"Euro hat keine Ewigkeitsgarantie"

„In Deutschland und Österreich werden Reformen rückabgewickelt“: Oswald Metzger.
Der Vordenker prognostiziert niedrigere Pensionen und befürchtet einen weichen Euro.

Oswald Metzger ist stellvertretender Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in Baden-Württemberg. Der 60-Jährige war acht Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags. Er kandidierte damals für die Grünen, legte aber in der Folge das Mandat zurück und trat der CDU bei. Hauptberuflich ist er geschäftsführender Sekretär für den Konvent für Deutschland, der Konzepte für die Neuordnung der föderalen Strukturen in Deutschland und Europa entwickelt und für mehr demokratische Teilhabe der Bürger wirbt. In der vergangenen Woche referierte er in Gmunden vor der Academia Superior, der Denkwerkstatt der ÖVP.

KURIER: Was fällt Ihnen auf, wenn Sie von Baden-Württemberg aus Österreich beobachten?

Oswald Metzger: Als ich bis 2002 Abgeordneter im Bundestag war, habe ich mit Interesse die österreichische Reformpolitik verfolgt und gedacht, da müsste sich Deutschland ein Beispiel nehmen. Dann hat Deutschland die Agenda 2010 beschlossen. Als ab 2007 die große Koalition in Wien regiert hat, habe ich gesehen, dass die Reformen rückabgewickelt werden. Das passiert in Deutschland auch. Beide Länder verlieren Wettbewerbsfähigkeit.

Ein strittiger Punkt in Deutschland ist die Rente mit 63, die aber eine Eintrittsbedingung der SPD in die große Koalition war.

Die SPD und CDU haben 2005 die Rente mit 67 eingeführt. Die CDU hätte Widerstand gegen die Rente mit 63 Widerstand leisten müssen, aber stattdessen hat sie die Mütterrente in ihr Wahlprogramm geschrieben. Dabei sind die Rentenkassen aufgrund der Alterung strukturell leer. Innerhalb von 15 Jahren hat die Koalition dann eine Viertelbillion Euro dafür ausgegeben. Das ist eine Katastrophe. Dabei haben die Österreicher das vergleichsweise größere Problem, weil sie Leute schon mit 53 Jahren in Pension schicken. Als politischer Mensch bin ich deshalb erschüttert, weil in Ländern, in denen die Reformen in die richtige Richtung beschlossen wurden, nun Rückabwicklungen stattfinden. Obwohl sich die objektive Datenlage nicht verbessert hat. Wir laufen in die demografische Falle. Wozu haben wir Politiker, die einen Kopf zum Denken haben? Da praktiziert man eine Gefälligkeitsdemokratie, nu r weil die Menschen gerne mit 53 wohlbestallt in den Ruhestand gehen. Man sagt ihnen, ihr könnt ohne Abstriche in den Ruhestand gehen, obwohl man den Jungen sagen müsste, ihr zahlt die Zeche in Form von höheren Steuern und Abgaben.

Die Pensionen werden ebenfalls längerfristig sinken.

Ja, die Niveaus werden absinken. Die Menschen, die heute in Deutschland in Rente gehen, erhalten im Schnitt kaufkraftbereinigt mindestens zehn Prozent weniger als jene, die vor zehn Jahren in den Ruhestand gegangen sind. Das Nettorentenniveau sinkt. In Österreich hat man diese Baustelle noch vor sich. Man darf mit dem Finger nicht nur auf die Politiker zeigen, sondern auch viele Menschen ticken merkwürdig verschroben.

Die Umfragen ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Erhöhung des Pensionsalters ist.

Das war in Deutschland auch so. Trotzdem hat man die Renten reformiert und die Menschen haben sich damit abgefunden. Dennoch hat sie die Politik ohne Not zurückgedreht.

Deutschland gilt wirtschaftlich als stärkste europäische Nation. Wenn hier schon die notwendigen Reformen nicht durchgeführt werden, dann schaut es für Europa insgesamt relativ schlecht aus.

Deutschland hat profitiert von der Reformpolitik, die 2003 von Rot-Grün unter Kanzler Gerhard Schröder gemacht wurde. Unterstützt von der CDU und CSU, die damals im Bundesrat die Dreiviertel-Mehrheit hatten. Allerdings haben sich die Parteien nicht zur Reformpolitik bekannt, weil Schröder abgewählt wurde und die Linkspartei plötzlich hochkam.

Die strukturellen Defizite, die ich angesprochen habe, werden spätestens 2017/’18 hochkommen. Außer die Konjunktur zieht plötzlich an. Wenn die nächste Regierung die Rechnung präsentieren muss, weil die Steuern und Beiträge steigen, dann wird das Wehklagen groß sein. Zu einer guten Politik gehört auch Leadership (Führungsstärke). Man muss wissen, warum man etwas tut und dann die Notwendigkeiten erklären. Wenn man die Bevölkerung nicht mitnimmt, hat man ein Riesenproblem. Man muss den Menschen keine Angst machen, sondern einfach die Fakten benennen. Wenn man noch fünf, sechs Jahre zuwartet, verschärft sich das Problem. Die Einschnitte werden härter, je länger man zuwartet.

Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas leidet.

Wir haben mit der Euro-Krise ein überlagerndes Problem. Dazu kommt die Pleite der Hypo Alpe Adria. Weiters die finanzielle Lage des Landes Kärnten. Wenn hier die Forderungen auf den Bund zulaufen, kann die Regierung die Steuerreform in der Pfeife rauchen. Es wird auch Oberösterreich über den Finanzausgleich getroffen werden.

Die Wettbewerbsfähigkeit ist in Europa unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt den stärkeren Norden, zu dem auch Österreich gehört. Und es gibt den schwächeren Süden, wo sich manche wie die Portugiesen anstrengen. Griechenland ist in Wahrheit eine vernachlässigbare Größe. Italien und Frankreich sind die Kernfragen. Im Windschatten von Griechenland lassen wir den Franzosen ihre Haushaltsdefizite durchgehen.

Meine Sorge ist, dass wir den Euro als Folge der Rettungspolitik zu einer Weichwährung machen. Statt dem Euro werden wir einen L-Euro bekommen, eine Mischung aus Lire und dem Euro. Vordergründig begünstigt das zwar die Exportwirtschaft. Aber die DM und der Schilling waren Hartwährungen, die wie eine Produktivitätskeule gewirkt haben. Die Hartwährung zwingt die Unternehmen, ihre Produktivität zu steigern. Eine Weichwährung ist über einen längeren Zeitraum ein Wettbewerbsnachteil. Diese Nebenwirkung macht mir Sorgen. Die Wirtschaft verliert an Wettbewerbsdynamik gegenüber dem Dollarraum. Das ist gefährlich.

Werden die Deutschen auf Dauer eine Weichwährung akzeptieren?

Wenn es nach der Bevölkerung geht, sicher nicht. Wenn der Euro von der Politik als alternativlos dargestellt wird wie das Kanzlerin Angela Merkel macht, werden andere Parteien wie die AfD in die Landtage kommen. Dann wird die Regierungsbildung schwierig, denn die CDU hat auf Dauer kein großes Interesse an einer großen Koalition. Die SPD umgekehrt auch nicht. So kann es passieren, dass der Vorbehalt der Bevölkerung auch eine politische Wirkung entfaltet. Entweder gelingt es, die Wettbewerbsfähigkeit Italiens und Frankreichs wieder herzustellen oder der Euro fliegt uns um die Ohren. Der Euro hat keine Ewigkeitsgarantie.

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