Erinnern an Romy und Luisa

Gabriela Binder (li.) und Christina Murauer wollen andere Eltern mit ähnlichem Schicksalunterstützen
Gabriela Binder und Christina Murauer brachten ihre Töchter tot zur Welt – und haben nicht kapituliert.

"Das Schlimmste wäre, wenn sie in Vergessenheit geraten würden." Zwei Freundinnen, zwei ähnliche Schicksale. Gabriela Binder und Christina Murauer aus dem Innviertel sind schon gemeinsam zur Schule gegangen. Dass sich ihre Wege Jahre später unter dramatischen Umständen wieder kreuzen würden, ahnte niemand. Beide Frauen entbanden kurz vor dem errechneten Geburtstermin ihre Töchter – ohne Herzschlag, ohne Leben. Luisa und Romy. Zwei Mädchen, die in den beiden Familien immer einen besonderen Platz haben werden. Um anderen betroffenen Eltern zu helfen, haben die Frauen die Selbsthilfegruppe "Rosa" gegründet (nähere Infos siehe rechts).

Darüber reden

"Mir hat die Flucht nach vorne geholfen. Und darüber reden, reden, reden. Auch heute noch", erzählt die 31-jährige Christina Murauer. Ihre Tochter Luisa kam 2011 tot zur Welt. "Wenn man nach neun Monaten Schwangerschaft ohne Baby aus dem Spital heimkommt, da glaubt man, das Leben geht nicht weiter." Auch für eine Beziehung sei diese Extremsituation eine Belastungsprobe: " Mein Mann Josef und ich haben unterschiedlich getrauert, aber jeder konnte den anderen dabei so sein lassen, wie er ist. Uns hat das Ganze richtig zusammengeschweißt." Ähnlich lief es bei Gabriela Binder. Auch sie freute sich über eine Schwangerschaft ohne Komplikationen. Als sie eines Tages ihre Tochter nicht mehr spürte, wurde im Spital festgestellt, dass das Herz nicht mehr schlug: Die Geburt wurde eingeleitet – dann hielten Gabriela und Mario Binder ihre Tochter Romy das erste und letzte Mal in den Armen. Trost und Zuspruch von Familie und Freunden war zu dieser Zeit eine große Hilfe. "Wir sind als Paar noch enger zusammengewachsen", sagt die 31-Jährige.

Was raten die beiden Frauen also anderen, die im Freundes- und Familienkreis einen ähnlichen Schicksalsschlag erlebt haben? "Uns hat es sehr geholfen, wenn unsere Lieben Anteil genommen haben. Deswegen raten wir, die betroffenen Eltern auf jeden Fall anzusprechen. Lieber probieren und eine Abfuhr riskieren als das Geschehene ganz zu ignorieren."

Zu den Gräbern ihrer erstgeborenen Töchter gehen die Frauen mittlerweile nicht nur mit ihren Männern: Christina und Josef Murauer freuen sich über die dreijährige Josefina und den einjährigen Paul. Gabriela und Mario Binder wurden 2014 Eltern von Lily.

Angst & Freude

Die zweiten Schwangerschaften erlebten die Frauen ganz unterschiedlich. Christina Murauer wurde aus Vorsicht zu besonders vielen Untersuchungen beordert, "dabei hatte ich jedes Mal fürchterliche Angst, dass wieder so etwas passiert wie bei Luisa, war auf das Schlimmste gefasst." Anders bei Gabriela Binder: "In meinem Umfeld haben zuerst einige sehr verhalten reagiert. Aber ich war mir total sicher, dass Lily zu uns kommen wird und konnte die Schwangerschaft dann ab dem dritten Monat richtig genießen."

Mit zeitlichem Abstand können Christina Murauer und Gabriela Binder bestätigen, dass die Zeit Wunden heilt. Vergessen werden sie aber nie.

Die Treffen der Selbsthilfegruppe "Rosa" finden vier Mal jährlich, immer am ersten Dienstag im Februar, Mai, August und November, jeweils ab 20 Uhr, im Bildungshaus St. Franziskus in Ried statt. Eltern fehl- und totgeborener Kinder finden hier einen geschützten Rahmen, um über ihren Verlust, über Trauer und Schmerz zu reden. "Es ist egal, wie lange das Erlebnis zurückliegt", sagt Christina Murauer, "jeder und jede kann kommen." Bei den ersten Treffen wurde miteinander geweint und gelacht, eine Kerze für das verstorbene Kind angezündet und Zeit zum Austausch genommen.

Infos unter gabriela85@gmx.at und c.murauer@gmx.at).

Im Jahr 2001 wurde bei den Barmherzigen Schwestern in Ried Berufsgruppen übergreifend (mit Ärzten, Schwesternn, Hebammen, Psychologen, ua) das Projekt "Leere Wiege" begonnen. "Die Bedürfnisse von Eltern nach einer Fehl- oder Totgeburt sind individuell, wir wollen mit Offenheit darauf reagieren", erklärt Martina Ortmann-Reitbauer, klinische Psychologin des Spitals. Konkret heißt das, dass Betroffene psychologische Unterstützung angeboten bekommen, dass es in der Kapelle einen Gedenkraum "Leere Wiege" gibt, der frei von religiösen Symbolen ist. Und dass ein Mal pro Jahr eine Gedenkfeier veranstaltet wird. Heuer findet sie am Di., 24. Mai, um 19 h in der Kapelle des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern in Ried statt.

Prinzipiell gehe es in dem Projekt um einen würdevollen Umgang mit Tot- und Fehlgeburten. Zu diesem Zweck gibt es eine Gedenk- und Grabstätte am Stadtfriedhof: "Damit auch Frauen, die eine Kürettage hatten, einen Ort zum Trauern haben," sagt die Psychologin.

Auch im Kepler Universitätsklinikum in Linz gab es am Freitag eine Gedenkandacht für Kinder, die während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder im Kindes- und Jugendalter viel zu früh verstorben sind.

Nach der Totgeburt ihrer Tochter Karolina im Juni 2013 wollte Katharina Enzenhofer einen Kurs für Rückbildungsgymnastik besuchen, "aber für Mamas wie mich gab es kein Angebot." Deswegen gründete die Physiotherapeutin die "Leere-Wiege-Heilgymnastik" (www.physio-enzenhofer.at) und arbeitet nun in ihrer Praxis in St. Florian mit Frauen mit ähnlichem Schicksal. "Dabei führen wir auch viele Gespräche. Und selbst für mich sind die Therapien noch immer eine Hilfe, um Karolinas Tod zu verarbeiten."

Die 30-Jährige macht mit ihren Klientinnen Beckenbodentraining, Übungen zur Rückbildung der Gebärmutter und der Körperwahrnehmung.

Vor einem halben Jahr ist Katharina Enzenhofer wieder Mama geworden, Söhnchen Leonard quietscht vergnügt im Hintergrund.

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