"Der Terror verschlechtert unsere Lage"

„Viele Jugendliche fühlen sich bereits als muslimische Österreicher. Aber wenn es zu solchen Auseinandersetzungen kommt, ändert sich das ganz schnell“: Murat Baser.
Das Gift des Terrors wirkt, sagt Murat Baser. Manche Menschen fürchten sich vor Muslimen, Muslime fürchten Übergriffe.

Unter der Führung von Murat Baser (37) demonstrieren am kommenden Samstag Oberösterreichs Muslime gegen Gewalt, Hass, die Attentate von Paris und gegen Übergriffe gegen Muslime, die beispielsweise bespuckt und angeschrien werden. Baser ist Religionslehrer und Vorsitzender der islamischen Glaubensgemeinschaft in Oberösterreich, die sich aus 36 Vereinen zusammensetzt, die rund 95 Prozent der Muslime repräsentieren. 22 davon sind türkische Vereine, aber es sind auch bosnische, albanische und arabische dabei. Die Anzahl der Muslime beträgt laut einer Erhebung 2012 rund 80.000 bis 90.000. 2002 waren es 60.000.

KURIER: Haben die Attentate in Frankreich etwas mit dem Islam zu tun?

Murat Baser:
Wir wissen nicht genau, was die Attentäter gedacht haben, denn sie wurden getötet. Sie haben im Namen des Propheten Rache geübt und sie haben gerufen, Allah ist der Größte.

Haben diese Gewalttaten mit dem Islam zu tun?

Wir sagen schon seit Monaten, vor allem seit dem Auftreten von IS, dass das nichts mit dem Islam zu tun hat. Aber das glaubt uns schon seit längerer Zeit niemand mehr.

Aber die Attentäter berufen sich auf den Islam.

Ich bin studierter Theologe. An unserem Propheten wurden zahlreiche Gewalttaten verübt. Dennoch hat er verhindert, dass seine Freunde zu Gewalt greifen. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Wenn jemand gegen Gesetze verstößt, muss er sich vor Gericht verantworten. Der Islam erlaubt keine darüber hinausgehende Maßnahmen.

Die Attentäter können sich also weder auf den Propheten noch auf den Islam berufen?

Nein. Der Koran hat 600 Seiten mit 6000 Versen. Diese Leute reißen einzelne Zitate aus dem Zusammenhang, die in ihre Ideologie passen.

Der Wiener Islamwissenschafter Mouhanad Khorchide, der an der Universität Münster lehrt, sagt, es habe keinen Sinn zu behaupten, dieser Terror habe nichts mit dem Islam zu tun. Die Terroristen seien nun einmal Muslime.

Seine Aussagen sind gefährlich. Der Koran wurde in Mekka in einem Zeitraum von 23 Jahren von Gott zu uns herabgesandt. Unser Prophet wurde angegriffen und er wurde beschuldigt, Unruhe zu stiften. Er hat Gewaltanwendung abgelehnt und ist deshalb von Mekka nach Medina ausgewandert. Das ist in den Versen im Koran festgelegt.

Warum nimmt die Gewalt so zu, obwohl der Koran Gewalt verbietet?

Das ist eine gute Frage. Viele Jugendliche haben kaum Bildung bzw. Ausbildung. Sie haben keine Ahnung vom Koran. Die Aussagen sind eindeutig. Gott sagt, lasst die Menschen gläubig sein, die gläubig sein wollen, und jene ungläubig, die ungläubig sein wollen. Dazu kommt, dass die Jugendlichen in einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage sind. In Österreich ist das anders.

Wie wirken sich die Terrorattacken auf das Leben der Muslime hier aus?

Positiv und negativ. Wir erhalten zum Beispiel Mails, in denen die Menschen uns sagen, dass wir hier friedliebend sind und sie uns unterstützen. Auf der anderen Seite werden Muslime, die bereits 40 Jahre lang da sind, plötzlich kritischer gesehen.

Es wird Misstrauen gesät.

Genau. Wenn die Menschen jetzt durch die Medien und den Terror nur Schlechtes über den Islam hören, würde ich wahrscheinlich auch so denken. Das Misstrauen ist größer geworden.

Sie könnten ja eine Informationsoffensive starten.

Das machen wir mit unserer Demonstration nächsten Samstag. Wir arbeiten intensiv mit der Diözese Linz zusammen. Wir erfahren bei den Veranstaltungen, dass die Menschen Ängste haben.

