Angst vor IS-Terror und Trittbrettfahrern

Das Grazer Landesgericht ist nur knapp 200 Kilometer von der nächsten IS-Niederlassung entfernt.
Kritik an anonymisierten Richtern und Staatsanwälten sowie strengem Fotografierverbot.

Schwer bewaffnete Cobra-Spezialisten vor den Toren, Sicherheitsschleusen, Handy- und Fotografierverbot sowie anonyme Staatsanwälte und Richter: Die Sicherheitsvorkehrungen bei den laufenden Terror-Strafprozessen in Graz stellen jeden Mafiaprozess in Italien in den Schatten – das führt zu Kritik.

Schon beim Dschihadisten-Prozess in Krems im Juli vergangenen Jahres war die erhöhte Nervosität des Justizpersonals spürbar. Mit Nachdruck wurde von den Journalisten gefordert, die Namen der zuständigen Staatsanwältin und Richterin "herauszuhalten". Gerhard Jarosch, Präsident der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte, erläuterte dem KURIER: Man sei weniger in Sorge vor Attentaten der Taliban-Organisationen, sondern davor, dass Trittbrettfahrer zu Angriffen aufgestachelt werden könnten – noch dazu, wo ausgerechnet eine Frau einen "Bruder im Glauben" angeklagt habe.

Der Strafverteidiger Wolfgang Blaschitz, der mehrere mutmaßliche Dschihadisten vertritt, kritisierte die exzessiven Sicherheitsmaßnahmen als versuchte Eingriffe in die Pressefreiheit sowie als "Stimmungsmache" vor den Prozessen.

Dabei lag der Kremser Fall wesentlich einfacher als die aktuelle Causa in Graz. In Krems ging es nur um einen 30-jährigen tschetschenischen Asylwerber, der seine Unterkunft in Heidenreichstein im Waldviertel in Richtung Syrien verlassen hat, um dort mit Freunden aus seiner Heimatstadt Grosny bei einer regionalen Dschihadisten-Miliz das große Abenteuer zu erleben. Sein weiteres Schicksal vor dem Landesgericht Krems ist dem Anführer der Terrormiliz, Abu Bakr al-Baghdadi, wohl egal.

Schlag gegen den IS

Ganz und gar nicht egal kann der Terrormiliz IS nach Ansicht von Sicherheitsexperten der Dschihadisten-Prozess in Graz sein: Hier geht es schließlich um einen Schlag ins Zentrum der Rekrutierungsorganisation des "Islamischen Staats", den österreichische und bosnische Behörden geführt haben.

In Bosnien konnte der IS auf weit verzweigte Strukturen bauen, die noch aus der El-Kaida-Zeit von Osama Bin Laden stammen. Schon während des Bosnien-Krieges von 1992 bis 1995 konnten sich Mudschaheddin im Lande festsetzen, die sich im Lauf der Jahre vollends in den Dienst des "Islamischen Staates" gestellt haben.

Wahabiten-Führer Nusret Imamovic verließ das Land, und wurde zuletzt auf Videos in Syrien gesichtet. Sein Nachfolger, Bilal Bosnić, wurde im September 2014 gemeinsam mit 15 Anhängern von der bosnischen Sonderpolizei Sipa in Sarajevo festgenommen und mittlerweile zu sieben Jahren Haft verurteilt. In weiterer Folge konnte die Spezialeinheit Sipa 28 berüchtigte "Terrordörfer" der Islamisten in meist abgelegenen bosnischen Bergregionen stürmen und unter Kontrolle bringen.

Gleichzeitig zerschlug die heimische Exekutive mit der "Operation Palmyra" die österreichischen Organisationsstrukturen, was zu den 13 aktuellen Anklagen in Graz führte. Beim Verfassungsschutz ist man sich sicher, damit die effektivste Rekrutierungsorganisation des IS auf dem Balkan sowie in Österreich und Italien zerschlagen zu haben.

IS-Strukturen

Sicher ist aber eines: Trotz heftiger Bemühungen der bosnischen Behörden sind die Salafisten- und IS-Strukturen dort noch nicht unter Kontrolle. Den vorläufig letzten Schlag führte die Sipa am 22. Dezember mit der Festnahme von elf Terrorverdächtigen. Sie sollen geplant haben, in der Silvesternacht einen Anschlag in Sarajevo mit "mehr als 100 Toten" zu verüben.

Bosnić spielt auch beim Prozess in Graz eine wichtige Rolle: Er steht unter anderem in Verdacht, der Verbindungsmann zwischen den in Österreich Beschuldigten und dem IS gewesen zu sein.

Ausbildungslager

In seiner bosnischen Gefängniszelle kann Bosnić derzeit nicht viel anstellen. Dennoch machen sich neuerdings auch die italienischen Sicherheitsbehörden Sorgen um die Aktivitäten des Mannes. Nach Erkenntnissen der Italiener soll er vor seiner Verhaftung im nordwest-bosnischen Dörfchen Bosanska Bojna mit Geld vermögender Scheichs aus Katar acht Hektar Land gekauft haben. Und zwar unmittelbar an der Staatsgrenze zu Kroatien. Auch das Land jenseits der Grenze soll ihm gehören.

Ein grenzüberschreitendes Ausbildungslager, durch das ungesehen Waffen und Kämpfer in die EU transferiert werden können? Was treiben Bosnićs Gefolgsleute im Salafisten-Refugium an der Grenze, während der Chef in Haft sitzt?

In der Gegend sollen sich etwa 2000 Salafisten und Wahhabiten aufhalten. Igor Golijanin vom bosnischen Sicherheitsministerium in Sarajevo erklärte der italienischen Tageszeitung Corriere Della Sera seinen Verdacht: "Sie starten im Wald, stellen eine Armee zusammen und sterben als Märtyrer."

Die italienischen Behörden seien jedenfalls alarmiert, schreibt der Corriere Della Sera. Denn die Hafenstadt Triest sei nur 120 Kilometer entfernt. Nach Graz ist die Strecke noch kürzer.

Anfeindungen

Richterin Barbara Schwarz, Mediensprecherin des Landesgerichts Graz, will aber nicht von einer "Terrorangst" ihrer Kollegen sprechen. Die verschiedenen Maßnahmen hätten nichts miteinander zu tun. Die Cobra-Bewachung sei das Resultat eines gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden erstellten Sicherheitskonzepts. Die Anonymität der Kollegen wünsche man sich, um sich nicht unnötig "Anfeindungen" auszusetzen. Und das Fotografierverbot im Gerichtssaal sei eine Entscheidung des Richters.

Das Gerücht, wonach ein Staatsanwalt in diesem Zusammenhang unter Personenschutz der Polizei stehe, wird von der Staatsanwaltschaft Graz nicht kommentiert.

Laut Britta Tichy-Martin, Sprecherin des Justizministeriums, ist die Gefahreneinschätzung vor Ort vom Gerichtspräsidenten bzw. vom zuständigen Richter zu treffen. Ein ordnungsgemäßer Gang der Verhandlung sei sicherzustellen. Schließlich gehe es um die Sicherheit aller Prozessbeteiligten.

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