Manche Häftlinge bleiben lieber in Haft

Fußfessel statt Gefängnis: Drinnen gibt es klare Strukturen, heraußen gerät man leichter in Versuchung, ein Fehltritt ist schnell gesetzt.
Ständige Kontrolle schreckt einige ab, auch bedingte Entlassung wird oft abgelehnt.

240 Rechtsbrecher tragen jetzt gerade eine Fußfessel. Sie verbüßen ihre Strafe im elektronisch überwachten Hausarrest statt im Gefängnis. Es könnten mindestens 500 sein. Aber viele wollen die Fußfessel gar nicht haben.

Es sind in erster Linie Gefangene, die bald das Ende ihrer Strafhaft erreicht haben. Sie bekommen Freigang. Das heißt, sie gehen tagsüber in einem Betrieb in der Nähe der Justizanstalt arbeiten und schlafen in der Zelle. Die Wochenenden dürfen sie vielfach daheim verbringen.

Ohne dabei auf Schritt und Tritt überwacht zu werden wie mit Fußfessel. „Mit der Fußfessel entsteht ein Gefängnis im Kopf“, sagt Josef Mock, Leiter der Justizanstalt Wels, OÖ. Mock untersucht für seine Dissertation die Praxis des elektronisch überwachten Hausarrests. Er hat 390 Freigänger befragt und dabei herausgefunden, dass 65 Prozent die Fußfessel ablehnen. Die Struktur in der Justizanstalt gibt ihnen mehr Halt, sie geraten nicht so leicht in Versuchung.

Mock erzählt ein Beispiel: Eine Fußfessel-Trägerin kam zu früh von der Arbeit heim. Sie traute sich nicht in ihre Wohnung, weil die dort installierte und mit der Überwachungszentrale verbundene Basisstation Alarm ausgelöst hätte. Nach ihrem vorher erstellten Aufsichts- und Bewegungsprofil müsste sie zu dieser Zeit in der Arbeit bzw. auf dem Heimweg und dürfte nicht daheim sein.

Bei der Fußfessel sind die Wege, die man gehen und die Zeit, die man dafür brauchen darf, festgelegt: Arzt- und Behördengänge, beschränkte Einkäufe und der Weg zur Arbeit. Am Wochenende spazieren gehen oder Besuche machen ist – im Gegensatz zum Freigang – nicht gestattet.

Die Fußfessel ist trotzdem ein Erfolg: 1500 Verurteilten wurde sie bisher (im Schnitt für 109 Tage) angelegt, die Justiz hat sich 185.000 Hafttage (= ein mittleres Gefängnis) erspart. Natürlich gibt es auch Häftlinge, die die Fußfessel beantragen, sie aber nicht bekommen.

Wirklich frei

Aber auch eine andere Gruppe von Häftlingen will das Gefängnis nicht verlassen, obwohl die Justiz das anbietet: Das sind zu langen Haftstrafen verurteilte Rechtsbrecher, die am Ende ihrer Haftzeit für die letzten Monate in den Genuss der vorzeitigen bedingten Entlassung kommen könnten. Viele sitzen die Strafe lieber bis zum letzten Tag ab. Denn dann sind sie wirklich frei, ohne Auflagen.

Die Entlassung auf Bewährung ist mit einer mindestens dreijährigen Probezeit verbunden. In der Zeit müssen sie sich regelmäßig beim Bewährungshelfer melden und ihn über ihr Leben informieren. Und sie dürfen sich nicht den kleinsten Fehltritt leisten. Sonst müssen sie zurück ins Gefängnis, um den Rest doch noch abzusitzen und bekommen womöglich eine neue Strafe dazu.

Bruno Sladek, der neue Chef der Strafanstalt Stein (siehe Bericht rechts), sagt: „Manche wissen schon, dass sie wiederkommen. Die verzichten lieber auf die bedingte Entlassung.“ Dann ist wenigstens die eine Strafe endgültig abgedient.

Bruno Sladek hat 315 Justizwachebeamte und 800 Häftlinge unter sich. 470 von diesen sind als potenziell gefährlich eingestuft. Wie geht der 60-Jährige damit um?

KURIER: Viele sitzen 20 Jahre in Stein, die sind doch dann kaputt oder nicht?

Bruno Sladek: Das muss nicht sein. Es kommt darauf an, wie sie die Zeit hier verbringen. Meist war einer schon zwei Jahre in U-Haft, wenn er herkommt sind noch 18 Jahre offen. Als Ersttäter kann er hoffen, nach der Hälfte oder zwei Drittel entlassen zu werden. Man schaut, was er werden will: Matura? Fernstudium? Man stellt soziale Kontakte her, Brieffreundschaften, man sucht eine Arbeit. Eine Perspektive zu haben, ist das Wichtigste im Leben.

Haben Sie selbst Kontakt mit den Häftlingen?

Die Insassen haben das Gefühl: Das ist einer, der mit uns redet. Ich bekomme 120 Briefe von Insassen im Monat. Und wenn man darauf reagiert, wollen die anderen auch was.

Was wollen die?

