"Wäre fatal, wenn wir so weiter tun"

AKOÖ-Präsident Johann Kalliauer
Der Arbeiterkammerpräsident fordert eine umfassende Neuaufstellung der Landes-SPÖ.

Johann Kalliauer (62) ist als Präsident der Arbeiterkammer und Vorsitzender des ÖGB ein wesentlicher Player in der SPÖ.

KURIER: Die sozialdemokratischen Gewerkschafter haben bei der Arbeiterkammerwahl 2014 um sechs Prozent zugelegt und halten in der Arbeiterkammer beinahe die Zwei-Drittel-Mehrheit. Bei der Landtagswahl am 27. September fiel die SPÖ auf einen Tiefpunkt von 18 Prozentpunkten. Was sind die Ursachen für diese völlig verschiedenen Ergebnisse?Johann Kalliauer:Es gibt ein Bündel von Ursachen. In der Arbeiterkammer erleben unsere Mitglieder, dass wir mit Ecken und Kanten an ihrer Seite stehen. Die Leute sagen in persönlichen Gesprächen, ihr nennt die Dinge noch beim Namen. Das ist in der Landespolitik viel schwerer vermittelbar. Denn sie ist ein Stück weiter weg vom direkten Erleben. Die AK-Wahl ist eher mit einer Gemeinderatswahl vergleichbar.

Dazu kam eine politische Stimmung, die nicht für beide Regierungsparteien SPÖ und ÖVP sprach. Sie wurde verstärkt durch das Flüchtlingsthema. Ich warne aber davor, das Wahlergebnis nur auf das Flüchtlingsthema zurückzuführen. Die Verunsicherung war zuvor schon sehr groß. Wenn man in der Bundespolitik immer schon den Kompromiss mitdenkt und nicht klar ersichtlich ist, wofür man steht, wird es schwierig.

Ist die Bundespolitik nicht bei den Anliegen der Menschen?

Das ist sie schon, aber sie tut alles, um das zu verstecken. Ein klassisches Beispiel ist die Steuerreform. Man hat sie verabschiedet und dann monatelang um Details gestritten. Eine positive Geschichte wurde zerredet. Vor allem von der Wirtschaft.

Die Wahlanalyse zeigt, dass die SPÖ bei ihrer Kernschicht, den Arbeitern, nur mehr Dritter ist. Da müssen doch alle Alarmglocken läuten.

Dass es alarmierend ist, ist unbestritten. Es war eine Fehleinschätzung zu meinen, man muss in der Wahlbewegung signalisieren, man ist für Gemeinsamkeit und grenzt sich inhaltlich nicht ab.

Die ÖVP hat signalisiert, dass sie mit der SPÖ koalieren will.

Das ist nirgends explizit besprochen worden. Der Landeshauptmann ist ein gewiefter Taktiker. Er hat es verstanden, in der SPÖ einige zu umgarnen.Wäre die SPÖ angriffiger gewesen, wäre die ÖVP ordentlich in die Mühle zwischen SPÖ und FPÖ gekommen. Man hätte einige Themen zuspitzen können. Die Unzufriedenheit im Gesundheitsbereich ist evident. So wären zum Beispiel die Mitarbeiter in den Spitälern ansprechbar gewesen.

Es war taktisch nicht g’scheit, sich inhaltlich so zurückzuhalten, um niemand zu verschrecken. Wenn für die Wähler nicht erkennbar ist, dass man für andere Inhalte steht und dass man die Anliegen der Menschen formuliert, dann tut man sich sehr schwer. Dieses Phänomen betrifft nicht nur die SPÖ, sondern auch die ÖVP. Es ist der ÖVP genauso wenig gelungen.

Landesvorsitzender Reinhold Entholzer hat offensichtlich Ihre Rückendeckung und die Unterstützung des Linzer Bürgermeisters Klaus Luger.

Die SPÖ muss sich inhaltlich, organisatorisch und personell neu aufstellen. Das gilt für die nächsten Wahlauseinandersetzungen. Es gibt überhaupt keinen Grund, hier eine Hektik zu entwickeln. Man muss das nicht bis zum Landesparteitag im Jänner übers Knie brechen. Bei der Wahl 2021 müssen wir ein in vielen Teilen erneuertes Team anbieten.Wir haben aber 2016 schon eine Bundespräsidentenwahl. Und wir haben 2018 eine wichtige Nationalratswahl. Es stellt sich die Frage,ob sich die SPÖ rechtzeitig erfängt, um einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Hier werde ich mich entsprechend einbringen, denn das ist eine entscheidende Wahl für die Arbeitnehmer. Ich will keine Wiederholung der Schüssel-Haider-Zeit. Wir haben keine Hektik, aber es wäre auch fatal, so weiter zu tun wie gehabt. Es muss einen Zug nach vorne geben. Wenn der nicht kommt, wird es kritisch.

