Welt gebracht hatte, der wenige Tage nach seiner Geburt starb. Das „kaiserliche Kind“ wuchs somit als Robert Pachmann auf. Die Familie erhielt vom Kaiserhof eine Apanage in Höhe von 30.000 Gulden (heute rund 360.000 €).

Spurensuche

Als er erwachsen war und die Monarchie nicht mehr existierte, begann Robert Pachmann, der ja eigentlich Carl Rudolf hieß, seiner Herkunft nachzugehen – sehr zum Unbehagen der Familie Habsburg, die damals ihre Rückkehr auf den Thron noch nicht abgeschrieben hatte. Da Carl Rudolf infolge der Geheimehe ein legitimer Sohn Kronprinz Rudolfs war, hätte die Krone, wie er meinte, nicht an Kaiser Karl gehen dürfen, sondern an ihn als Nachkommen des Thronfolgers und als Enkelsohn Kaiser Franz Josephs.

Carl Rudolf Pachmann prozessierte in der Ersten Republik jahrelang um seine Anerkennung als Habsburger, wurde aber von allen Instanzen abgewiesen. Er heiratete Amalie Sramek, die ihm 1924 den Sohn Theodor Rudolf Salvator Pachmann schenkte. Auch er ging, nach absolviertem Jusstudium, der Familiengeschichte nach.

Ein Habsburger

Und bekam, im Gegensatz zu seinem mittlerweile verstorbenen Vater, am 11. September 1965 bei einer Gerichtsverhandlung im Justizpalast von Oberlandesgerichtsrat Dr. Mühl Recht: Theodor Rudolf Pachmann war somit ein Habsburger.

Grundlage für den Richterspruch war die Aussage der Marie Pachmann, die am 5. März 1925 vor dem Wiener Notar Viktor Schwarz eidesstattlich erklärt hatte, „dass Robert nicht mein Sohn ist, mein eigenes Kind starb nach der Geburt… Wenn ich gestorben sein werde, kann es die Welt wissen, dass Robert das Kind des Kronprinzen Rudolf ist.“ Marie Pachmann starb im Jahre 1931.

Ein Jahr nach dem Richterspruch von 1965, mit dem Pachmann die Führung seines bisherigen Familiennamens Pachmann untersagt wurde, folgte ein zweiter Bescheid des Landesgerichts Wien, der es ihm ermöglichte, den Namen Habsburg-Lothringen zu führen (wovon er nie Gebrauch machte). Das Urteil löste ein riesiges Medienecho aus: Weltweit wurde Pachmann als „neuer Erzherzog“ und „Oberhaupt des Hauses Habsburg“ gefeiert.

Das dritte Urteil

Am 20. Juli 1976 kam es im Bezirksgericht Salzburg zu einem weiteren, noch deutlicheren Urteilsspruch, in dem Landesgerichtsrat Dr. Rudolf Metzner „zu Recht erkannte, dass Dr. Theodor Pachmann der Urenkel des Kaisers Franz Joseph I. von Österreich ist“.

Theodor Pachmann starb 1993 in der sicheren, weil drei Mal gerichtlich bestätigten Annahme, ein Spross des Hauses Habsburg zu sein.

Doch in der Zeit, als diese Gerichtsbescheide ergingen, gab es die Möglichkeit der DNA-Analysen noch nicht.

Der heute 63-jährige Rainer Pachmann und sein 51-jähriger Halbbruder Franz Stephan Salvator Hübsch sind die Söhne des Theodor Rudolf Pachmann. Hübsch wandte sich an die Zeitgeschichte-Redaktion des KURIER, weil er endlich wissen wollte, was von dem nie bewiesenen, aber durch Indizien und Gerichtsurteile bestätigten Verwandtschaftsverhältnis zu halten sei. Da Rainer Pachmann ebenso an der Klärung interessiert ist, baten wir die beiden Halbbrüder, sich einer DNA-Untersuchung zu stellen und ließen relevante Merkmale ihrer Y-Chromosomen mit denen eines Mitglieds der Familie Habsburg vergleichen.

DNA-Vergleich

Als ich vor vier Wochen Georg Hohenberg, den Enkel des in Sarajewo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand, interviewte – der natürlich mit Kaiser Franz Joseph und Kronprinz Rudolf blutsverwandt ist – bat ich ihn um das Einverständnis, seine DNA-Daten mit denen der Herren Pachmann und Hübsch vergleichen zu dürfen.

Hohenberg, dessen DNA bei der Sachverständigen für forensische Molekularbiologie Dr. Christa Nussbaumer aufliegt, war einverstanden, worauf Frau Dr. Nussbaumer bei den Halbbrüdern Mundhöhlenabstriche vornahm.

Das Ergebnis ist eindeutig: „Eine Verwandtschaft väterlicherseits zwischen den Herren Pachmann und Hübsch einerseits und Herrn Dr. Georg Hohenberg andererseits kann ausgeschlossen werden.“

Es sieht also ganz danach aus, als hätten die Gerichte, die den Vater der Herren Pachmann und Hübsch als Nachfahren des Kronprinzen Rudolf anerkannt hatten, Fehlurteile gesprochen.

Lesen Sie morgen: Wie es im "Fall Pachmann" weitergeht

Kommentare