Das geht von der Verpflegung, dass einer sein Weißbrot nicht kriegt, bis zur Frage nach Arbeit. Ich stamme aus Krems und kenne viele Betriebe hier, ich will für mehr Aufträge sorgen.

Weil ein 43-jähriger Nordburgenländer im September des Vorjahres alkoholisiert einen Unfall verursacht und dabei einen Motorradfahrer schwer verletzt hat, wurde der Mann vom Landesgericht Eisenstadt zu fünf Monaten unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt. Seinem Antrag auf elektronische Fußfessel wurde stattgegeben. An sich nichts ungewöhnliches, würde es sich bei dem 43-Jährigen nicht um einen Polizeibeamten handeln.

Seit Oktober verbüßt der Beamte seine Strafe – und zwar in seinem Büro in der Landespolizeidirektion in Eisenstadt, bestätigte die Landespolizeidirektion Burgenland am Mittwoch einen Bericht der bvz. „Er war vorher auf einer Polizeiinspektion in einer Gemeinde und macht jetzt Innendienst“, sagt Polizeisprecher Helmut Marban. Auch nach dem „Absitzen“ seiner Strafe wird der Burgenländer nicht mehr in seine Polizeiuniform schlüpfen, er bleibt im Innendienst. Das Verfahren der Disziplinarbehörde des Innenministeriums sei bereits abgehandelt, Details dazu seien nicht öffentlich, erläutert Marban. Den Vorwurf, dass sich der Polizist den Rausch während seiner Dienstzeit angetrunken hatte, weist Marban vehement zurück, der Beamte habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf Urlaub befunden.

Kein Imageschaden

Um das Image der Polizei macht man sich im Burgenland keine Sorgen: „Ich glaube nicht, dass es der Polizei schaden wird, Polizisten sind immerhin auch nur Menschen, die Fehler machen und eine zweite Chance verdient haben“, verteidigt Marban den Alko-Lenker. Wobei er die Tat keineswegs „entschuldigen“ möchte. Die Vorbildwirkung der Polizei will der Oberstleutnant ebenfalls nicht abstreiten, aber für ihn stehe in diesem Fall die „menschliche Komponente im Vordergrund“. Wie man aus Kollegenkreisen hört, leide der Beamte sehr unter dem von ihm verursachten Unfall und müsse auch finanzielle Einbußen gegenüber seiner früheren Tätigkeit in Kauf nehmen. Außerdem habe die Exekutive keinen Einfluss darauf, ob dem Antrag einer elektronischen Fußfessel stattgegeben wird, das entscheidet das Landesgericht völlig autonom, sagt Marban.

Die Genehmigung einer Fußfessel und die Konsequenzen einer Verurteilung beim Arbeitgeber seien zwar immer eine Frage der Einzelfallbeurteilung. Wäre über den Beamten jedoch eine unbedingte Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verhängt worden, hätte dies eine automatische Kündigung bedeutet, erklärt Marban.

Anfang 2013 traten beim elektronisch überwachten Hausarrest verschärfte Vergabekriterien in Kraft. Die wichtigste Neuregelung: Sexualstraftäter sollen sich bei schweren Delikten wie Vergewaltigung, geschlechtlicher Nötigung, sexuellem Missbrauch von Unmündigen, Jugendlichen oder beeinträchtigen Personen nicht mehr ihre gesamte Haftstrafe mit einer Fußfessel ersparen können. Ein Täter kann dann frühestens zur Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe um eine Fußfessel ansuchen. Diese wird aber nur nach einer genauen Prüfung durch die Justizanstalt und die Vollzugsdirektion gewährt. "Keiner der in den letzten Wochen öffentlich diskutierten Fälle würde nach der neuen Regelung die Fußfessel als einzige Vollzugsform bekommen; vielmehr müsste zumindest ein Teil der Strafe in einer Justizanstalt vollzogen werden", sagte der Sprecher von Justizministerin Beatrix Karl.

Zweitens soll bei allen sonstigen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung die Fußfessel nur mehr dann genehmigt werden, wenn Gewähr dafür geboten ist, dass der Verurteilte den Hausarrest nicht missbrauchen wird.

Opfer erhalten Mitspracherecht

Drittens soll Opfern von Sexualstraftätern ein Äußerungsrecht eingeräumt werden. Betroffene, die das wollen, würden so eine Stimme bekommen.

Zuletzt sollen alle Sexualstraftäter, die eine Fußfessel bekommen, mit einer neuen GPS-Fußfessel ausgestattet werden. Fußfesselträger können so permanent überwacht und gewisse Orte - etwa die Wohnung oder der Arbeitsplatz des Opfers - für sie gesperrt werden.

Die elektronische Fußfessel steht in Österreich seit 1. September 2010 zur Überwachung von Untersuchungshäftlingen und rechtskräftig verurteilten Straftätern mit einer Freiheitsstrafe bzw. Reststrafe von höchstens einem Jahr zur Verfügung. Mit ihrer Einführung wollte man die an ihre Kapazitäten angelangten Justizanstalten entlasten. Mit Stichtag 1. Oktober 2012 gab es seit der Einführung insgesamt 1025 Fußfesselträger. Derzeit sind es mehr als 200 Personen, die auf diese Weise ihre Strafe verbüßen.

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