Auschwitz-Einsatz seit 1978 bekannt

Auschwitz Birkenau
Aufdecker: „Hatte nicht den Eindruck, dass die Beamten Interesse am Fall hatten“.

Der Wiener Sozialwissenschaftler Johannes Kramer hatte im Februar 2012 den Justizbehörden im Fall des ehemaligen Auschwitz-Wächters Johann H. eine erste Sachverhaltsdarstellung übermittelt. Ein Jahr später, im Februar 2013, sowie heuer im Juni reichte er weiteres Belastungsmaterial nach. Aufgrund seiner Eingaben nahm – wie berichtet – die Staatsanwaltschaft Wels gegen H. Ermittlungen auf. Der Vorwurf: Verdacht der Beihilfe zum Mord.

„Der Auschwitz-Einsatz des Mannes war den österreichischen Behörden seit mehr als 30 Jahren bekannt. Es ist daher traurig und erschütternd, dass zivilcouragierte Menschen behördlichen Druck auf sich nehmen müssen, damit endlich Ermittlungen in Gang gesetzt werden, die eigentlich schon lange geführt hätten werden müssen“, kritisiert Kramer.

Er verweist auf eine Befragung des Verdächtigen im Jahr 1978 im Zusammenhang mit dem letzten Frankfurter Auschwitz-Prozess. Heimische Beamte hatten den Mann im Auftrag des hessischen LKA als Zeugen einvernommen. H. gab damals zu, dass er von November 1942 bis November 1944 in einer Wachkompanie des SS-Totenkopf-Sturmbannes Auschwitz „immer Dienst in der großen Postenkette beim Lager Birkenau versehen“ habe. Innerhalb des Vernichtungslagers will er aber nie im Einsatz gestanden sein.

Einvernahme

Der Wiener Jus-Student Stefan Brugger hatte Kramer auf den Fall aufmerksam gemacht. Er war Zeuge, als ein Enkel des Verdächtigen bei einer privaten Feier davon erzählte, dass der Opa Wärter in Auschwitz gewesen sei. „Ich hab’ es als meine moralische Pflicht gesehen, einen potenziellen NS-Gewaltverbrecher, der seinen Dienst am Schauplatz des größten Massenmordes der Geschichte versehen hat, anzuzeigen“, erklärt Brugger.

Am 12. April 2012 sei er (und später auch Kramer) dazu vom Bundesverfassungsschutz einvernommen worden. „Das war eine sehr unangenehme Erfahrung, die ich niemandem wünsche“, sagt Brugger. Im Verlauf des Gesprächs hätten die Beamten u. a. mehrfach auf die Schwierigkeiten derartiger Ermittlungsverfahren hingewiesen. „Das hat auf mich den Eindruck gemacht, als würden sie mich überzeugen wollen, dass das Ganze eh sinnlos ist und ich doch bitte den armen alten Mann in Ruhe lassen soll.“ Auf seinen Einwand hin, dass er es aber trotz aller Probleme durch ein möglicherweise beeinträchtigtes Erinnerungsvermögen solch alter Menschen für notwendig halte, zu ermitteln, soll ein Beamter entgegnet haben: „Meine Mutter hat sich schon mit 60 an nichts mehr erinnern können“. Unterschwellig sei ihm auch unterstellt worden, dass er nur auf eine Belohnung aus sei. Brugger: „Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Beamten Interesse an dem Fall hatten.“

Der gebürtige Donauschwabe Johann H. ist 90 Jahre alt und lebt seit Jahrzehnten in der Nähe von Eferding (OÖ). Sein Gesundheitszustand dürfte nicht mehr der beste sein. Informellen Kanälen zufolge soll ihm ein medizinisches Gutachten Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen. Der Akt liegt derzeit im Justizministerium. Die Entscheidung, ob das Verfahren eingestellt wird oder nicht, dürfte in den kommenden Wochen fallen.

Kritik

Scharfe Kritik am Verhalten der Strafjustiz übten am Dienstag das Mauthausen Komitee (MKÖ) und das oö. Antifa-Netzwerk. „Bezeichnenderweise ist die Sache überhaupt erst durch Recherchen und die Anzeige engagierter Privatpersonen ins Rollen gekommen“, stellt MKÖ-Vorsitzender Willi Mernyi fest. Weder die Sicherheitsbehörden noch die Justiz hätten jahrzehntelang das geringste Interesse an dem mutmaßlichen SS-Verbrecher gezeigt. „Dieser extrem laxe Umgang der Strafjustiz mit einem Fall, in dem es um Beihilfe zum Massenmord geht, ist eine Schande“, betont Netzwerk-Sprecher Robert Eiter.

„Es kann nicht sein, dass man offensichtlich darauf hofft, dass sich der Fall dadurch erledigt, dass der Beschuldigte stirbt oder verhandlungsunfähig wird“, kritisiert der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser. Er wirft der Justiz schleppende Ermittlungen vor. „Das ist eine Schande. Österreich verweigert sei Jahren die Verfolgung von NS-Tätern, während beispielsweise in Deutschland noch aktiv Verfahren geführt werden.“ Der Grüne will im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage klären, warum die Ermittlungen „so langsam“ vorangehen und welche konkreten Schritte gesetzt worden seien.

„In dem Verfahren ist extrem viel passiert“, erklärt hingegen Christian Hubmer von der Staatsanwaltschaft Wels. Man ermittle akribisch und stehe in Kontakt mit Dokumentationsstellen in Österreich und Deutschland. „Der Verdächtige ist auch einvernommen worden.“ In medizinischen Bereichen stoße man allerdings auf Grenzen.

Terror mit Totenkopf

Die SS-Totenkopfverbände waren Teil der Schutzstaffel der NSDAP (SS). Hauptaufgabe war Bewachung und Verwaltung der Konzentrationslager. Ein Totenkopf am Kragen war Namensgeber.

Im Konzentrationslager Auschwitz wurden zwischen 1940 und 1945 mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet.

KZ Auschwitz: Die Mordfabrik der Nazis

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