Österreichs „Oskar Schindler“

Österreichs „Oskar Schindler“
Wie ein Wiener mehr als 300 Juden vor der Ermordung rettete – und dafür sein Leben gab

Er war kein wohlhabender Fabrikant wie Oskar Schindler und kein strategisch denkender Generalstabsoffizier wie Graf Stauffenberg. Er war nur ein kleiner Feldwebel aus Wien. Doch auch er bewies in der Zeit des industrialisierten Massenmords eine tiefe Menschlichkeit. Anton Schmid rettete mehr als 300 Juden vor dem sicheren Tod und bezahlte seinen Heldenmut mit dem eigenen Leben, als er von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. In Deutschland und Israel bereits vielfach geehrt, sollen diesem stillen Helden nun auch in seiner Heimat weitere Denkmäler errichtet werden. Soeben ist eine Biografie über ihn erschienen.

Aushilfsdiener

Anton Schmid wurde 1900 als Sohn eines Bäckergehilfen in Wien geboren, er absolvierte eine Lehre als Elektroinstallateur, war Aushilfsdiener bei der Post und eröffnete 1928 auf der Klosterneuburger Straße in Brigittenau ein kleines Radiogeschäft. Schmid wird von Zeitzeugen als heiterer und herzensguter Mann beschrieben, der in seiner Jugend angeblich in ein jüdisches Mädchen verliebt war.

Seine Menschlichkeit bewies er schon im März 1938. Als nach dem „Anschluss“ die Auslagenscheibe des Geschäfts einer jüdischen Nachbarin eingeschlagen wurde, hielt er den Täter bis zum Eintreffen der Polizei fest – jedoch landete nicht der am Kommissariat, sondern Schmid. Er ließ sich nicht einschüchtern und verhalf nun etlichen Juden zur Flucht ins Ausland.

Im Krieg von der Wehrmacht eingezogen, landete Schmid mit seiner Kompanie im September 1941 in der von Hitler-Deutschland besetzten litauischen Stadt Vilnius (Wilna), wo ihm nicht entging, dass in einem nahen Waldstück täglich Hunderte, oft sogar Tausende Juden erschossen wurden. Er weigerte sich, tatenlos zuzusehen und fand nun zu seiner Bestimmung.

Feldwebel Schmid leitete in Wilna eine Sammelstelle für Soldaten, die sich meist unerlaubterweise von der Truppe entfernt hatten. Er bemühte sich, diese vor der Verfolgung durch ein Kriegsgericht zu schützen und erkannte dabei, dass sein Büro mit angeschlossener Werkstätte für Zwangsarbeiter als so unbedeutend angesehen wurde, dass sich seine Vorgesetzten kaum um ihn kümmerten. So konnte er unbemerkt zum Lebensretter werden.

Falsche Papiere

Der erste von ihm gerettete Jude war ein von der Liquidierung bedrohter junger Pole namens Max Sallinger, der Schmid in seiner Not um Hilfe gebeten hatte. Der Feldwebel zögerte keinen Augenblick und verschaffte Sallinger eine neue Identität: Er gab ihm das Soldbuch des gefallenen Soldaten Max Huppert, steckte ihn in eine Wehrmachtsuniform und beschäftigte Max Sallinger, der gut Deutsch konnte, in seiner Schreibstube. Sallinger fuhr nach dem Krieg zu Schmids Witwe nach Wien, um ihr vom Heldenmut ihres Mannes zu berichten und sich auch dafür einzusetzen, dass Stefanie Schmid finanziell unterstützt wurde.

Wilna hatte beim Einmarsch der Nationalsozialisten rund 200.000 Einwohner, davon waren 60.000 Juden. Diejenigen unter ihnen, die man für „kriegswichtige Arbeit“ benötigte, wurden in ein von hohen Mauern und Stacheldraht umgebenes Ghetto gesperrt, alle anderen – genannt „die Überflüssigen“ – wurden erschossen. Hauptverantwortlich für die Massentötungen war der als „Schlächter von Wilna“ berüchtigte, aus der Steiermark stammende SS-Mann und „Judenreferent“ Franz Murer, aber auch viele Litauer beteiligten sich an den Verbrechen und plünderten die Wohnungen ihrer Opfer.

