"Wir sehen uns in einem Psychothriller"

"Er hat mit unserem Leben gespielt, sagen die Kinder
Vier Kinder klagen an: Arzt und Politiker-Bruder soll sie süchtig gemacht und gequält haben. Richter lässt Beschuldigten psychiatrieren.

Als Sabine L. (alle Vornamen zum Schutz geändert) 18 Jahre alt war, rammte sich ihr Vater absichtlich einen Schraubenzieher in den Bauch. Er machte selbst Fotos davon, dann verlangte er von seiner Tochter, sie soll das Werkzeug aus seiner Bauchdecke ziehen. Sabine weigerte sich – und bekam ein Mal mehr zu hören, "wie dumm und hässlich und fett ich bin. Das hat mein Selbstwertgefühl ruiniert", erzählt die heute 26-jährige Studentin dem KURIER.

Ab heute, Freitag, wird dem Vater im Landesgericht Graz – nach Interventionsversuchen reichlich verspätet – der Prozess wegen des Verbrechens des Quälens Unmündiger mit schweren Dauerfolgen sowie Suchtgift-Missbrauchs gemacht. Zumindest zwei seiner Töchter soll Dr. L. drogenabhängig gemacht haben, indem er ihnen Morphium spritzte, starke Medikamente in hohen Dosierungen verabreichte und Suchtgift (Cannabiskraut) überließ. Wobei man sich auf der Zunge zergehen lassen muss, dass der 54-Jährige Arzt ist. Er war noch dazu der Hausarzt seiner Kinder.

Pistole am Kopf

Die Sache mit dem Schraubenzieher hatte der Vater damals von seiner Tochter Susanne erledigen lassen. Sie sei dergleichen schon gewohnt gewesen. Im Alter von vier Jahren habe sie mitansehen müssen, wie sich ihr Vater eine Pistole an die Schläfe hielt und erklärte: "Ich geh mich jetzt daschießen."

Und die dritte Tochter Maria erinnert sich, wie sich der Vater vor ihren Augen mit dem Kopf in eine aus Seilen gebundenen Schlinge fallen ließ: "Er war schon ganz rot", als sie ihn befreite.

"Wir sehen uns in einem Psychothriller"
familie l.
So soll es im Haus Dr. L. in der Steiermark mit insgesamt vier Kindern zugegangen sein. Der Vater ließ sie alle im Volksschulalter Zigaretten (und sogar Zigarren) rauchen, weil er in einer Studie gelesen hatte, dass das im kindlichen Gehirn negativ abgespeichert wird und zum Nichtraucher "erzieht". Muss man erwähnen, dass der Plan nicht aufgegangen ist?

Die heute 23-jährige Susanne erzählt, dass ihr der Vater erstmals mit 12 Jahren Morphium gegen ihre Regelschmerzen gegeben habe. Mit 15 soll sie Schlafmittel erhalten haben, "von denen ich Halluzinationen bekommen habe. So kann ich mich erinnern, dass ich das Gefühl hatte, dass ein Feuerwerk passiert, Fäden herunterkommen, ich nach diesen Fäden greife..." Mit 16 habe er ihr Injektionen verabreicht. Der Vater habe gesagt, "dass es mir gefallen wird."

Auch Maria, heute 25, soll im Alter von 16 Jahren medikamentenabhängig gemacht worden sein. "So schnell konnte ich gar nicht schauen, und ich war abhängig."

Todesangst

Die vier Kinder haben sich entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie sagen: "Wir haben Todesangst vor unserem Vater. Wir sehen uns in einem Psychothriller." Und weil sie befürchten, dass das wahre Ausmaß des Falles unter den Teppich gekehrt wird.

Der Bruder ihres Vaters ist nämlich Politiker. Dass die Sorge vor Interventionen nicht unbegründet ist, zeigt der Brief eines als Sachverständigen beauftragten Gerichtspsychiaters an die Staatsanwaltschaft. Darin bittet der Gutachter Manfred Walzl um Enthebung, weil es "zu einer ganzen Reihe von Interventionsversuchen durch Kollegen, aber auch Politiker" gekommen sei.

Wo war eigentlich die Mutter der Kinder? "Meine Aufgabe während der Ehe war, dass er sich nicht umbringt", sagt sie. Damit habe er vor den Kindern ständig gedroht (und droht noch heute damit). "Und ich dachte damals, er ist der bessere Elternteil. Er kann sehr gut manipulieren." Nach "Horrorjahren" ließ sie sich scheiden, "und da fingen die Kinder ohne Ende zu erzählen an. Ich bin viel gewohnt, aber das waren Sachen außerhalb der Welt."

Bei Behörden und Gerichten wurde abgewiegelt, der Arzt – der alle Vorwürfe von sich weist (siehe unten) – ist gut vernetzt. Jetzt stehen bis zu fünf Jahre Haft auf dem Spiel. Wobei das nur der Auftakt sein kann, da kommt noch viel mehr. Seine angeblichen Allmachtsfantasien, sein Interesse für Sprengstoff und ein Gewehr mit großer Wirkung ...

Rechtfertigung

In mehreren Einvernahmen versuchte sich der Beschuldigte zu rechtfertigen. Die Protokolle liegen dem KURIER vor.

Zu seinen – auch während der Ehe – wechselnden Sexpartnerinnen sagt der Beschuldigte: „Mein Problem ist, dass ich es allen Frauen recht machen möchte. Es hat mir auch gefallen, aber ich habe es eigentlich nicht gebraucht. Dazu hat mich meine Ex-Frau dressiert, ich bin eine Maschine.“

Zum Vorhalt, ein Waffennarr zu sein und zumindest drei Schusswaffen zu besitzen: „Ich besitze keine Schusswaffe. Ich wäre froh teilweise, wenn ich eine hätte.“

Zum Vorwurf der Suizidversuche vor den Kindern: „Dann habe ich die Kinder gesehen und sofort reflexartig die Schusswaffe hinter meinem Rücken versteckt. Meinen Kindern hätte ich das niemals angetan.“

Zum Vorwurf, die Kinder medikamenten- bzw. drogenabhängig gemacht zu haben: „Ich spritze doch sicherlich nicht meinem Kind Morphium, dass es schlafen kann.“ Schlaftabletten habe er einer Tochter schon verabreicht, „weil sie mir gesagt hat, dass sie nicht schlafen und sich somit nicht erholen und in der Schule auch nicht konzentrieren kann.“

Die Vorwürfe seien von seiner Ex-Frau gesteuert (neben der er sich „wie im Gefängnis“ gefühlt habe), um ihn „fertigzumachen“.

Der Prozess wurde Freitagvormittag unterbrochen, der Richter lässt den Beschuldigten psychiatrieren, um zu prüfen, ob es sich in diesem Fall um einen geistig abnormen Rechtsbrecher handeln könnte.

Wenn Sie zu dem aktuellen Fall noch Informationen haben, wenden Sie sich bitte per Mail an ricardo.peyerl@kurier.at

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