"Das kostet alles sehr viel Geld"

Enzenhofer hält Strukturdiskussionen für nebensächlich. Er würde das Geld in die Schulen stecken.
Der Landesschulratspräsident über die Umsetzungschancen von Gesamt- und Ganztagsschulen.

Fritz Enzenhofer (58) ist seit 2001 Amtsführender Präsident des Landesschulrates und seit 1998 Landesobmann des Christlichen Lehrervereins (CLV).

KURIER: Der neue ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner tendiert zur Gesamtschule. Erschüttert Sie dieser Kurswechsel oder ist das eine gute Sache?

Fritz Enzenhofer:
Ich habe das Thema immer schon pragmatisch gesehen. Wir haben de facto schon Gesamtschulen. Wir haben am Land Hauptschulen, die von allen Kindern besucht werden. Wir haben in den Städten Gymnasien, die von den meisten Schülern besucht werden und Hauptschulen, die einen hohen Migrationsanteil haben. Die Strukturdiskussionen halte ich für nebensächlich.

Was ist dann Hauptsache?

Eine Schule funktioniert gut, wenn es gute Lehrer gibt. Es gibt auf der ganzen Welt gute Gesamtschulen, es gibt gute differenzierte Schulsysteme. Baden-Württemberg hat die Gesamtschule, aber gleichzeitig Realschulen, Gymnasien und Werkrealschulen.

Innerhalb der Gesamtschule müsste man Strukturierungen vornehmen?

Baden-Württemberg hat durchschnittliche Schulgrößen von 900 Schülern und 26 Klassen. Man benötigt große Einheiten, die differenziert werden. Ob man das nun in Form von Leistungsgruppen, Fachgruppen oder nach anderen Kriterien macht, ist eher nebensächlich. Gesamtschule ist kein pädagogisches, sondern ein sozial- und gesellschaftspolitisches Thema.

Ein Beispiel. Beim Jubiläum 100 Jahre Linzer Khevenhüllergymnasium bin ich in die siebente Klasse gegangen und habe Unterricht in politischer Bildung gegeben. Ich habe zu den Schülern gesagt, ich lasse die Wände zur benachbarten Diesterwegschule, einer Hauptschule, durchbrechen, die beiden Schulen werden ab sofort gemeinsam als Gesamtschule geführt. Zwei Minuten herrschte Stillschweigen. Dann sagte der Erste, das geht nicht, da sind lauter Ausländer. Der Nächste sagte, das kann man nicht machen, die kommen alle aus dem Frankviertel. Bei den Argumenten der Schüler war kein einziges pädagogisches dabei. Es dreht sich eigentlich um Probleme, die man anders angehen müsste.

Nämlich?

Warum ist die Wohnsituation im Frankviertel so? Warum wohnen dort 95 Prozent Migranten? Wie bringe ich hier eine Durchmischung zustande? Wenn ich in Linz eine Durchmischung der Klassen mit einem Maximum von 30 Prozent Migranten anstrebe, müsste ich die Schüler bis nach Rohrbach hinauf schicken. Umgekehrt müssten die Rohrbacher Schüler nach Linz in die Schule fahren, damit in Linz der Migrantenanteil geringer wird.

Das größte Problem der Migrantenschüler sind zu geringe Deutschkenntnisse?

Das ist eines der Probleme. Es gibt Unterschiedlichkeiten in der Lebensart, in der Religion, es gibt innerhalb der Migrantenkinder große Unterschiede.

Es gibt beispielsweise 25 verschiedene Sprachen in einer Schule mit 300 Kindern. Sie verstehen sich oft untereinander nicht. Es gibt Menschen, die haben einen liberalen Zugang zur Religion, andere wiederum einen fundamentalistischen. Es gibt Gruppen, die zahlenmäßig stärker sind und die die Schule dominieren.

Das sind alles Themen, die grundsätzlich keine pädagogischen sind.

Welche Fragen sind bei einer Gesamtschule zu klären?

Man muss entscheiden, was man zum Beispiel mit der AHS-Unterstufe macht. Löst man sie auf? Was macht man mit den Privatschulen? Welcher Migrantenvater hat das Geld, dass er sich eine Privatschule leisten kann?

Man muss sehr viel Geld in die Hand nehmen, um die Gesamtschule umzusetzen. Allein schon für die notwendigen Gebäude.

