Das Ende der Wilderer-Romantik

Das Ende der Wilderer-Romantik
Der Reiz des Verbotenen kostete 1982 Österreichs berühmtestem Wilderer das Leben.

Verklärt und romantisiert ist das Bild vom Wilderer, das sich über Jahrhunderte weg in den Köpfen der Bevölkerung gefestigt hat. Doch das Drama von Annaberg, bei dem Alois Huber vier Menschen tötete, hat den Mythos vom freiheitsliebenden Rebellen auf einen Schlag zerstört. Es ist ein Mythos, der auch durch die Geschichte des Pius Walder am Leben gehalten wurde.

Am 8. September 1982 wird er im Osttiroler Villgratental beim Wildern von Jägern ertappt und gehetzt. Eine Kugel in den Hinterkopf tötet den Holzfäller mit den dicken Koteletten. Für seine Familie glatter Mord. Das Gericht urteilt anders und bestraft den Schützen wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ mit drei Jahren Haft, wovon er die Hälfte absitzt. In den Augen von Pius Walders Bruder Hermann eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die er in seinem Heimatdorf Innervillgraten bis heute anficht.

Hauch des Abenteuers

Der Literat und langjährige KURIER-Redakteur Winfried Werner Linde verfolgte 1984 den Prozess als Journalist und schrieb ein Buch zu dem aufsehenerregenden Fall (siehe unten). Der heute 70-Jährige glaubt zu wissen, warum Walder mit rußverschmiertem Gesicht auf die verbotene Pirsch ging.

„Aus Leidenschaft. Und es ging sicher auch darum, den Mächtigen etwas zu Fleiß zu tun. Das war bei allen Wilderern in der Geschichte Tirols so. Außerdem geht es um Abenteuer. Das ist die alpenländische Mentalität, speziell in Tirol. Das hatte aber auch etwas mit der Einsamkeit auf diesen entlegenen Berghöfen zu tun. Dieses Abenteuer konnte einen aus der Masse der anderen heben.“

Das Ende der Wilderer-Romantik
APAHKT08 - 08092002 - KALKSTEIN - OESTERREICH: ZU APA 066 CI - FEATURE - Undatiertes Archivbild des Wildschuetzen Pius Walder aus Kalkstein (Osttirol) , der am 8.9.1982 in Kalkstein von einem Jaeger erschossen wurde. APA-FOTO : HERMANN WALDER
Und genau in dieser Einsamkeit steckt für Linde auch eine Parallele zum Fall von Alois Huber, so unterschiedlich er auch im Vergleich zu jenem von Pius Walder sein mag: „Ich bin kein Psychologe. Aber wenn jemand wie dieser Mann, den Menschen verliert, den er liebt, dann leidet er am Sinnlosen seines Lebens und sucht seinen Sinn woanders. Er hat ihn vielleicht in solchen Delikten gesucht. Der Hirsch ist der Herrscher des Waldes. Wenn ich so ein Tier erlege, zeige ich meine Macht in der Ohnmacht des sinnlosen Lebens. Ich glaube, er wollte zeigen: Ich bin mächtiger als die ganze Gesellschaft.“

Aus der Masse herausgetreten sind letztlich Pius Walder wie auch Alois Huber. Doch während der eine nahezu Märtyerer-Status erreichte, wird der andere als Amokläufer im Gedächtnis der Zweiten Republik bleiben. Zur illegalen Jagd war keiner von beiden gezwungen.

Ohne Not und Hunger

Die Romantik der Wilderei nährt sich letztlich aus jener Zeit, in der die Bevölkerung Hunger leiden musste, während die Jagd Adel und Klerus vorbehalten war. Wer den Reichen das Wild aus ihren Revieren schoss, durfte mit der Anerkennung der Armen rechnen.

„Die Walder-Brüder verdienten als Holzfäller für die damalige Zeit aber sehr viel Geld. Sie waren Spezialisten für Holzschlägerei“, rückt Winfried Werner Linde die Umstände ins rechte Licht. Dem Mythos tut das keinen Abbruch. Und das Thema fasziniert immer wieder aufs Neue. 2008 widmete das Tiroler Landesmuseum in Innsbruck dem „Wilderer“ an sich eine eigene Schau.

Das Ende der Wilderer-Romantik
Plakatsujet zur "Wilderer"-Ausstellung des Tiroler Landesmuseums 2008: es beruht auf einem Bild von: Steve Payne „the hunter becomes the hunted”, 2005

Der Innsbrucker Walder-Experte Linde mahnt jedoch dazu, die Wilderei immer im Kontext ihrer Zeit zu betrachten: „Die moderne Wilderei hat mit der traditionellen eines Pius Walder nichts zu tun. Die blenden das Wild mit den Scheinwerfern ihres Autos und knallen es ab. Das ist ein Verbrechen.“

Ein viel unglaublicheres Verbrechen ist die Wahnsinnstat von Alois Huber. Als Buchautor ist Linde überzeugt, dass dieser Fall seinen Nachhall in Film oder Literatur finden wird.

„Das ist der Stoff, aus dem heute die wirklichen gesellschaftlichen Psychodramen sind. Dabei geht es nicht um den Kriminalfall. Was hier interessiert, ist die Seele dieses Menschen. Als Schriftsteller hat mich das sehr beschäftigt.“ Und damit ist der Tiroler nicht allein.

Sein Journalistenherz tickt laut. Dem kann auch der Ruhestand nichts anhaben. 2008 ging Winfried Werner Linde nach mehr als zwei Jahrzehnten beim Tiroler KURIER in Pension. Der Autor zahlreicher Bücher und Theaterstücke arbeitet mit seinen 70 Jahren derzeit an mehreren Projekten gleichzeitig.

Mit seinem Buch „Die Walder Saga (Berenkamp Verlag, 16,50 Euro) hat Linde 1986 ein Werk zu den Umständen des Todes von Pius Walder verfasst. Als Journalist hatte er zuvor den Prozess rund um die Tötung des berühmtesten Wilderers des Landes aus dem Osttiroler Innervillgraten verfolgt. Der Fall sorgt auch nach drei Jahrzehnten immer wieder für Aufsehen.

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