Wo muss sich etwas ändern?

Die Menschen müssen wissen,wofür wir stehen und das müssen sie uns auch abnehmen. Man kann viele Papiere produzieren, aber wir müssen sie leben. Das ist uns in der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer gelungen. Ich gehe hier auch keinen Konflikten aus dem Weg.

Inhaltlich braucht es keine Fundamentalopposition, denn das in einer Konzentrationsregierung ohnehin nicht möglich. Wir brauchen jetzt eine Ära, wo es Zuwächse gibt. Wir wollen nicht das Schicksal anderer Landesparteien erleiden. Ich möchte keine Tiroler oder Vorarlberger Verhältnisse, wo wir eine Restgröße sind. Das wäre in einem Industriebundesland wie Oberösterreich doppelt fatal. Die Sozialdemokratie in Oberösterreich ist auch zu gut beraten zu sagen, was sie auf Bundesebene erwartet. Ich bin der Letzte, der einmal im Monat den Bundeskanzler zum Rücktritt auffordert. Aber inhaltlich muss man sich klar äußern.

Die Arbeitslosenzahlen sind wesentlich zu hoch.In Linz liegen sie beinahe bei zehn Prozent. Was sind die Ursachen?

Es gibt im europäischen Raum eine Bewegung von Arbeitnehmern. Die größte Gruppe, die inzwischen in Österreich arbeiten, sind die Deutschen. Diese Bewegungen kann man in einem Europa ohne Grenzen nicht ausschalten. Und es steigt das Arbeitsvolumen nicht in dem Ausmaß, in dem das Arbeitskräfteangebot da ist. Daher gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder für ein Wirtschaftswachstum zu sorgen, damit das Arbeitsvolumen steigt, damit mehr nachgefragt wird. Dass wäre eigentlich unsere Strategie. Ein Teil der Mehrbeschäftigung, die am Papier steht, resultiert aus Mehrfachbeschäftigungen. Wir haben mehr Teilzeitbeschäftigte und die Anzahl jener Arbeitnehmer, die zwei Jobs haben, steigt. Die prekären Beschäftigungsformen nehmen zu. Die Vollzeitjobs nehmen nicht zu. Das heißt, die Arbeit wird auf mehr aufgeteilt, das Arbeitsvolumen stagniert bzw. geht leicht zurück.

Man wird sich um die Verteilung der Arbeit nicht drücken können. Das ist die zweite Strategie. Wir haben schon fast eine halbe Millionen Menschen mit einer Arbeitszeit von null. Und wir haben eine tatsächliche Arbeitszeit von durchschnittlich 41 Stunden. Das wird auf Dauer nicht gehen. Es braucht hier Maßnahmen wie zum Beispiel das unattraktiv Machen von Überstunden. Mich irritiert, dass die Wirtschaft hier so auf der Bremse steht.

Die Wirtschaft argumentiert, eine Verkürzung der Arbeitszeit bedeutet höhere Gehälter und eine stärkere Belastung der Unternehmen und sie führt zu höheren Produktpreisen.

Betriebswirtschaftlich mag diese Argumentation bis zu einem gewissen Grad sogar stimmen. Nur wenn wir volkswirtschaftlich keine Lösung zustande bringen, wirkt das aufgrund der mangelnden Nachfrage auch negativ auf den Betrieb aus, der sagt, die Produkte werden teurer. Das ist eine kurzfristige und egoistische Sichtweise. Wenn wir es schaffen, dass mehr Menschen in Beschäftigung sind, dass wir mehr Steuer- und Beitragszahler haben, dann haben wir mehr Nachfrager und einen generellen Impuls. Eine Verkürzung mit vollem Lohnausgleich würde eine positive Bewegung auslösen.

Wie stark sollte die Arbeitszeit verkürzt werden?

Im ersten Schritt sollte man einmal auf 35 Stunden reduzieren. Mittelfristig, in den nächsten zehn bis 15 Jahren, sollte sie dann noch darunter gehen.

Wir haben heute schon viele Betriebe, die nahe der 35-Stunden-Woche sind. Das sind oft erfolgreiche Unternehmen, zum Beispiel in der Papierindustrie. Bei den Schichtbetrieben in der Metallindustrie ist man schon deutlich nach unten gegangen. Man muss auch die Arbeitsverdichtung berücksichtigen. Es wird heute wesentlich mehr Leistung verlangt als vor zehn, 15 Jahren. Die Belastung hat sich von einer körperlichen hin zu einer psychischen verschoben.

Man könnte Mischformen wählen statt einer strikten Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Man könnte sie in Etappen machen oder die Lohnerhöhungen reduzieren. Man kann bei den Überstunden etwas tun. Wenn man nur ein Viertel der Überstunden reduziert und in Dauerarbeitsplätze umwandelt, wäre schon Erhebliches geschafft.

Kommentare