"Russischer Markt ist ersetzbar"

MAN in Steyr schickte 2000 der 2400 Beschäftigten in Kurzarbeit. Ein Russland-Auftrag über 500 Lkw ist auf Eis gelegt worden.
In Anbetracht eines Dauerkonflikts müssen sich heimische Unternehmen alternative Märkte suchen.

Wladimir Putins Antwort auf die EU-Sanktionen nagt bereits an den Auftragsbüchern vieler heimischer Firmen. Backaldrin in Asten, Wintersteiger in Ried, MAN in Steyr – die verhängten Importstopps belasten mittlerweile fast alle Sektoren. Doch welche Auswirkungen hat es auf die oberösterreichische Wirtschaft, wenn der politische Konflikt zwischen der EU und Moskau sich weiter ausweitet und der russische Markt nicht nur übergangsmäßig, sondern auf Dauer wegbricht?

"Russland ist für uns ein wichtiger Markt, aber er ist nicht unersetzbar", meint dazu Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung. Die Importstopps seien natürlich schmerzhaft für die Betriebe, zumal es mit der globalen Konjunktur an sich nicht so gut laufe. Darum stehe man den EU-Sanktionen grundsätzlich skeptisch gegenüber. "Sie belasten die Wirtschaft und sind politisch nicht wirklich wirksam", findet Haindl-Grutsch, auf der anderen Seite könne Europa freilich nicht tatenlos zuschauen.

Überschaubarer Handel

Die Handelsbeziehungen mit Russland sind intensiv, aber überschaubar. Mit Exporten im Wert von 770 Millionen Euro im Jahr 2013 lag Russland im oberösterreichischen Ausfuhren-Ranking auf Platz zehn – hinter Ungarn und Großbritannien. Rund 80 oberösterreichische Unternehmen exportieren in die Russische Föderation, österreichweit sind es mehr als 500 (3,5 Mrd. Euro Export). In neue Märkte zu gehen sei laut Haindl-Grutsch als Reaktion auf den Handelskampf mit Putin jedenfalls unerlässlich. Primär Asien, Südamerika und die USA werden derzeit von der heimischen Industrie angepeilt. Die USA würden aufgrund der forcierten Re-Industrialisierung ohnehin für viele Unternehmen den roten Teppich ausrollen. Mit anderen Volkswirtschaften müssten jetzt engere Kontakte geknüpft werden. "Das klingt leichter, als es ist, und geht nicht von heute auf morgen."

Putin bleibt hart

Nach und nach erhärtet sich der Verdacht, dass sich die gegenseitigen Blockaden hinziehen könnten. Die russischen Maßnahmen hätten nicht zum Ziel, bisherige Partner "zu bestrafen oder zu beeinflussen", betonte kürzlich der Kreml-Chef, sondern man denke dabei an die eigenen Entwicklungsziele – sprich, an die eigenen Alternativen.

In der Tat bandeln die Russen gerade mit China an und verstärken ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit. Neben einem neuen Gas-Geschäft hätte man sich laut Moskau auf 30 gemeinsame Projekte im Bereich Finanz, Nahrungsmittel und Petrochemie verständigt.

Zehn Prozent Einbruch

Und während heimische Exporte nach Russland in der ersten Jahreshälfte 2014 um zehn Prozent eingebrochen sind, haben sich die Ausfuhren der Türkei nach Russland im gleichen Ausmaß ausgeweitet. Hinzu kommt auch noch, dass Putin nicht wirklich finanzielle Engpässe fürchten muss. Denn Russland besitzt Erdölreserven für mehr als ein Viertel Jahrhundert, Erdgas ist für die kommenden 70 Jahre auf Vorrat. Die EU wiederum ist von diesem Rohstoffen abhängig. Und: Das russische Volk steht hinter Putins gefährlicher "Starker Mann"-Politik.

Psychologischer Effekt

Für Hermann Pühringer, stellvertretender Direktor der Wirtschaftskammer OÖ (WKOÖ), geht es bei dem Konflikt in erster Linie nicht um die verlorenen Millionen im Augenblick, sondern um den langfristigen psychologischen Effekt. "Die Sanktionen setzen eine Spirale in Gang und verunsichern unsere starke Exportwirtschaft. Eine allgemein schlechte Stimmung ist hier brandgefährlich", warnt Pühringer. Vorübergehend starte die WKOÖ mit dem Land OÖ derzeit eine Exportoffensive in Überseemärkte wie Korea, Australien, Japan und China. "Aber Europa braucht Russland, und umgekehrt. Man muss weiter Gespräche führen." Da heimische Banken viele öffentliche Großkunden in Russland bedienen, könnte der Geldsektor übrigens als Nächstes auf Putins Abschussliste stehen.

Besonders hart wird die heimische Landwirtschaft von Putins Gegenmaßnahmen getroffen. Infolge von dramatischen Verwerfungen am Lebensmittelmarkt wurden Eferdinger Bauern mittlerweile dazu gezwungen, ihr Kraut einzuackern und ihre Äpfel verfaulen zu lassen. "Wir rechnen nicht damit, dass sich die Situation mit Russland entspannen wird", sagt Franz Reisecker, Präsident der Landwirtschaftskammer.

Die Russen würden sich bereits bei anderen Ländern wie Brasilien bedienen. "Ich glaube nicht, dass wir von heute auf morgen wieder liefern werden können." Kurzfristig hofft Reisecker dabei auf EU-Hilfen. Die EU müsse die vollen Lager leerkaufen und die Waren in Drittländer exportieren.

Fett als Biotreibstoff

Der Fokus der Kammer richte sich nun auf Märkte in Serbien, Montenegro oder den asiatischen Raum. "Unsere Produkte haben dort einen guten Ruf. Was wir jetzt brauchen, sind Handelserleichterungen, dann könnte der russischen Markt auf lange Sicht kompensiert werden."

Bereits im März hat Putin 15 heimische Betriebe für den russischen Markt sperren lassen. Im Fleischbereich hätte man vor allem viele, eher minderwertige Fettteile nach Russland geliefert. "Das ist jetzt alles eingelagert und muss verkauft werden", erklärt Reisecker, im Brotberuf selbst Schweineproduzent. Er denkt bereits darüber nach, die Fette als Biotreibstoff zu verwenden.

Freude bei Konzernen

Auch Jakob Auer, Präsident des Österreichischen Bauernbundes, spricht von "dramatischen Situationen" am Fleischmarkt. "Die Bauern verdienen nichts mehr, sondern zahlen mittlerweile drauf." Während kleine heimische Produzenten regelrecht "vernichtet" würden, komme der Konflikt manchen entgegen. "Große Fleischkonzerne profitieren von dem enormen Preisverfall. Es ist ein wirtschaftspolitischer Krieg", sagt Auer. Auch er hält die Bearbeitung von neuen Märkten für ein Gebot der Stunde.

Das Landwirtschaftsministerium befürchtet Exporteinbrüche von 103 Millionen wegen des Lebensmittel-Embargos. Für Oberösterreich hieße das Einbußen von rund 30 Millionen Euro.

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