Vor dem Tod bewahrt

Österreichs „Oskar Schindler“
Anton Schmid stellte falsche Arbeitsbescheinigungen für Hunderte jüdische Gefangene aus, die meist nur „Arbeiter-Statisten“, ohne „kriegswichtige“ Aufgaben waren, aber so dem sicheren Tod entkamen. Er transportierte auch Juden mit gefälschten Marschbefehlen aus dem Wilnaer Ghetto in das damals sichere Weißrussland und unterstützte den jüdischen Widerstand.
Österreichs „Oskar Schindler“
Eine Schilderung seiner Hilfsbereitschaft hinterließ das Ehepaar Anita und Hermann Adler. Sie war Opernsängerin aus Wien, er ein Schriftsteller aus Pressburg, der die Umstände seiner Rettung niederschrieb. Anton Schmid versteckte die Adlers (wie viele andere) im Herbst 1941 in seiner Dienstwohnung, um ihnen den Aufenthalt im Ghetto und den vermutlichen Tod zu ersparen. Hermann Adler fand über Schmid die schlichten Worte: „Er war kein Held, er war ein Mensch.“

Aus dem Ghetto befreit

Als die Geheime Feldpolizei im Jänner 1942 dahinterkam, dass Schmid Juden mit Lastautos der Wehrmacht aus dem Ghetto befreite, klagte man ihn wegen Hochverrats an und verurteilte ihn zum Tod. Der Feldwebel wurde im April erschossen und sein Leichnam in einem Massengrab in Wilna verscharrt.

Schmid hat sich ähnlich verhalten wie Oskar Schindler, der in seiner Emailwarenfabrik bei Krakau 1200 jüdische Zwangsarbeiter rettete, indem er deren Tätigkeit – ebenfalls unter Gefährdung des eigenen Lebens – als „kriegswichtig“ bezeichnete, wodurch sie der Ermordung durch die SS entgingen. Doch während Anton Schmid hingerichtet wurde, hat Schindler die Nazizeit überlebt und ist 1974 im Alter von 66 Jahren gestorben.

Nur Menschen gerettet

Schindler wurde durch den mit sieben Oscars ausgezeichneten Steven-Spielberg-Film „Schindlers Liste“ weltberühmt, Schmid ist aber weitgehend vergessen.

In einem Punkt gibt es keinen Unterschied zwischen dem kleinen Feldwebel und dem großbürgerlichen Fabrikanten: Beide konnten nicht anders handeln. „Ich habe ja“, schrieb Anton Schmid im Abschiedsbrief an seine Frau, „nur Menschen gerettet“.

BUCH-TIPP

Wolfram Wette, „Feldwebel Anton Schmid, Ein Held der Humanität“, S. Fischer Verlag, € 25, 70.

Anton Schmid wurde 1967 in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem posthum als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. 1968 lief im ZDF der Spielfilm „Feldwebel Schmid“ (mit Karl Michael Vogler in der Titelrolle), der in Österreich jedoch nie gezeigt wurde. Derzeit laufen Bemühungen, den Film auf 3sat und ORF III zu senden.

Anton-Schmid-Hof

In Wien gibt es seit 1990 den Gemeinde-Wohnbau Anton- Schmid-Hof mit Gedenktafel. Am linken Ufer des Donaukanals befindet sich die Anton-Schmidt-Promenade, in Haifa/Israel ein Anton-Schmid-Platz und in Vilnius/Litauen ein Gedenkstein.

In der deutschen Stadt Rendsburg wurde im Jahr 2000 eine Kaserne nach Schmid benannt – da diese mittlerweile nicht mehr existiert, gibt es Bestrebungen, eine andere Kaserne nach dem Feldwebel zu benennen.

Auch in Österreich prüft zurzeit auf Anregung des Historikers Andreas Maislinger eine von Verteidigungsminister Klug eingesetzte Kommission die Benennung einer Kaserne nach Anton Schmid.

Kommentare