Wenn die öffentliche Hand wirklich so viel Geld hat, dann würde ich dieses Geld in die Schulen stecken. Um zum Beispiel kleinere Klassen zu bilden. Oder um Sozialarbeiter anzustellen oder um Familien zu betreuen. Die Schüler könnten sofort davon profitieren.

Was würde die Umsetzung der Gesamtschule in Oberösterreich kosten?

Das kann man nicht sagen. Das hat noch niemand kalkuliert.

Wozu brauchen Sie eine Stellvertreterin, die 8400 Euro brutto verdient?

Sie hat nicht die Funktion, mich zu vertreten. Das ist eine politische Funktion.

Das heißt, die rote Vizechefin kontrolliert den schwarzen Enzenhofer?

Ja, wie es oft üblich ist. Kontrolle sollte nicht durch die eigene Fraktion passieren. Sie vertritt die politischen Vorstellungen der zweitgrößten Partei des Landes. Das garantiert, dass nicht drübergefahren wird. Sie kann die Entscheidungsprozesse mitverfolgen.

Sie halten diese Funktion für gut?

Ich habe bis jetzt gut damit gelebt.

Die Gage von 8400 Euro ist gerechtfertigt oder zu hoch?

Die Präsidentin war vorher Bezirksschulinspektorin, sie hat an der Pädagogischen Hochschule unterrichtet. Ihr Zeitaufwand ist jetzt sicherlich höher. Ich glaube, dass sie vorher nicht viel weniger verdient hat.

Ich traf kürzlich eine Mutter in Linz, die mir erzählte, dass sie ihre beiden Buben in eine Privatschule gegeben habe, weil das Niveau der öffentlichen Schule aufgrund der Migrantenkinder zu niedrig sei. Ist das so?

Es ist genau das Thema. Die Situation ist eine andere, wenn sich die Kinder untereinander nicht verständigen können.

Sie könnten ja Deutsch miteinander reden.

Wenn sie es schon können. Die Schüler sind in ihrer Privatheit meist in einem geschlossenen System. Zu Hause reden sie meist in ihrer Sprache, sie sind vielfach aus sozialen Verhältnissen, wo die Bildungsaffinität nicht so hoch ist. Wir wissen, dass sich Bildung vererbt. Das ist eine Frage, die uns immer stärker beschäftigen wird.

Das heißt, aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse sinkt das Niveau in den Schulen?

Nicht nur aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse, sondern auch aufgrund der Bildungsaffinität. Ähnlich war es bei uns vor 50, 60 Jahren, wo der Beruf oft weitervererbt wurde.

Das bedeutet, dass die Bildung sinkt.

Es ist ein anderer Bildungsstandard, das ist überhaupt keine Frage.

Was kann man dagegen tun?

Der, der diese Frage beantworten kann, bekommt den Nobelpreis, weil es die Antwort nicht gibt. Es geht sicher um den Sprachenerwerb. Man könnte rund um die Schule Projekte realisieren, die für die Schule wirksam sind, zum Beispiel Bildungsangebote für die Eltern. Es geht sicher auch um ganztägige Schulformen.

Die Ganztagsschule würde sicherlich Fortschritte bringen.

Ich bin auch hier ziemlich pragmatisch. Wir werden für die Akzeptanz nicht an der Freiwilligkeit vorbeikommen. Es dürften viel mehr Schulen ganztägig geführt werden, als tatsächlich der Fall ist. Wenn man die Schüler und Eltern dazu verpflichten würden, ist sicherlich die verschränkte Form die bessere. Das würde bedeuten, Unterricht und Freizeit zu mischen. Das geht nur dann, wenn die Ganztagesschule nicht freiwillig ist. Wenn sie freiwillig ist, kann man das nicht so machen.

Sie plädieren für die Freiwilligkeit?

Man sollte das Angebot an Ganztagsschulen erhöhen, es wird ohne Freiwilligkeit nicht gehen. Es gibt viele Eltern, die die Ganztagsschule nicht akzeptieren.

Ganztagsschulen benötigen einen Ausbau der Schulräumlichkeiten, denn man kann ja die Schüler nicht den ganzen Tag in derselben Klasse sitzen lassen.

Das kostet viel Geld für den Ausbau und benötigt zusätzliches Personal, weil die Lehrer nicht unbedingt die besten Freizeitbetreuer sind. Hier gibt es Spezialisten.

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