Das große Schweigen der Beschuldigten

Strafprozess in Wels
Ohne Mitspracherecht bei Vernehmungen wollen Anwälte den Klienten raten, die Aussage zu verweigern.

Im Justizministerium rauchen die Köpfe: Soll man Beschuldigten das gesetzlich verankerte Recht einräumen, bei Einvernahmen durch Kriminalbeamte, Staatsanwälte oder Richter vor der Beantwortung jeder einzelnen Frage beim Strafverteidiger Rat einzuholen? Bis März muss das geklärt sein, dann will Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) dem Parlament eine Reform der Strafprozessordnung vorlegen.

Der heikelste Punkt darin erhitzt die Gemüter, der KURIER berichtete: Bisher war es zulässig, dass sich Beschuldigte vor der Befragung mit ihrem Anwalt beraten. Während des Verhörs darf der Verteidiger aber nur stumm dabeisitzen und anschließend die eine oder andere Zusatzfrage stellen.

Was allerdings auch von der jeweiligen Laune des Vernehmenden abhängt.

Längst schon regt sich Kritik, dass diese Praxis nicht den EU-Richtlinien für ein faires Verfahren entsprechen könne. Diese schreiben eine "wirksame Teilnahme des Rechtsbeistandes" vor. Im Reformpapier ist deshalb neben anderen Punkten vorgesehen, dass die Strafverteidiger künftig direkt ins Verhör eingreifen dürfen.

Damit sei "die Dynamik der Vernehmung" gestört, eine "authentische Schilderung" der Tat verhindert, keine spontane Äußerung des Beschuldigten mehr zu erwarten: So lauten die Einwände von Polizei, Staatsanwälten und Richtern. Außerdem befürchten sie eine Verlängerung der Einvernahmen und damit der Verfahrensdauer, ähnlich wie in Deutschland, wo es das Mitspracherecht des Anwalts bereits gibt.Und was sagen die Anwälte dazu? Sie verweisen auf das ohnehin bestehende Recht des Verdächtigen oder Beschuldigten, die Aussage überhaupt zu verweigern. Und kündigen ein Verstummen ihrer Klienten bei Einvernahmen an, sollte das Recht auf Besprechung mit dem Verteidiger auch während der Befragung nicht gesetzlich festgeschrieben werden.

Der Grazer Anwalt und Sprecher der Vereinigung Österreichischer Strafverteidiger, Gerald Ruhri, schildert dem KURIER ein Beispiel:

Er vertritt im Salzburger Finanzskandal rund um die ehemalige Leiterin des Budgetreferats des Landes, Monika Rathgeber, einen Mitangeklagten. Bei einer geplanten Einvernahme im Ermittlungsverfahren sitzen zwei Staatsanwälte und zwei Wirtschaftspolizisten an einem Tisch, der Beschuldigte soll gegenüber Platz nehmen. Ruhri will sich neben seinen Klienten setzen, wird von einem Staatsanwalt aber eingebremst. Für ihn sei am anderen Ende des Raumes Platz. Der Verteidiger soll also fernab der Vernehmung im Winkerl sitzen.

"Ich kann dort meine Aufgabe nicht erfüllen", sagt Ruhri.

"Sie haben nur das Recht, anwesend zu sein und am Ende Fragen zu stellen", erwidert der Staatsanwalt.

"Beistand hat aber auch eine psychische Komponente", argumentiert Ruhri.

Vergebens. Daraufhin fragt der Anwalt den Klienten, ob er in dieser feindlichen Atmosphäre überhaupt aussagen möchte, was dieser verneint. Damit hat sich die Einvernahme erledigt, später reicht Ruhri eine schriftliche Stellungnahme seines Klienten nach. "Und was ist jetzt der Gewinn für die Strafverfolgungsbehörde?", fragt er.

Zwei Mal räuspern

Man werde in solchen Fällen den Klienten vermehrt raten, sich nicht zu äußern. Wobei das ganz einfach mit zwei Mal räuspern zu erreichen sei, dieses "Kasperltheater" könne man sich ersparen.

"Die Ermittlungsbeamten sind oft froh, dass ein Anwalt dabei ist", sagt Ruhri. Denn manchmal rät der Verteidiger dem Klienten, auszupacken und sich damit Punkte für eine Strafmilderung zu holen. Und der Aufklärung ist auch gedient. Während Schweigen als Verdunkelungsgefahr gesehen werden und dadurch einen Haftgrund liefern kann.

Das Argument der in die Länge gezogenen Verfahren tut Ruhri als "Erbsenzählerei" ab: "Sachverständige brauchen zwei Jahre für ein Gutachten, Richter ein Jahr zur Sichtung von Unterlagen, da kommt es auf einen Tag mehr für die Vernehmung nicht an."

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