Wie ist die soziale Lage der Muslime in Oberösterreich?

Sie ist gut. Sie ist besser als in Wien, Frankreich oder Deutschland. Die Jugendlichen arbeiten ehrenamtlich in den Vereinen mit.

Fühlen sich die Muslime hier an den Rand gedrängt?

Nein, das kann man nicht sagen. Bisher war das nicht der Fall. Aber es kommen jetzt Ängste hoch. Die IS-Geschichte hat viel verändert. Meine Frau ist zum Beispiel vor einigen Monaten im Auto bei einer Ampelkreuzung in Leonding angeschrien und angespuckt worden. Meine Tochter wurde in der Straßenbahn auch angeschrien. Aber zwei Damen und Herren haben ihr mit ihrer Zivilcourage geholfen.

Der Terror verschlechtert auch die Lage hierzulande?

Er verschlechtert sie sehr.

Wie stellen Sie das fest?

Wir erhalten zum Beispiel Mails, wo uns vorgeworfen wird, dass der Koran ein gewalttätiges Buch ist.

In Europa herrscht Trennung von Kirche und Staat. Empfinden die Muslime das als gut?

Das ist kein überhaupt Problem. Es gibt seit mehr als 100 Jahren das Islamgesetz. Wir können in der Schule Islam unterrichten. In vielen Bereichen ist das ein gutes Verhältnis.

Es gibt in vielen muslimischen Ländern die Scharia, die islamische Gesetzgebung, hier nicht. Ist das für Sie ein Problem?

Überhaupt nicht. Hauptsache ist, dass die Menschen in Gerechtigkeit leben können. Es ist überhaupt kein Problem, ob die Gerechtigkeit nun durch die Scharia oder durch die Demokratie hergestellt wird. Die Scharia kommt ins Spiel, wenn Ungerechtigkeit herrscht oder den Menschen ein Glaube aufgezwungen wird.

Die Karikaturisten von Charlie Hebdo berufen sich auf die Meinungsfreiheit. Ist es Meinungsfreiheit, wenn man immer wieder einen Glauben beleidigt?

Sie kritisieren die Karikaturen?

Natürlich. Wieso kommen jetzt immer wieder neue Karikaturen?

Muslimische Anwälte haben gegen die Karikaturen geklagt.

Wenn das Gericht feststellt, dass das Meinungsfreiheit ist, was kann ich tun? Ich als Muslim kann das kritisieren, aber man darf das nicht tun, was jetzt passiert ist. Diejenigen, die die Veröffentlichung der Karikaturen verteidigen wie Khorchide,irren sich gewaltig. Ich frage mich, ob sie dafür bezahlt werden. Oder man hat ihnen vielleicht eine gute Position angeboten.

Damit unterstellen Sie ihm, dass er korrupt ist. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf.

Das denke ich. Wie kann das jemand sagen, der sich mit dem Koran auseinandersetzt? Ich verstehe auch nicht die Muslime, die sagen Je suis Charlie. Als Muslim kann ich das niemals sagen.

Das sollte jeder für sich selbst entscheiden.

Wenn er als Muslim sagt Je suis Charlie, beleidigt er den Propheten. Das darf er nicht sagen. Der Charlie hat das verursacht. Wenn ich sage Je suis Charlie, unterstütze ich das Satiremagazin.

Wenn Sie in der Regierung wären, würden Sie das Magazin verbieten?

Ich würde es zuerst verurteilen, zum Beispiel durch Geldstrafen oder Mahnungen. Es wäre meine Aufgabe als Politiker zu schauen, dass im Land Frieden herrscht.

Sie finden, dass die Pressefreiheit zu weit geht?

Ja, sie geht zu weit. Ich habe auch die Artikel gesehen, die sie über Jesus und Maria gemacht haben. Sie verletzen mich sehr.

Es ist Zeichen einer freien Gesellschaft, dass man Dinge zulässt, bei denen man anderer Meinung ist.

Ich verstehe es, wenn jemand meine Religion oder meinen Propheten kritisiert. Aber wenn man ihn karikiert oder beleidigt....

Mohammed darf man nicht karikieren....

Die islamische Theologie sagt, man darf ihn nicht abbilden. Sie haben ihn sogar in schlechter Weise dargestellt.

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